Seelsorgerin Frauke Niejahr beschreibt, wie Hospizarbeit Sterbenden und ihren Angehörigen hilft

Pastorin Frauke Niejahr, 42, ist Seelsorgerin im Diakonie-Hospiz Volksdorf und für Hospizarbeit und -beratung im Kirchenkreis Hamburg-Ost zuständig.

Hamburger Abendblatt:

Warum ist Hospizarbeit wichtig?

Frauke Niejahr:

Hospizarbeit ist eine der ureigenen Aufgaben der Kirche: Nicht wegzugehen, wenn jemand in Not ist. Menschen nicht allein zu lassen, die schwerstkrank sind, die Angst und Leid erleben. Da ist es wichtig, dass es professionelle Hospizangestellte gibt, die auch ihr Herz aufmachen, die die Würde der Sterbenden achten. So entsteht ein Raum der Menschlichkeit.

Was sind Ihre Aufgaben als Hospiz-Seelsorgerin?

Ich biete mich als Gesprächpartnerin an - sowohl den Sterbenden als auch deren Angehörigen, unabhängig davon, ob sie christlich sind oder nicht. Der Sterbende bestimmt dabei, wo es lang geht, über welche Themen wir reden sollen. Mit Gläubigen spreche ich Gebete oder singe Lieder. Viel öfter treffe ich allerdings auf Leute, die nie etwas mit Kirche zu tun hatten, aber plötzlich im Angesicht des Todes Fragen zu Gott haben. Ich bekomme manchmal auch klare Aufträge, wie zum Beispiel einen Kontakt zu den Kindern zu vermitteln. Es kann auch sein, dass jemand im Gespräch mit mir ganz viel Wut heraus lassen kann und dadurch eine neue Perspektive findet.

Ist es Ihr Ziel, dass Menschen sich noch einmal auf dem Sterbebett bekehren?

Nein, überhaupt nicht. Ich habe es noch nie erlebt, dass ein Sterbender für sich eine komplett neue Gottesbeziehung entdeckt hätte. Viele haben eher eine unbestimmte Sehnsucht danach und sind dann dankbar, wenn ich ein Wort oder ein Bild dafür finde. Oft gibt es nur den diffusen Wunsch, dass das Leben nach dem Tod irgendwie weiter geht.

Wie nehmen Sie den Sterbenden die Angst vor dem Tod?

Die Menschen tröstet, dass ich da bin, Zeit habe und bereit bin, die Angst des anderen auszuhalten. Ich bleibe ruhig, habe Vertrauen und den Glauben, dass es nach dem Tod gut weitergeht, das hilft vielen. Nicht alleine zu sein mit der Angst, das ist wichtig.

Vielleicht geht es ihnen ähnlich, wie mir früher, als ich alleine in den dunklen Keller musste. Es war viel leichter für mich, wenn mein kleiner Bruder bei mir war.

Hilft der Glaube beim Sterben?

Sehr unterschiedlich. Ich habe Leute erlebt, die durch ihren persönlichen Glauben außergewöhnlich entspannt waren. Eine Frau hat sich vor dem Tod Gänseblümchen pflücken lassen, weil es sie daran erinnerte, dass sie Teil der Schöpfung ist. Sie war frohgemut und hat sich Gott als Hirten vorgestellt, der sie durch das dunkle Tal führen wird. Aber ich habe auch Gläubige erlebt, die große Zweifel bekommen haben, weil sie nicht verstehen konnten, warum sie so viel Leid erleben mussten. Und die jetzt mit Gott haderten, den sie vorher immer als liebenden, fürsorgenden Beschützer erlebt hatten.

Wie können Sie den Angehörigen bei ihrer Trauer helfen?

Die Angehörigen bewegen sich ständig zwischen Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft und wissen oft gar nicht, wo sie gerade sind. Mit ihnen rede ich viel, lasse sie erzählen, was sie traurig macht. Oftmals fragen die Angehörigen viel mehr nach Segen und Gebeten als die Sterbenden. Das hilft ihnen durchzuhalten.

Gibt es bestimmte Rituale zur Verabschiedung der Toten?

Im Diakonie-Hospiz in Volksdorf bieten wir eine Aussegnung an. Ich halte dann im Zimmer des Verstorbenen eine kleine Andacht. Ich spreche ein Gebet mit Angehörigen und einen poetischen Text. Wir erzählen aus dem Leben des verstorbenen Menschen. Ich spreche einen Segen für den Verstorbenen.

Es entsteht ein Raum des Erinnerns und Gedenkens. Das ist für mich als Pastorin auch etwas besonderes, weil wir das vor Gott tun und ihm den Verstorbenen anvertrauen.

Wer tröstet Sie, wenn Sie schwere Fälle haben?

Ich habe einen Supervisor, einen Pastor, mit dem ich unter Verschwiegenheit meine Arbeit besprechen kann. Häufig gehe ich auch in die Kapelle im Hospiz, zünde eine Kerze an, spreche ein Gebet und werde ruhig. Das ist ganz heilsam.