Das brasilianische Hochleistungsbusnetz ist vorbildlich und wurde bereits vielfach kopiert

Curitiba. Sie ist die Geburtsstätte des Schnellbus-Transportsystems für Städte in Schwellen- und Entwicklungsländern und gilt auch sonst als Vorzeigeprojekt einer nachhaltigen Stadtentwicklung: Die Millionenstadt Curitiba in Brasilien sei die "Welthauptstadt des politisch korrekten Urbanismus", wie es die Zeitschrift "Architektur aktuell" im Jahr 2001 schrieb. In 2010 hat die Hauptstadt des Bundesstaates Paraná im fruchtbaren Süden des Landes eine weitere Auszeichnung eingeheimst: Sie steht einsam an der Spitze des Städterankings von 17 lateinamerikanischen Metropolen.

Den Umweltvergleich der Haupt- und Industriestädte von Mexiko-Stadt bis Montevideo nahm das Beratungsunternehmen Economist Intelligence Unit im Auftrag von Siemens vor. Der deutsche Technikkonzern, eher bekannt als Zulieferer der Kernkraftindustrie, setzte nach eigenen Angaben im Vorjahr rund 28 Milliarden Euro in "grüner Infrastruktur" um. Nicht umsonst interessieren ihn die lateinamerikanischen Metropolen: 81 Prozent der Bevölkerung lebt dort bereits in Städten (Europa: 72 Prozent), 2030 werden es voraussichtlich sogar bereits 86 Prozent sein.

Viele lateinamerikanische Städte entwickelten sich entlang bestehender Autobahnen - eine Einladung an die wohlhabenderen Bewohner, private Autos zu nutzen. Als Folge ersticken viele der Metropolen im Verkehr. Curitiba steuerte frühzeitig mit seinem Schnellbusnetz dem Trend entgegen und wurde inzwischen von vielen anderen Städten kopiert: Es installierte entlang seiner Hauptachsen ein Hochleistungsbusnetz, das ebenso effizient ist wie U-Bahn-Trassen, gleichzeitig aber flexibler und billiger - eine angepasste Technik für boomende Städte in Entwicklungsländern, deren Bewohner sich keine teuren Fahrpreise leisten können. Sie können sich inzwischen ihre Fahrscheine sogar durch Müllsammeln verdienen: Um die Abfallentsorgung in den engen Armenvierteln zu organisieren, durch die keine Müllfahrzeuge rollen können, installierte die Stadt 80 Sammelstellen. Wer vorsortierte Wertstoffe dort abgibt, erhält im Gegenzug Lebensmittel, Schulhefte oder eben Busfahrscheine.

Inzwischen nutzen täglich mehr als 700 000 Pendler der 3,5 Millionen Einwohner zählenden Metropolregion das Schnellbussystem mit seinen typischen tunnelförmigen Haltestellen. Im nächsten Schritt sollen die Dieselbusse allmählich durch Fahrzeuge ersetzt werden, die mit Agrarkraftstoffen fahren.

Ihre ökologischen Errungenschaften verdankt die Stadt, die mit 1,8 Millionen Einwohnern in etwa der Größe Hamburgs entspricht, vor allem ihrem langjährigen Oberbürgermeister Jaime Lerner. Selbst Stadtplaner und Architekt, setzte er eine nachhaltige Stadtentwicklung in Gang, als noch niemand davon sprach, und heimste dafür zahlreiche Umweltpreise ein. Doch schon vor seiner ersten von drei Amtszeiten Anfang der 1970er-Jahre war die Stadt Mitte der 60er-Jahre aktiv geworden: Konfrontiert mit einem starken Bevölkerungswachstum präsentierte sie Entwürfe für Fußgängerzonen (die erste wurde 1967 eingerichtet, als erste Fußgängerzone Brasiliens) und ein kostengünstiges, aber effektives öffentliches Nahverkehrssystem.

In den 80er-Jahren wurden grüne Erholungsgebiete geschaffen, auf Überschwemmungsgefährdeten Flächen entstanden Seen- und Parklandschaften. Auch das Müllrecycling und eine umfassende Abwasserentsorgung wurden damals bereits eingeführt. Und im Jahr 1989 stand Umweltbildung erstmals auf den Lehrplänen der öffentlichen Schulen.

"Curitibas ungewöhnlicher Auftritt ist eine lange Geschichte eines ganzheitlichen Umweltschutz-Ansatzes, der ungewöhnlich ist für den Rest des Kontinents", heißt es im Ranking der lateinamerikanischen Städte. In sieben von acht Bewertungskategorien liegt die Dienstleistungs- und Industriestadt (Landwirtschaft, Autoproduktion) über dem Durchschnitt, nur bei "Flächenverbrauch und Gebäude" ist sie mittelmäßig. Dagegen sind ihr Abfallmanagement und die Bemühungen zur Luftqualität im Städtevergleich einsame Spitze; bei der Mobilität und in vier anderen Bereichen ist sie überdurchschnittlich gut.

Die neueste Errungenschaft in Sachen Verkehrsführung ist die sogenannte Grüne Linie: 2007 wurde eine Bundesautobahn saniert, die die westlichen und östlichen Stadtbezirke miteinander verbindet. Die Autobahn hat jetzt je Fahrtrichtung drei Spuren für private Fahrzeuge - und vier Busspuren. Sechs der zwölf auf dieser Linie eingesetzten Busse fahren mit Agrarsprit aus Sojabohnen.