Katrin Kell von der Diakonie sagt, für wen Dementen-Wohngemeinschaften geeignet sind

Wenn Eltern alt und dement werden, müssen die Angehörigen entscheiden, wie sie künftig betreut werden sollen. Zuhause oder in einer Einrichtung. Die Diakonie bietet unterschiedlichste Formen der Dementenbetreuung an: ambulante Pflegedienste, Tagespflegestätten, Pflegeheime und seit einigen Jahren auch Dementen-Wohngemeinschaften (WG). Katrin Kell ist bei der Diakonie Fachbereichsleiterin für Pflege und soziale Hilfen.

Hamburger Abendblatt:

Ab wann gilt ein Mensch als dement und sollte von außen betreut werden?

Katrin Kell:

Die Demenz entwickelt sich langsam und lässt sich nicht immer genau abgrenzen. Aber man sollte spätestens dann reagieren, wenn die ältere Person orientierungslos in vertrauter Umgebung ist, zum Beispiel nicht mehr den Heimweg findet oder Probleme bei gewohnten Handlungen hat. Leider suchen viele Angehörige oft sehr spät nach Unterstützungsmöglichkeiten.

Eine recht neue Form der Betreuung sind stationäre und ambulante Dementen-WGs. Wo ist da der Unterschied?

Bei einer ambulant betreuten Wohngemeinschaft mieten die Angehörigen eine Wohnung an und richten sie ein. Sie beauftragen einen gemeinsamen Pflegedienst, der die Betreuung und Pflege rund um die Uhr sicherstellt. Vermieter und Pflegedienst müssen unterschiedlich sein, um möglichst viel Unabhängigkeit zu gewährleisten.

Bei der stationären WG ist der Träger viel mehr in der Verantwortung. Meistens wird eine große Einrichtung in mehrere kleine Wohngemeinschaften von maximal zwölf Plätzen eingeteilt. Die pflegerischen Leistungen werden dann von den Mitarbeitern der Einrichtung erbracht. Auch da ist die Mitarbeit und Präsenz von Angehörigen erwünscht, aber nicht so dringend notwendig wie bei der ambulanten WG. Dafür sollten sich Angehörige entscheiden, die nicht so viel Zeit haben und mit der Verantwortung für einen Dementen überfordert sind.

Was sind die Vorteile einer WG gegenüber einem Pflegeheim?

Das Hauptmerkmal in den WGs sind die familienähnlichen Strukturen. Die heben wir mehr hervor, während die reine Pflege - anders als in Pflegeheimen - mehr in den Hintergrund tritt. Wir fördern und unterstützen vor allem alltägliche Aufgaben, die man von früher kennt, wie Kochen, Tisch abdecken und Geschirr abwaschen. Aber auch Gruppenspiele gehören dazu.

Was spricht gegen die WG?

Nicht für jeden ist so eine kleine Gemeinschaft denkbar. Manche finden es besser, wenn die die Einrichtung und das Angebot größer ist. Ein kontaktscheuer Mensch bevorzugt eher weniger intensives Miteinander. Schwerst Demente und Bettlägerige sind auch besser in einem speziellen Pflegeheim aufgehoben, weil sie das häusliche Umfeld nicht so genießen können. Doch generell erhöht so eine WG die Lebensqualität der Dementen..

Wie lange kann ein Demenz-Erkrankter in der WG bleiben?

Bis er oder sie stirbt. Man wird dort auch bis zum Ende gepflegt.

Wer bestimmt den Tagesablauf in den Wohngemeinschaften?

Anders als in vielen Pflegeheimen, wo es festere Abläufe gibt, können Demente hier selber bestimmen, was sie machen wollen. Wollen sie lange ausschlafen oder die Nacht zum Tag machen? Wollen sie mithelfen oder lieber nicht - alles ist möglich.

Was kostet so ein WG-Platz und können sich den auch ärmere Menschen leisten?

Die Kosten liegen monatlich je nach Pflegebedürftigkeit zwischen 2000 und 3000 Euro, ähnlich teuer wie ein Pflegeheimplatz. Aber er ist für jeden finanzierbar, denn wenn man selber die Kosten nicht tragen kann, tritt der Sozialhilfeträger ein. Wir haben in vielen dieser WGs auch Hartz IV-Empfänger, weil ihre Rente nicht ausreicht.

Gibt es ein christliches Leitbild, das die Häuser prägt, inwieweit wird Religion mit einbezogen?

Natürlich gilt bei uns das Leitbild, dass jeder Mensch mit seiner Stärke, aber auch seinen Schwächen angenommen wird. Gerade die Diakonie ist für Schwache da, deswegen engagieren wir uns im Pflegebereich so stark. In den WGs kommt auf Wunsch ein Pastor vorbei oder WG-Bewohner besuchen Gottesdienste. Wir drängen niemanden unseren Glauben auf, aber unsere Mitarbeiter bieten zum Beispiel an, gemeinsam zu beten oder über Glaubensfragen zu sprechen.

Wieweit werden Sie von der Sozialbehörde unterstützt?

Die Stadt Hamburg hat die stationären WGs inhaltlich sehr gefördert und sie sogar als das Modell der Zukunft bezeichnet. Doch für Dementen-Wohngemeinschaften brauchen wir mehr Personal. Und das will die Sozialbehörde nicht finanzieren. Darüber streiten wir uns gerade vor der Schiedsstelle. Wenn wir da nicht weiterkommen, können wir unser aufwändiges WG-Programm nicht mehr anbieten, auch wenn wir davon sehr überzeugt sind.