Auch Regen kann man mögen. Das lernte ich mit Dreck unter den Turnschuhen und kalten Tropfen auf der Nase. Dass Erde und Wasser jeden Tag anders riechen, lernte ich, und die eigene Stimmung des Morgennebels und der Abenddämmerung zu empfinden. Ich lernte zur Ruhe zu kommen, während ich mich bewege.

Nach zwei Schwangerschaften wollte ich wieder in meinem Körper ankommen. So habe ich zu Beginn des Jahres begonnen, so oft wie möglich zu laufen, am besten jeden Tag. Doch als berufstätige Mutter von zwei kleinen Kindern kann ich nicht warten, bis die Sonne scheint, sondern ich muss mich dann aufmachen, wenn eine Dreiviertelstunde Zeit nur für mich bleibt.

Ohne darüber nachzudenken, wählte ich stets denselben Weg, und er wurde mir vertraut. Aus der Anstrengung wurde im Laufe der Wochen erst Gewöhnung, dann Aufmerksamkeit. Es ist keine außergewöhnliche Strecke, doch für mich allein entdecke ich jeden Tag etwas anderes: die ersten Schneeglöckchen, den vom Tag noch warmen Asphalt, aufwirbelndes Laub, Raureif auf den Dächern. Während ich laufe, bin ich frei, für niemanden zuständig, für nichts verantwortlich. So wird der Kopf klar, die Gedanken kommen in Bewegung und entdecken neue Pfade. Wenn ich mich so auf den Weg mache, komme ich an - bei mir selbst.

aus: Kalender "Der Andere Advent 2009/10" , Verein Andere Zeiten, www.anderezeiten.de