Eine erste Retrospektive zeigt 145 Fotografien des Briten Paul Graham aus der Alltagswelt

Schwere Wolken fliegen über eine flache Landschaft. Das durchbrechende Licht in der Masse strahlt in einem grellen Türkis. Und auch das Grün am Straßenrand leuchtet geradezu unnatürlich. Rote Farbe auf der Straße bildet einen scharfen Kontrast zur dunkel aufgewühlten Landschaft.

Die Fotografie ist Teil der Serie "Troubled Land", die Paul Graham zwischen 1984 und 1986 in Nordirland aufnahm. Bewusst vermeidet der Fotograf spektakuläre Bilder des Bürgerkriegs. Keine Soldaten, keine Bombenattentate. Stattdessen Landschaftsaufnahmen. Erst bei näherem Hinschauen entdeckt man den Militärhubschrauber am Horizont oder den Union Jack in einer Baumkrone. Paul Graham spricht von vergifteter Schönheit.

Der 1956 in England geborene und heute in New York lebende Fotograf wurde für seine komplexe Dokumentarfotografie vielfach mit Preisen ausgezeichnet. Jetzt zeigt das Haus der Photographie in den Deichtorhallen in Kooperation mit dem Museum Folkwang Essen die erste Retrospektive des britischen Fotografen. Die Ausstellung "Paul Graham. Fotografien 1981-2006" präsentiert mit mehr als 145 Bildern aus elf großen Werkgruppen eine repräsentative Auswahl seiner Arbeiten.

Das künstlerische Werk Paul Grahams steht in der Tradition der sozial dokumentarischen Fotografie, die in England nach dem Zweiten Weltkrieg von Fotografen wie Bill Brandt geprägt wurde. Auch amerikanische Fotografen wie Diane Arbus oder William Egglestone haben Einfluss auf seine Bildsprache genommen. Grahams Augenmerk gilt dem Alltäglichen. Nicht immer sprechen seine Arbeiten eine hoffnungsvolle Sprache. In der Serie "Beyond Caring" (1984/85) zeigt er die Auswirkungen neoliberaler Politik in England auf sozial Benachteiligte. Der Fotograf sucht Warteräume in Londoner Sozialämtern auf, fängt die bedrückende Atmosphäre und Niedergeschlagenheit der Wartenden ein.

In vielen Aufnahmen begleitet die Komposition subtil die Erzählung. Und die Farbigkeit - manchmal überhöht, manchmal fast ausgelöscht - steht in engem Zusammenhang zur Bildaussage. Besonders augenfällig ist das in der Werkgruppe "American Night", entstanden zwischen 1998 und 2002. Farbaufnahmen von Fertighäusern in ordentlichen Wohngegenden stehen neben annähernd weißen Fotografien kärglicher Randbezirke. Der Betrachter steht wie blind vor einer sozialen Realität, die ja tatsächlich nur allzu gern ausgeblendet wird. Paul Graham nutzt die Möglichkeiten und manchmal auch Unmöglichkeiten der Fotografie, wie rote Augen und Überblendungen, um Zustände und Stimmungen deutlich zu machen. Weit verbreiteten Praktiken in der künstlerischen Fotografie, wie Inszenierungen, Bildmanipulationen oder Studioproduktionen verweigert er sich dagegen. Er bleibt dicht am authentischen Geschehen.

Paul Graham: Fotografien 1981-2006 23.9.2010 bis 9.1.2011 Haus der Photographie/Deichtorhallen, Deichtorstraße 1-2, Di-So 11.00-18.00, Do 11.00-21.00, Katalog 48 Euro