Laut und lebendig geht es in der Gemeinde St. Bonifatius zu. Mittelpunkt sind der Pfarrer und sein Gottesdienst

Die Kleinen wuseln aufgeregt zwischen den großen Holzbänken hin und her. Sie können es auch heute kaum abwarten, bis Pfarrer Johannes Paul ins Mikrofon spricht. "So, liebe Kinder, ich bitte euch jetzt zum Brotsegnen nach vorne." Kurze Beine stürmen zum Altar, kleine Hände greifen in einen mit Zwieback gefüllten Korb. "Segne diese Kinder, ihre Eltern und Geschwister", sagt der Pfarrer. "Und segne dieses Brot. Lass es Zeichen unseres Lebens sein."

Seit mehr als drei Jahren beendet dieses Ritual, das an die alte Liturgie der geweihten Gaben erinnert, an jedem Sonntagmittag den katholischen Gottesdienst in St. Bonifatius. Und deshalb gibt es vielleicht auch kein treffenderes Bild, um diese Gemeinde mitten in Eimsbüttel zu beschreiben. Den Kindern in der Kirche gehört immer der Schlussakkord.

Wenn man Klaus Lohmann, seit zwei Jahren Leiter der katholischen Kindertagesstätte, fragt, was das Besondere an St. Bonifatius mit seinen rund 7500 Mitgliedern ist, sagt der ehemalige Journalist: "Diese Gemeinde lebt." Die Kita Am Weiher ist direkt neben dem gewaltigen Gotteshaus aus rotem Backstein. Eine mehr als 100 Jahre alte Basilika mit einem breiten Mittelschiff, zwei schmalen Seitenschiffen und einer heiteren Ausstrahlung. Einmal im Monat gestaltet die Kita einen Gottesdienst.

Am Weiher sagen sie, sonntags sei die Kirche voll, sehr voll oder übervoll. Bis zu 500 Besucher sind normal. St. Bonifatius ist so etwas wie ein fröhlicher Gegenentwurf zum ramponierten Bild der Amtskirche. Mit einem Pfarrer, der mehr an Menschen als an Regeln interessiert ist. Wenn er nämlich wirklich jeden Sonntag die Gemeinde im "Gebet der Vereinten Nationen" laut darum bitten lässt, aus der Erde einen Planeten zu machen, der nicht in sinnlose Trennung nach Rasse, Hautfarbe oder Weltanschauung zerrissen ist. Eine wagemutige katholische Kirche mit dem strategischen Vorteil einer Kita, einer Grundschule und engagierten christlichen Personals an ihrer Seite. Ein Treffpunkt deshalb auch für sichtbar viele junge Familien.

"Die Gemeinde ist ungeheuer vielseitig", sagt Klaus Lohmann, 52, ein schlanker Brillenträger und gebürtiger Rheinländer. Ihre Mitglieder zeichneten sich durch "Hilfsbereitschaft, Selbstbewusstsein und Eigenständigkeit" aus. Und ja, die Lebendigkeit hänge auch stark vom Pfarrer ab. Er besitze eine natürliche Autorität, lasse aber Menschen in seinem Umfeld wachsen. Stoße Dinge an, die dann von ganz vielen Ehrenamtlichen übernommen werden. Diese Teams lasse er alleine weiter arbeiten, aber stets kommen Nachfragen vom Pfarrer: "Na, wie läuft's bei euch?"

Johannes Paul ist von robuster Präsenz. Ein großer Mann mit krausem Haar, Frisur wäre zu viel gesagt. Seine Sprache ist verständlich, seine Haltung vergnügt. "Pfarrer sind ja auch Schauspieler", sagt er und lacht. Seine Bühne ist, wenn man so will, der Altarraum. Auf ihr wird sonntags gebetet und gesungen. Und viel gelacht. Wenn der Pfarrer zum Beispiel durch die Reihen geht, Weihwasser verspritzt und den Nicht-Katholiken zuruft: "Keine Angst, wenn Sie gerade einen Tropfen abgekriegt haben. Davon werden Sie jetzt nicht automatisch katholisch." Und manchmal wird auch spontan geklatscht, wenn die Kinder, begleitet von Keyboard und Gitarre, ein neues Lied vortragen.

In St. Bonifatius gibt es Musikabende und Firmkurse, Tauf- und Erstkommunionvorbereitung, eine wöchentliche Suppenküche für Obdachlose und monatliche Seminarreihen. Es gibt Yogaunterricht, einen Jugendkeller und Vorträge über den Polizeiaufbau in Afghanistan. Es gibt Abendgebete mit Liedern aus Taizé, Seniorennachmittage und den Adventsbasar.

Aber eindeutiger Mittelpunkt der Gemeinde ist der Sonntagsgottesdienst um 10.30 Uhr. Der Hauptversammlungsort. "Von hier geht alles los", sagt Pfarrer Paul.

Schwester Monika Maria, 60, kann von ihrem Pfarrbüro genau auf den Kirchenvorplatz schauen. Die fröhliche Ordensfrau arbeitet hier seit acht Jahren als Sekretärin. Aber viel mehr ist sie im besten Wortsinn Seelsorgerin. Sie sieht, wer kommt und wer geht.

Sie kennt die Zahlen. 95 Taufen, 49 Erstkommunionkinder, 61 Trauungen, 17 Beerdigungen, 194 Austritte und fünf Wiedereintritte im Jahr 2010. Noch genauer kennt sie die Menschen hinter den Zahlen. Weil sie zuhören kann und Augen hat, die lächeln.

Schwester Monika Maria hat mal vier Jahre in Haiti mit Straßenkindern gearbeitet und war im vergangenen Sommer erneut in dem vom Erdbeben zerstörten Karibikstaat. Jetzt hat sie eine Brücke geschlagen zwischen den Kindern aus Eimsbüttel und den Waisenkindern am anderen Ende der Welt. Die Kinder in Hamburg haben Bilder gemalt und Geld gesammelt. "Und sie haben ihre Eltern bedrängt zu spenden", sagt sie.

Da könnten Erwachsene viel von Kindern lernen.

"Natürlich ist hier nicht alles nur schön", sagt Johannes Paul. Es gibt auch hier Unzufriedene und Menschen, die sich im Ton vergreifen. "Giftzähne", würde Pfarrer Paul sagen. Kirchgänger, gar nicht mal die Alten, denen zum Beispiel die Kinder im Gottesdienst zu laut sind. "Ja, gut", sagt der Pfarrer dann zu denen, die sich beschweren, "ich kann die Kinder ja auch erschießen."

Neulich beim Familiengottesdienst, sagt Klaus Lohmann, hat man die Kleinen wieder mit einbezogen. Sie sollten die Fürbitten vortragen. Weil sie noch nicht lesen können, haben sie ihre kurzen Sätze auswendig gelernt. In der Messe sind dann drei Kinder vergessen worden. Woraufhin ein kleines Mädchen zum Pfarrer stiefelte und ihn am Ärmel zupfte: "Ich habe eine Fürbitte vorbereitet und durfte die nicht aufsagen." Prompt erklärte Johannes Paul der Gemeinde, dass jetzt noch nicht Schluss sei: "Es werden noch drei Fürbitten vorgetragen." Natürlich hatten die Kinder das letzte Wort.