Zwei Konzerte der Reihe NDR das neue werk bieten Futter für die Ohren und für das, was dazwischensitzt

::Denkt man heute an französische Gegenwartskomponisten, fallen einem immer noch zuerst die Namen Messiaen und Boulez ein. Die Reihe NDR das neue werk stellt nun drei Komponisten vor, die in der Wahrnehmung der deutschen Konzertbesucher langsam, aber sicher aus dem Schatten dieser beiden Sonnenkönige treten: Henri Dutilleux, Gérard Grisey und Hugues Dufourt.

Für die Musik von Dutilleux hatte sich schon Christoph Eschenbach während seiner Zeit als Chefdirigent des NDR Sinfonieorchesters sehr eingesetzt. Grisey ist einer jener Komponisten, die in den vergangenen Jahren im Zentrum von Simone Youngs "Ostertönen" standen. Nur Dufourt ist hierzulande bislang kaum jemand ein Begriff.

Die Werke des 1943 geborenen Komponisten und Philosophiedozenten sind zum großen Teil von bildender Kunst inspiriert: Bilder und Fotografien von Giorgione, Goya, Pollock oder Nègre standen ihm für seine Tongemälde schon Modell. In dem Orchesterstück "Les Chasseurs dans la neige" (Die Jäger im Winter), das nun vom NDR Sinfonieorchester unter Stefan Asbury aufgeführt werden wird, war es dagegen eine Schneelandschaft von Pieter Brueghel d. Ä. Deren Stimmung übersetzte Dufourt in langsam sich entfaltende, fein instrumentierte, vom französischen Spektralismus inspirierte Klänge.

Von Henri Dutilleux stehen dessen erste Sinfonie, mit der er Anfang der 1950er-Jahre den Durchbruch als Komponist schaffte, und "The Shadows of Time" auf dem Programm. "Shadows of Time" entstand 1995 im Auftrag des Boston Symphony Orchestra zum Gedenken an den 50. Jahrestag des Kriegsendes. Dieses Thema prägt das Stück hörbar. So ist dessen dritter Teil mit der Überschrift "Mémoire des Ombres" (Erinnerung an die Schatten) "Anne Frank und allen unschuldigen Kindern der Welt" gewidmet. Die Musik wird hier vom hellen Klang dreier Kinderstimmen geprägt, die fragen: "Warum? Warum wir? Warum die Sterne?"

Bei Gérard Grisey gibt es für das Hamburger Publikum ein Wiederhören mit dessen klangvollen "Partiels". Was für suggestive Wirkungen der Messiaen-Schüler Grisey durch die völlige Versenkung in das Obertonspektrum eines einzigen Klanges erreichen konnte, zeigte er eindrucksvoll in diesem Ensemblewerk. Wie eine Glocke aus Klang hüllt diese Musik das Auditorium ein. Es ist, als säße man mitten in einer universellen Resonanz.

Nur gute alte Bekannte sind bei "Der Knacks", dem zweiten Konzertprojekt der Neue-Werk-Saison 2010/2011, vertreten: Roger Willemsen, Jan-Müller Wieland und das Ensemble Resonanz. Mit seinem Essay "Der Knacks" traf Willemsen 2008 den Nerv der Zeit: Brüche in der Biografie, Haarrisse im Lebenslauf, Ermüdung, Eintrübung, Enttäuschung, der Einzug des Alters und mit was für biblischen Plagen der moderne Mittelschichtler mittleren Alters sonst noch geschlagen ist, Willemsen fand dafür die rechten Worte.

Auch der Hamburger Komponist Jan Müller-Wieland war von Willemsens "Lebenshunger, Menschenkenntnis und authentischem Stil" so beeindruckt, dass er sich im Auftrag des Ensemble Resonanz an die Vertonung des literarischen Sollbruchstellenkatalogs machte. Als Form wählte er das Melodram, also jene Mischung aus gesprochenem Wort und dramatischer Musikuntermalung, die schon das 19. Jahrhundert als "genre larmoyant" kannte.

Schaut man in Müller-Wielands Partitur, gewinnt man den Eindruck, als würden sich selbst die Namen der Dinge an dieser pessimistischen Weltverschwörung beteiligen. So trägt Roger Willemsen als einziges Sprecherrequisit eine Orchesterschlagzeugpeitsche, die auf Italienisch sinnigerweise "Frusta" heißt. Und der Pianist hetzt im "flotten" Tempo durch Bachs immer hitziger werdendes C-Dur-Präludium, bis die rechte Hand ihm den Dienst versagt. Mitkomponierte Wut- und Schmerzensschreie, ein desertierender Kontrabassist und eine Slapstick-Kadenz lassen vermuten, dass die Herren Willemsen und Müller-Wieland das ernste Thema aller Tragik zum Trotz auch mal von der komischen Seite angehen.

Traum und Schatten 1.10. 20 Uhr, Rolf-Liebermann-Studio

Der Knacks 26.10., 20 Uhr, Rolf-Liebermann-Studio

Karten unter T. 0180/178 79 80