Wege, die zur Ökostadt der Zukunft führen, am Reißbrett oder durch Umbau

Hamburg. Für die Stadt der Zukunft gibt es keine Blaupause. Sie wird entweder am Reißbrett ganz neu entworfen, vorzugsweise in aufstrebenden Ländern wie China oder den Vereinigten Arabischen Emiraten. Oder sie entsteht, indem alte, traditionelle Städte ökologisch über sich hinauswachsen. Die Vision der Green Citys, der grünen Städte, im Sinne von ökologisch, sozial und wirtschaftlich gesunden Metropolen hat Stadtplaner rund um den Erdball in den Bann gezogen. An einigen Orten werden sie bereits Realität, andere Städte sind auf dem Sprung.

Eine Reißbrett-Variante ist Masdar City. Die Stadt wächst in den Vereinigten Arabischen Emiraten aus dem Wüstensand, unweit der Hauptstadt Abu Dhabi. Das Land steht, gemessen am Pro-Kopf-Ausstoß von Treibhausgasen, im Klimaschutz weit hinten. Nun will es der Welt eine CO2-neutrale Modellstadt präsentieren.

Stararchitekt Sir Norman Forster entwarf eine autofreie futuristische Siedlung, deren 50 000 Einwohner sich zu Fuß, per Fahrrad oder mit fahrerlosen Kabinen entlang eines Magnetspurnetzes durch die Stadt bewegen. Strom und sonstige Nutzenergien sollen aus erneuerbaren Quellen lokal erzeugt werden, traditionelle Techniken kühlen moderne Gebäude. Baubeginn war 2008, aber in diesem Jahr kam das Projekt ins Stocken, auch wegen der globalen Finanzkrise. Die großen Ambitionen näherten sich den Realitäten an. Nun sollen auch Elektromobile durch die Stadt rollen dürfen und ein Teil der Öko-Energien importiert werden. Während die Modellstadt zunächst 2016 fertig werden sollte, heißt es jetzt: frühestens 2020, womöglich erst 2025.

Städte, die ihren Energiebedarf weitgehend selbst decken, seien eine große Chance, urteilt Dieter Läpple, emeritierter Professor der HafenCity-Universität (HCU) und Leiter des HCU-Arbeitsgebiets Internationale Stadtforschung. "Wer die Nutzenergie vor Ort aus erneuerbaren Quellen produziert, macht sich unabhängiger von Importen und schafft lokal Arbeitsplätze", so Läpple. Er selbst ist an einem Projekt beteiligt, das ebenfalls eine neue Stadt entstehen lassen will, aber dies kostensparend und mit traditioneller Technik: "Wir planen in Äthiopien eine Stadt, die die zukünftigen Bewohner selbst bauen. Die Grundsteinlegung war im Juni." Mit Hilfe von Spendengeldern soll zunächst ein Stadtkern entstehen mit einem kleinen Kraftwerk, einem Marktplatz, einer Bank, die Mikrokredite vergibt, Schulen, einem Gemeinschaftshaus und einer Gesundheitsstation, das "Stadtbauer-Zentrum". Dazu gehören Wohngebäude für einige Hundert Arbeiter und Arbeiterinnen. Gebaut wird mit Naturmaterialien, die möglichst vor Ort gewonnen werden.

Für mindestens ebenso spannend wie neue Ökostädte hält Dieter Läpple den (teilweisen) Umbau bestehender Metropolen. So habe auch Hamburg nachhaltige Stadtentwicklung zu bieten, etwa in Wilhelmsburg, betont der ehemalige Professor der Technischen Universität Hamburg-Harburg. Besonders mutige Schritte gehe jedoch Janette Sadik-Khan, die in New York für den Verkehrsbereich verantwortlich ist - und ihre Stadt Stück für Stück lebenswerter macht. Läpple: "Über Nacht ließ sie den viel befahrenen Times Square, den bekanntesten Abschnitt des Broadways, absperren und Tische und Stühle aufstellen." "Wir waren noch bei der Arbeit, da hatten die ersten Menschen schon Platz genommen", schildert Sadik-Khan ihre Erfahrung im Internet, "das zeigt, wie hungrig die Bürger auf öffentliche Räume sind." Nach diesem Erfolg wurde der Times Square im Mai 2009 endgültig autofrei.

In anderen Nacht- und Nebel-Aktionen eroberte Sadik-Khan Straßenraum für Fußgänger und Radfahrer zurück: Auf mehrspurigen Autotrassen wurde in der Mitte ein breiter Sperrstreifen markiert und eine Straßenhälfte zu Bürgersteigen und Fahrradwegen umgestaltet. Als auch diese Aktionen bei den New Yorkern gut ankamen, wurden die Straßenstreifen aufgerissen und bepflanzt, als grüne Trennwände zum Schutz des neuen Lebensraums für die Stadtbewohner. Dieter Läpple zitiert Janette Sadik-Khan mit den Worten: "Die wertvollsten öffentlichen Räume sind die Straßen." Dies sei "eine fantastische Aussage".

Auch die kolumbianische Hauptstadt Bogotá hat ihre öffentlichen Räume attraktiver gestaltet - zur Kriminalitätsbekämpfung. Läpple: "Entlang der Slums wurden große Promenaden angelegt, als Aufenthaltsraum für die Bewohner. Sie wurden zusätzlich durch Schulen und andere öffentliche Gebäude dorthin gelockt. Folge: Es belebten sich die Stadtbereiche, und die Kriminalität ging deutlich zurück." Die Stadtregierung hatte festgestellt, dass der Autoverkehr in Bogotá nur einen Anteil von fünf Prozent an der gesamten Mobilität hat. Also flossen fortan nur noch fünf Prozent des Verkehrsetats in Autostraßen. Mit dem großen Rest wurden unter anderem - dem Beispiel der brasilianischen Stadt Curitiba folgend - Schnellbuslinien aufgebaut.

Zu einer nachhaltigen Stadtentwicklung gehören aber auch Gebäude, die nicht nach wenigen Jahrzehnten leer stehen, weil sie niemand mehr nutzen mag. Dieter Läpple plädiert dafür, so variabel zu bauen, dass langfristig verschiedene Nutzungen möglich sind: "Heutige Bürogebäude in Wohnungen umwandeln zu wollen ist nur mit einem riesigen Aufwand möglich. Deshalb sollte ein Teil von größeren Gebäuden für verschiedene Bedarfe offen sein. Oft ist das, was man gebaut hat, schon veraltet, wenn es fertig ist. Denn die Entwürfe liegen viele Jahre zurück. Beim Planen muss man die Nutzungen von morgen und übermorgen mit bedenken."

Das entscheidende Nachhaltigkeitskriterium sei der Lebenszyklus eines Gebäudes, betont Läpple, es sollte möglichst lange genutzt werden und sich flexibler Nachfrage anpassen können. Läpple lobt die HafenCity-Bebauung: "Das untere Stockwerk muss immer als Ladenlokal, für Gastronomie oder Gewerbe nutzbar sein; es kann aber auch bewohnt werden."

Unbewusst zeitlos sind die nach wie vor beliebten Hamburger Villen aus der Gründerzeit. Sie dienten der sozialen Repräsentation, hatten genügend Raum für die Eigentümerfamilie plus Dienstboten-Wohnungen - und sind heute vielfältig genutzte Arbeits- und Wohnorte. Das Credo des 20. Jahrhunderts, "Form follows function", hält Läpple dagegen für wenig weitsichtig: "Die auf eine Funktion zugeschnittene Form wurde in Beton gegossen, ist weitgehend unveränderbar. Das war ein ziemlicher Holzweg."