Ein Projekttag in der KZ-Gedenkstätte Neuengamme

Das vergilbte Schwarz-Weiß-Foto zeigt die Baracken des Häftlingslagers im ehemaligen Konzentrationslager Neuengamme. Caren, Lisa, Malena und Sherryl betrachten nachdenklich das Bild. Die Schülerinnen aus der Klasse 10a im Gymnasium Meckelfeld stehen vor der Tafel "Häftlingsbaracken" und informieren sich gewissenhaft über die Fakten per Audiostation. Sie schauen abwechselnd auf die Fotografie und die aufgeschütteten Gabionen zwischen den beiden Backsteingebäuden. Die einen halben Meter hohen "Gesteinsfelder" markieren die Barackengrundrisse auf dem Gedenkstättengelände.

"Die 18 Blocks wurden 1940 errichtet", notiert Caren in ihrem Heft. "Sie waren neun Meter lang und die Wände nur zweieinhalb Meter hoch." Sie verstummt einen Moment geschockt. "Das muss sehr eng gewesen sein, wenn man bedenkt, dass 200 Häftlinge in einer Baracke untergebracht waren - und meistens waren es doppelt so viele." Lisa sagt spontan: "Das ist ja grausam. Ein Leben unter diesen Verhältnissen kann man sich doch gar nicht vorstellen."

Die Schülerinnen haben sich für das Thema "Häftlingsalltag im KZ" entschieden und sammeln dafür Fakten und Hinweise. "Das ist der erste Schritt in unserem neuen Projekt Fotografische Spurensuche", erklärt Iris Groschek, die Leiterin der Gedenkstättenpädagogik. Die 23 Schüler konnten sich für verschiedene Themen entscheiden, sind dann ins Gelände ausgeschwärmt, um anhand der alten Fotografien die Plätze zu finden. Das Gymnasium in Seevetal hat mit der KZ-Gedenkstätte einen Kooperationsvertrag geschlossen. Der fünfstündige Projekttag ist nur eines unter mehreren Angeboten der Gedenkstättenpädagogik, Schülern aller Klassenstufen forschendes Lernen am historischen Ort zu ermöglichen.

Der zweite Schritt: Alle kehren zurück ins Gebäude der Hauptausstellung und werden dort von ihrem Guide Sandra Wachtel empfangen. Die Historikerin weist den Arbeitsgruppen zur Vertiefung der Kenntnisse die themenbezogenen Abteilungen in der Hauptausstellung "Zeitspuren: Das KZ Neuengamme 1938-1945 und seine Nachgeschichte" zu. Einige Jungen verspäten sich. Wissbegierig haben sie beim Recherchieren die Zeit übersehen.

"O Gott!" Die vier Mädchen stehen in der Ausstellung vor einer Schlafkoje für Häftlinge. Im engen Holzkasten liegen statt der Matratzen grobe, mit Stroh gefüllte Jutefetzen auf den drei Stockbetten. "Sehen aus wie Kartoffelsäcke", meint Lisa und kann sich nicht vorstellen, wie ein Mensch da schlafen soll.

Die dokumentierte Wirklichkeit scheint die ersten Vorstellungen der Schülerinnen vom KZ-Alltag zu übertreffen. Caren und Malena schauen sich in den Vitrinen die Barackenmodelle an, eine gestreifte Häftlingsuniform. Sie lesen die Berichte über Schikanen der SS-Wärter, betrachten still die Häftlingszeichnungen, die das Elend und den Schrecken darstellen. Sherryl hat sich vor einen Monitor gesetzt, verfolgt aufmerksam die Video-Interviews mit überlebenden Zeitzeugen, die über das Lagerleben berichten, und macht sich dabei Notizen. Sie werden den Mitschülern als "Themenexperten" das gesammelte Wissen in der letzten Projekt-Etappe auf einem selbstständig organisierten Rundgang über das Gelände präsentieren, was sie zum Alltag im KZ herausgefunden haben.

"Als Lehrer will man den Schülern immer möglichst viel Wissen vermitteln", sagt Klassenlehrer Dirk Schöler selbstkritisch. "Aber wir haben herausgefunden, dass es wertvoller ist, nur einen kleineren Teil anzubieten, in den sich die Schüler selbst einarbeiten." Das angeleitete, doch eigenständige Lernen weckt in den Schülern Interesse am Gegenstand. Sie stellen sich dabei neue Fragen.

Bei der gemeinsamen Präsentation zeigte sich dann auch, dass ein Dialog zwischen den Expertengruppen entstand, und sie selbstständig Verknüpfungen zwischen den einzelnen Bereichen herstellen konnten. Sandra Wachtel, die mit Hinweisen auf Quellen in den Ausstellungen und im Offenen Archiv hilfreich das lernende Forschen unterstützte, ist auch überzeugt: "Die intensive Beschäftigung mit einem Einzelthema lässt das Geschehen plastischer werden. Es bleibt besser im Gedächtnis haften." Und Dirk Schöler freute sich, dass sich die Themen im Laufe des Tages wie Glieder einer Kette zusammenknüpfen ließen, und er diesen Projekttag als Anlass für weitere Diskussionen im Unterricht über den Nationalsozialismus und den II. Weltkrieg verwerten kann.

Nach den vielfältigen, sicherlich unerwarteten und auch bedrückenden Erkenntnissen besucht die Klasse zum Abschluss des Projekttags noch das Haus des Gedenkens - zu Minuten des Sich-Sammelns und Innehaltens in der Erinnerung. Die Jugendlichen waren in den vergangenen Stunden erstaunlich konzentriert bei der Sache - wohl begünstigt durch die geforderte Eigeninitiative, den Wechsel der Orte und auch die Perspektiven auf das schreckliche Geschehen.

Sie haben ernsthaft versucht, das Unfassbare fassbar zu machen. "Das, was passiert ist, bleibt unfassbar, aber die Bilder und Eindrücke werden bei den Schülern haften bleiben", sagt ihr Lehrer. "Ich denke, sie haben verstanden, dass es nicht um Schuld geht, sondern um die Verantwortung, dass so etwas nie wieder passieren darf." Dann hätte sich das wichtigste Lernziel des Projekttags erfüllt.