Katja Fischer arbeitet als Krankenschwester im Diakonie-Hospiz Volksdorf. Das Sterben gehört zu ihrem Alltag. Es ist ein Job, der sie an ihre Grenzen bringt und gleichzeitig viel zurückgibt

Die Kerze brennt. Das Symbol für das Leben verkündet den Tod. "Auch wenn ich morgens nicht mit dem Gedanken ins Haus komme, dass hier gestorben wird, schaue ich immer als erstes, ob das Licht leuchtet", sagt Katja Fischer. Einen Moment noch hält sie inne, nachdem die hölzerne Eingangstür sich fast lautlos hinter ihr geschlossen hat. Sterben ist hier der Normalfall. Für die Menschen, die ins Diakonie-Hospiz Volksdorf kommen, ist es der letzte Umzug im Leben - als Gäste in einer Herberge auf Zeit. Für Katja Fischer ist es der Arbeitsplatz. Sie ist Krankenschwester. "Gestorben wird meist nachts", sagt die 32-Jährige. An diesem Herbsttag hat sie Frühdienst. Sie mag diese Morgenstunden im Hospiz, wenn sich die Dunkelheit hebt, ein neuer Tag beginnt. Ein bisschen ist es so, als tauche man ein in eine andere Welt. Einen weiteren Bewusstseinszustand, irgendwo dazwischen. "Natürlich sind Tod und Sterben in diesem Haus immer gegenwärtig, aber es ist auch ein Ort, der Raum für das Leben schafft", sagt sie. Dann eilt die zierliche Frau in Richtung Dienstzimmer, steckt sich das Namensschild an die hellblaue Bluse - Schwester Katja beginnt ihre Schicht. "Es geht darum, unsere Gäste so zu betreuen, dass sie die Zeit, die sie noch haben, trotz aller Schwere genießen können." Sie ist für die Pflege zuständig, die ärztliche Behandlung wird von Ärzten aus der Region übernommen.

Krebs, austherapiert. Das ist die Diagnose bei fast allen. Hinter 16 Türen 16 Schicksale. Das bedeutet rund um die Uhr medizinische Versorgung und Pflege. Aber genau so wichtig ist es, Zeit zu haben. Als Schwester Katja vorsichtig die Tür zu Zimmer 22 aufmacht, gleitet ein Lächeln über das bleiche Gesicht von Nicole Meyer. "Ich wollte nur mal gucken", sagt die Krankenschwester, setzt sich ans Bett und nimmt ihre Hand. Am Morgen hat sie der jungen Frau mit dem schwarzen Tuch um den Kopf ein Morphium-Pflaster gegen die Schmerzen gegeben.

Schwester Katja hat ihr beim Waschen geholfen, das Frühstück gebracht.. "Schön, dass Sie es genießen konnten", sagt sie. Es sind die kleinen Dinge, die wichtig sind, wenn das Große unfassbar ist. Nicole Meyer ist 38 Jahre alt, Bürokauffrau - und hat Krebs. Angefangen hat es vor drei Jahren in der Brust, jetzt sind die Metastasen bis ins Gehirn gewuchert. Überall in dem hellen Zimmer stehen Fotos von ihren Eltern, ihrer Schwester, dem Schwager - und von der Frau, die sie einmal war. Ihr größter Wunsch: bei ihrer Familie Weihnachten zu feiern. "Vielleicht bin ich dann auch gar nicht mehr da", sagt die Rahlstedterin. Schwester Katja nickt, streicht ihr sanft über den Arm. In diesem Moment gibt es keine Worte, nur gemeinsame Tränen. "Es ist so gut, hier zu sein", flüstert Nicole Meyer.

Eine Atempause auf dem Weg aus dieser Welt. Auch für die Krankenschwester. Seit gut zwei Jahren, fast solange wie es das Hospiz unweit des Evangelischen Amalie-Sieveking-Krankenhauses gibt, arbeitet sie in dem Haus, lässt den Tod ganz nah an sich heran. Immer wieder. "Das Sterben gehört für mich zum Leben dazu. Es ist nichts Schreckliches", sagt sie. Deshalb könne sie ihre Arbeit an den Todkranken tun. Und ertragen, dass eine Frau wie Nicole Meyer, nicht einmal sechs Jahre älter als sie, sterben wird. Oder Thomas Glaser, der ganz offen über seinem nahen Tod spricht, und so gern noch mal mit seiner kleinen Enkeltochter an den Landungsbrücken ins Nordsee-Restaurant gehen würde.

"Man muss den Tod begreifen", sagt die gebürtige Erfurterin, die ihren Vater als Teenager durch einem Verkehrsunfall verlor. "Damals konnte ich das noch nicht." Doch als sie nach Einser-Abitur und abgebrochenem Politik-Studium beschloss Krankenschwester zu werden, war das Thema wieder da. "Sterbebegleitung war mir schon in der Ausbildung sehr wichtig. Aber im Krankenhaus war kaum Zeit dafür", sagt Schwester Katja und erzählt von einer Nacht, in der zwei Menschen in einem Klinikzimmer starben - allein, ohne einen Menschen an ihrer Seite. "Es ist dort oft ein einsamer Tod. Ich konnte das nicht mehr ertragen." Als sie von der freien Stelle im Diakonie-Hospiz hörte, bewarb sich die junge Mutter aus der Elternzeit - und blieb. Auch wegen der christlichen Ausrichtung des Hauses. "Mein Glauben ist ein wichtiger Grundpfeiler. Er hilft mir zu akzeptieren, dass es nicht auf alle Fragen eine Antwort gibt." Und er gibt ihr eine Hoffnung, dass danach noch etwas kommt. "Jesus spricht: "Ich lebe und ihr sollt auch leben." Der Vers aus dem Johannes-Evangelium hängt an der Wand im Hospiz-Eingang. Statistisch gesehen stirbt hier jeden zweiten Tag ein Mensch.

Tatsächlich sind es auch manchmal drei an einem Tag. "Die durchschnittliche Verweildauer liegt bei 25 Tagen", sagt Pastor Andreas Hausberg. Er war lange Krankenhaus-Seelsorger, jetzt ist er Geschäftsführer des Diakonie-Hospizes. Träger des Hauses, das sich als ökumenische Einrichtung versteht, sind das Albertinen-Diakoniewerk, die Albertinen-Stiftung, das katholische Marienkrankenhaus und die Stadt Norderstedt. Kommen kann jeder, unabhängig von seiner Herkunft, seiner Kultur oder Religion. Auch die 26 hauptamtlichen Mitarbeiter, darunter 20 in der Pflege, müssen nicht Mitglied der evangelischen oder katholischen Kirche sein. "Es gibt so etwas wie eine Hospiz-Grundhaltung. Wichtig ist, dass unsere Mitarbeiter kein Helfer-Syndrom haben, sondern hier arbeiten, weil sie das Gefühl haben, ein beschenkter Mensch zu sein und etwas weitergeben zu wollen", sagt Hausberg. Das gilt auch für die etwa 30 Ehrenamtlichen im Haus. Als einziges Hospiz in Hamburg hat das Volksdorfer Haus zudem eine eigene Seelsorgerin (siehe Interview Seite 7). Und es gibt Rituale, wie die Wochenanfangsandacht in der hauseigenen Kapelle und die monatliche Gedenkfeier für die Verstorbenen. "Viele unserer Gäste", sagt Hausberg, "kommen wegen des christlichen Ansatzes."

So wie Frau Rathje. An ihrem Bett steht eine Flasche Chanel No. 5, und auch ein Gesangbuch. "Geh mein Herz und suche Freud" ist eins ihrer Lieblingslieder. An diesem Morgen hat Schwester Katja sie überredet, im Aufenthaltsraum zu frühstücken. Ihre Tochter ist da, gibt ihr die Milchsuppe löffelweise. Inzwischen ist es fast zwölf Uhr. "Die Zeit zerfließt hier", sagt sie. Nicht vorgegebene Strukturen beherrschen den Tag, wichtig sind die Wünsche der Gäste.

Monika Rathje ist 69 Jahre alt und hat Brustkrebs. Elf Jahre hat sie gekämpft. Dann die Diagnose, dass es keine Hoffnung auf Leben gibt. "Es war sehr schwer, aber irgendwann konnte ich es annehmen", sagt die gläubige Katholikin mit leiser, zittriger Stimme. Jetzt blickt sie dem Tod ins Gesicht. Sie sei froh, im Hospiz zu sein, sagt sie. In einem geschützten Raum, in dem sie sich angenommen und aufgehoben fühlt und alles hinter sich lassen kann. Ihre letzte Station. "Als der Anruf kam, ist etwas von ihr abgefallen. Es war auch eine Erleichterung", sagt ihre Tochter Gabi Fuhrmann, die fast jeden Tag aus Barmbek kommt. Und auch die Familie ist beruhigt. "Es ist einfach gut zu wissen, dass unsere Mutter sich wohl fühlt und gut versorgt wird. Hier herrscht eine ganz besondere Atmosphäre."

Im Hospiz gibt es eine Schachtel mit Schmetterlingen aus buntem Papier. Wenn jemand gestorben ist, steckt einer am Türschild - damit die Seele fliegt. "Ich überlege mir immer ganz genau, was am besten passt. Welche Farbe, ob glitzernd oder nicht", sagt Schwester Katja. "Zu vielen Gästen baut man ja einen sehr intensives Verhältnis auf." Für Ingrid Müller ist das Hospiz jetzt ihr Zuhause. "Meine Wohnung ist aufgelöst", sagt die Frau mit dem warmherzigen Lächeln und dem bösartigen Knochenhautkrebs. Sie hat Fotos mitgebracht, ein bisschen Nippes und ihre Plüschkatze Kati. Sie bastelt gern Glückwunschkarten. Nein, sagt die 81-Jährige, sie warte nicht auf den Tod. "Ich freue mich über jeden Tag. Aber es ist schwer, wenn um einen herum alle sterben." Schwester Katja nickt. Einen Moment schweigen die beiden, dann hilft sie Frau Müller ins Bett.

In solchen Momenten, in denen sie einem Menschen ganz nah kommt, steht der Sinn ihres Tuns außer Zweifel. Da ist dann auch die hohe Belastung durch die oft sehr pflegebedürftigen Menschen vergessen. "Ich bekomme doch so viel zurück", sagt die junge Frau, die mit einem Feuerwehrbeamten verheiratet ist und zwei kleine Söhne hat. Natürlich gibt es auch Situationen, die sie an ihre Grenzen bringen - trotz engagiertem Team und regelmäßiger Supervision. "Wenn man hilflos zusehen muss und sich ohnmächtig fühlt, dass ein junger Mensch schon sterben muss." Wie die Frau mit den zwei Kindern, die so lange gekämpft und gehadert hat. "Es hat viel Kraft gekostet, dieses Leid zu ertragen", sagt die Krankenschwester.

In unserer Gesellschaft wird im Verborgenen gestorben. Im Diakonie-Hospiz aber im Licht. Überall ist es hell, Licht flutet durch die großen Fenster in den um ein Atrium gebauten Neubau, der fast wie ein Kreuzgang anmutet. In der Mitte steht ein Quellstein mit einer Arche. Ein Symbol für Gottes Rettung in der Not. "Verlass mich nicht, wenn ich schwach werde" fleht in Psalm 71 ein Mensch zu seinen Gott. "Es ist schon so, dass wir hier eine Arbeit tun, die in der Gesellschaft verdrängt wird", sagt Schwester Katja nachdenklich. Sie erlebe oft, dass Menschen verschreckt reagierten, wenn sie von ihrem Arbeitsplatz erzähle. "Wahrscheinlich, weil sie nicht mit dem eigenen Sterben konfrontiert werden wollen. Das ist ein Tabu." Dabei ist sie ganz sicher, dass es das gibt: einen schönen Tod. Sie nennt es einen friedvollen Tod. "Wenn die Menschen bereit sind, und auch die, die sie lieben." Dann, wenn sie losließen vom irdischen Leben und Frieden einkehre, komme es sogar vor, dass sie so etwas umgebe wie ein Leuchten - ein magischer Moment. Und einer, der die Chance auf Versöhnung in sich trägt.

"Sterben braucht Zeit", sagt Schwester Katja. Das gilt für die, die gehen, und für die, die bleiben. Oft sei sie genau so intensiv mit den Angehörigen im Gespräch wie mit den Sterbenden, um ihnen die Angst zu nehmen und sie zu begleiten. Für viele ist das eine Erfahrung, mit der sie nicht gerechnet haben. Wie dankbar sie dafür sind, lässt sich im Gästebuch nachlesen. "Wenn ein Mensch stirbt, ist es traurig, ja", sagt die Krankenschwester. "Aber schwer wird es nur, wenn man sich nicht verabschieden kann."

Deshalb ist es ihr so wichtig, nach dem Tod ihren Gästen noch einmal nah zu kommen - indem sie sie wäscht, ankleidet, ihnen persönliche Dinge an die Seite legt und den Raum mit Tüchern und Blumen dekoriert, indem sie die Kerze anzündet und einen Schmetterling aussucht. "Ich habe hier im Hospiz Demut gelernt - und den Augenblick zu genießen", sagt Katja Fischer. Als sie an diesem Tag geht, ist das Licht am Eingang aus.