Als verfolgte Christen ist die Familie Kado aus dem Irak geflohen. Nach Jahren zwischen Angst und Hoffnung hat sie in Elmshorn eine neue Heimat gefunden.

Herr Kado lernt Deutsch. Wie gemalt sehen die arabischen Buchstaben in dem kleinen Heft im schwarzen Plastikeinband aus. Rechts das arabische Wort, links das deutsche: "Billig, teuer, kaputt, Fleisch, Hähnchen", liest Botros Kado (63) vor und ein stolzes Lachen breitet sich auf seinem Gesicht aus. Die Wörter hat er bei anderen Irakern aufgeschnappt. Seit Kurzem geht er auch jeden Tag zum Deutschkursus in die Volkshochschule. Zusammen mit seiner Frau Samira (58) und Tochter Lolita (33). Zu Hause sprechen sie Assyrisch, eine alte Sprache der Christen im Nahen Osten, ähnlich dem Aramäischen.

Vor gut sieben Monaten sind die Kados nach Deutschland gekommen. Nach zwei Jahren auf der Flucht, nach Jahren zwischen Todesangst und Hoffnung. Sie gehören zu den ersten irakischen Kriegsflüchtlingen, die sich im Rahmen eines bislang einzigartigen Aufnahmeprogramms in Europa ansiedeln können (siehe Kasten). Von Basra im Süden des Iraks nach Elmshorn in Schleswig-Holstein. "Mein Land gibt es nicht mehr", sagt Botros Kado. Und will gar nicht aufhören, Deutschland zu loben. "Es ist wunderbar. Wir fühlen uns endlich in Sicherheit."

Er sitzt auf dem schweren Sofa in seiner 70-Quadratmeter-Wohnung im zweiten Stock eines gesichtslosen Hochhauses. Ein kleiner, beleibter Herr mit freundlichem Gesicht. Alan Alamsha (33) übersetzt, auch er ist ein christlicher Iraker und Freund der Familie aus Basra. Er kam schon vor zwölf Jahren auf der Flucht vor den Häschern der Saddam-Regierung nach Deutschland, kämpfte sich über Duldungsbescheide und Gerichtsprozess bis zu seiner Anerkennung als Asylbewerber. Jetzt ist er für die Kados die wichtigste Verbindung in die neue Heimat. Auf dem großen Flachbildschirm läuft ein arabischer TV-Sender, eine Gerichtsverhandlung gegen die Mitglieder der Saddam-Regierung. Daneben steht eine Schrankwand - fast leer, bis auf eine Madonnenfigur und ein Bild der Heiligen Familie aus buntem Glas. Sie gehören zu den wenigen Sachen, die sie mitgebracht haben. Keine Fotos, keine Bücher. "Wir haben alles hinter uns gelassen", sagt Samira Kado. Dann huscht ein Schatten über ihr Gesicht. Die Schwiegertochter mit den beiden Enkelsöhnen durfte nicht mit ausreisen, sitzt noch im syrischen Damaskus fest. "Ich habe große Angst um sie", sagt die kleine Frau.

Die Erinnerung an die Zeit der Unterdrückung, der ständigen Angst, des Krieges ist übermächtig. Schon bald, nachdem das Saddam-Regime die Macht übernommen hatte, habe es keine Gottesdienste mehr gegeben. Die Pastoren seien vertrieben oder getötet worden. Die Kirchen ständen leer. Botros Kado, bis dahin ein erfolgreicher Geschäftsmann, musste seine Hotels und Nachtklubs schließen. "Weil wir Christen sind. Sie haben Druck ausgeübt, dass wir Moslems werden." Tochter Lolita, die als Verwaltungskraft in einem Wasserwerk arbeitete, wurde gezwungen Kopftuch zu tragen. "Sonst hätten die mich umgebracht." Fast noch schlimmer, so die Erinnerung, sei die Lage nach dem Einmarsch der Amerikaner geworden. Dann, Ende April 2007, passierte es. "Bewaffnete haben versucht, in unser Haus einzubrechen und meinen Sohn zu entführen", erinnert sich Botros Kado. Es kam zum Kampf, bei dem seine Frau einen Beinschuss erlitt. Bis heute schmerze die Verletzung, sagt Samira und rollt ihr Hosenbein wie zur Bestätigung hoch. Wer die Einbrecher waren, wissen sie nicht. "Aber danach war klar, wir müssen weg." Der Sohn flüchtete mit dem letzten Bargeld nach Schweden, wo schon drei weitere Kado-Töchter lebten. Vater, Mutter, Tochter Lolita und die Familie des Sohnes schafften es bis nach Damaskus.

In Syrien stellten sie sofort den Antrag bei der Uno auf Ausreise nach Europa. So wie Hunderttausende Flüchtlinge auch. Es gab ein zweistündiges Interview, danach hörten sie ein Jahr nichts. "Als der Anruf kam, dass wir auf der Liste stehen, war es ein unglaubliches Gefühl", sagt Botros Kado. "Wir sind so dankbar, dass wir kommen durften." Außer einer Tochter, die im Nordirak lebt, sind inzwischen alle Kinder außer Landes. "Es ist für mich und meine Familie ein großes Glück, noch einmal ein neues Leben anzufangen."

Das, sagt Kado, wolle inzwischen das ganze Volk. "Die meisten wollen nur noch weg." Aber es schaffen nur die allerwenigsten - wie die Kados. Alan Alamsha, der Freund und Übersetzer, nickt. Die Familie, sagt er, hätte auch im Vergleich zu ihm damals einen viel leichteren Start in Deutschland. "Ich musste durchhalten", sagt der junge Familienvater, der jetzt einen kleinen Lebensmittelladen betreibt. Gerade weil er oft harte Erfahrungen in Deutschland hat, will er anderen helfen.

Die Kados haben sofort die Aufenthaltserlaubnis für drei Jahre bekommen. Derzeit leben sie von Hartz IV, auch die 600 Euro Miete werden bezahlt. Viel Kontakt mit den Behörden gibt es nicht. "Es ist ein Glück, dass wir Alan haben", sagt Samira Kado mit ihrem milden Lächeln. Auch die anderen Landsleute in der Region unterstützen sie. Die haben auch das Geld für das TV-Gerät vorgestreckt, genauso wie für den großen Kühlschrank. Ein bisschen haben sie sich schon eingerichtet. Samira kauft ein und kocht, Tochter Lolita verbringt viel Zeit im Internet und chattet mit ihren Freundinnen in Basra. Gerade waren die Töchter aus Schweden zu Besuch. "Unsere Enkel haben wir zum ersten Mal gesehen", sagt Botros Kado. Darüber, dass sie alle drei innerhalb der nächsten Jahre eine Arbeit finden müssen, um nach den Bestimmungen des Ausländerrechts bleiben zu dürfen, macht er sich keine Sorgen. "Das wird schon." Er sitzt oft in dem kleinen Laden von Alan Alamsha, redet und trinkt Tee. Ein bisschen wie zu Hause in Basra. Was sie vermissen? "Ich würde gern einmal einen Gottesdienst besuchen", sagt Samira. "Aber ich verstehe noch nichts."