Das Bucerius Kunst Forum zeigt die autobiografischen Wurzeln in Marc Chagalls Kunst auf

Sein ganzes Leben lang hat der russisch-französische Künstler Marc Chagall die eigene Biografie als Motiv- und Themen-Reservoir für seine Kunst genutzt. Er hat sich an seine Jugend im heute weißrussischen Witebsk erinnert und dem internationalen Publikum damit eine ebenso fantastische wie poetische Vision des osteuropäischen Schtetl vor Augen geführt. Wie stark persönliche Erlebnisse Chagalls Bildwelt beeinflusst haben, lässt sich anhand seiner 1931 erstmals erschienenen Autobiografie bis ins Detail nachverfolgen. Und genau das ist das Thema der Ausstellung: "Marc Chagall. Lebenslinien", die das Bucerius Kunst Forum vom 8. Oktober an zeigt.

"Wir wollen Chagall mit Chagall erklären", sagt Dr. Ortrud Westheider, Leiterin des Bucerius Kunst Forums, zum Konzept der Ausstellung, in der die Chagall-Sammlung des Jerusalemer Israel-Museums erstmals in Deutschland gezeigt wird. Der größte Teil des Bestandes kam als Schenkung von Ida Chagall, der 1994 gestorbenen Tochter des Künstlers, nach Jerusalem.

Ausgangspunkt der Hamburger Ausstellung ist die Liebe des Malers zu Bella Rosenfeld. Chagall lernte sie 1909 kennen und heiratete sie 1915. Die innige Beziehung zu Bella hat Chagall mit der Darstellung zahlreicher Liebespaare zum Ausdruck gebracht. Für Bellas Bücher "Brennende Lichter" und "Erste Begegnung" schuf er auch zahlreiche Zeichnungen. Die künstlerische Zusammenarbeit des Paares wird zum ersten Mal in einer Ausstellung thematisiert. Darüber hinaus sind zahlreiche Selbstbildnisse sowie Szenen mit familiärem Hintergrund zu sehen. Oft ergeben sich aus den biografischen Zeugnissen Erklärungen für Chagalls eigentümliche Motive. So hat der "Fiedler auf dem Dach" ein reales Vorbild: Chagall berichtet, dass sein Großvater eines Tages bei einer Familienfeier vermisst wurde, bis man ihn endlich auf dem Dach entdeckte, wo er einfach das Wetter genoss.

Die Ausstellung versammelt außerdem Arbeiten, in denen sich Chagall mit seiner Rolle als Künstler auseinandersetzt. Ab 1910 lernte er in Paris die Werke der Kubisten, Surrealisten und Fauvisten kennen. Seine erste Einzelausstellung hatte er im Frühjahr 1914 in der Galerie des Berliner Kunsthändlers Herwarth Walden. Schon in dieser frühen Phase bezog sich Chagall thematisch auf seine Herkunft aus dem Schtetl, aber auch auf Riten und Symbole des Judentums.

Die Bedeutung der Religion ist ein weiterer Schwerpunkt der Schau, in der zahlreiche Gemälde, Zeichnungen und Grafiken zu sehen sind, die biblische Texte illustrieren. Das war keineswegs selbstverständlich. Chagall berichtet davon, dass er als bildender Künstler in Witebsk und sogar in seiner Familie auf große Vorbehalte gestoßen ist.

Schließlich gehörte das Bilderverbot des 2. Gebotes zu den Grundfesten des Judentums. Chagall setzte sich darüber hinweg. Wie eindrucksvoll er schon vor dem Ersten Weltkrieg jüdische Tradition mit dem damals zeitgemäßen kubistischen Stil zu verbinden vermochte, zeigt zum Beispiel sein 1912/13 in Paris entstandenes "Selbstbildnis mit sieben Fingern". Es stellt ihn vor der Staffelei dar, wie er an seinem bereits 1911 entstandenen Gemälde "Russland, den Eseln und Anderen" arbeitet. Dass seine linke Hand sieben Finger hat, bezieht sich auf das jüdische Sprichwort, nachdem jemand gute Arbeitet leistet, der etwas "mit sieben Fingern" tut. "Mit seinem malerischen Werk beschwor er die Bildträchtigkeit der jüdischen Kultur. Er machte die chassidischen Traditionen und Gebräuche, mit denen er aufgewachsen war, bildwürdig und nahm damit eine kulturgeschichtlich bedeutsame Umwertung vor", sagt Dr. Westheider.

Marc Chagall. Lebenslinien . 8.10.2010 bis 16.1.2011, Bucerius Kunst Forum, Rathausmarkt 2, Mo-So 11.00-19.00, Do 11.00-21.00, Karten im Museum, im Vvk. und unter www.ticketonline.de , Infos zum Begleitprogramm in Kooperation mit dem Verein zur Förderung des Israel-Museums unter www.buceriuskunstforum.de