Der damalige Mannschaftskapitän Andree Cyrkel erinnert sich für das Abendblatt an das ganz große Spiel vor 21 Jahren.

Die Lederhose, gut zwei Jahrzehnte alt, sieht aus wie neu und sitzt perfekt, in der bayerischen Kluft macht Andree Cyrkel eine gute Figur. Damals, am größten Tag des TuS Hoisdorf, haben sie alle so eine "Krachlederne" getragen. Jeder Spieler, die Funktionäre, sogar ein paar Fans.

Es ist der 24. September 1988, DFB-Pokal, zweite Runde. Ein Star-Ensemble aus München reist in den Norden, Klaus Augenthaler, Stefan Reuter, Olaf Thon, ihr Trainer heißt Jupp Heynckes. Es ist das Team, das ein paar Monate später deutscher Fußballmeister wird. Rund 20 000 Zuschauer erwarten nur eines von Mannschaftskapitän Cyrkel und seinen Kameraden: Der Dorfklub aus Stormarn soll dem übermächtigen FC Bayern und all seinen Nationalspielern die Lederhosen ausziehen.

Cyrkel sitzt in seinem Elternhaus in Bad Oldesloe am Küchentisch, er will erzählen von einem Sportereignis, wie es Stormarn seitdem nicht mehr erlebt hat. Oben auf dem Dachboden hat er all die Erinnerungsstücke herausgekramt, Zeitungsberichte, ein Video, Fotos: Cyrkel im Zweikampf, Cyrkel schießt, Cyrkel beim Wimpeltausch mit Augenthaler.

Seine Haare, für den heutigen Geschmack eine Handbreit zu lang, sind vom Wind zerzaust auf dem Bild. Der Tag, an dem die Bayern kommen, ist grau, nass, kalt. Die Lübecker Lohmühle ausverkauft. Knisternde Atmosphäre. Auf den Rängen träumen sie von der Sensation.

"Klar", sagt Cyrkel, "wir hätten gern in Hoisdorf gespielt, aber diese Frage hat sich damals nicht gestellt." Mäzen Günther Bruss plant gerade den Aufstieg in die Zweite Bundesliga, auf die Einnahmen aus dem Ticketverkauf will er nicht verzichten. Seine Planungen sind konkret, auch die Spieler wissen das. "Wir haben gestaunt und gedacht 'Mensch, hier auf dem Dörben bewegt sich richtig was'", sagt Cyrkel.

Wenn er so erzählt, enthusiastisch, mit lauter Stimme, kommt auch Wehmut auf bei ihm. Sein Haar, sichtlich dünner geworden, trägt er kurz, dazu Dreitagebart. 450 Partien auf Drittliga-Niveau hat er, heute 48 Jahre alt, Familienvater, Mitarbeiter eines Rehazentrums, bestritten. Nun sinniert er über "die Pille, die mich noch einmal Regionalliga spielen lässt". Doch die ist noch nicht erfunden, Cyrkel tröstet sich mit Kaffee und Schokolade. Beim VfB Lübeck, dem großen Nachbarn der Stormarner, blicken im Herbst 1988 viele nicht ohne Neid nach Hoisdorf. Ihr Stadion müssen sie einem Rivalen überlassen, statt selbst gegen die Bayern zu spielen. Hoisdorf nimmt die Lohmühle ein: Gemeindevertreter Hans-Ulrich Glanz schwenkt vor dem Anpfiff unten auf dem Rasen eine Fahne mit Gemeindewappen.

Die Münchener haben Respekt, haben einen Beobachter geschickt zu einem Punktspiel des TuS, sich genau informiert. Beim Außenseiter strotzen sie nur so vor Selbstvertrauen nach einer langen Siegesserie. Sie sind bereit, zu Helden zu werden: Spielertrainer und Ex-Profi Manfred Mannebach, Torwart-Routinier Peter Kilian, der gefürchtete Oldesloer Stürmer Matthias Bruszies, der spätere Bundesligaspieler Elard Ostermann und all die anderen. Sie wollen Geschichte schreiben. Am Ende aber soll es nur reichen für ein paar Geschichtchen.

"Ich habe es gleich gesehen in den Augen der Gegenspieler, dass sie heiß waren, konzentriert", sagt Cyrkel. Die Hoffnung, der FC Bayern könnte Hoisdorf unterschätzen, erfüllt sich nicht. Cyrkel: "Wir haben gut mitgehalten, aber die Münchener hatten eine eingespielte Mannschaft. Die haben kombiniert, das ging so schnell wie aus der Pistole geschossen." Armin Eck trifft schon in der 23. Minute, dann Roland Wohlfahrt, noch einmal Eck und schließlich Ludwig Kögl. 0:4, das Ende eines Traums.

Für den FC Bayern ist es ein Pflichtsieg wie viele andere, für den TuS Hoisdorf ein Spiel für die Ewigkeit: Wie sie Hansi Pflügler den Ball durch die Beine gespielt haben, wie Johnny Eckström die Rote Karte sah für einen Tritt gegen Thomas Neumann, das Essen hinterher mit den Stars. "Die Bayern waren kein bisschen arrogant, haben uns das Gefühl gegeben, dass wir dazugehören. Ich dachte, ich sei ein ganz Großer", sagt Cyrkel. Im Hoisdorfer Vereinsheim werden die Spieler von den Fans später empfangen wie Könige. Die Party, bayerische Brezeln, Bier, Zigarren, endet am nächsten Morgen - die Erinnerungen bleiben ein Leben lang.

Manchmal, wenn er Zeit hat, fährt Cyrkel rüber ins Travestadion. Dorthin, wo er als Jugendlicher für den VfL Oldesloe gespielt hat. Er wird dann angesprochen von den Menschen, sie erkennen ihn wieder als einen, der damals dabei war. Sie wollen mit ihm reden über das große Spiel.

Die Mannschaft spielt noch einmal um den DFB-Pokal, ein Jahr darauf, wieder kommt das Aus gegen München - diesmal gegen 1860. Noch eine Saison später verpasst Hoisdorf erst am letzten Spieltag die Aufstiegsrunde zur Zweiten Bundesliga. Mäzen Bruss zieht sich langsam zurück, übergibt an seinen Sohn Oliver. 2001 endet die Erfolgsgeschichte: Abmeldung aus der Oberliga, heute kämpft der TuS in der Kreisliga.

Cyrkel seufzt, er sehnt die alten Zeiten zurück. "Wenn jemand wie Bruss zu mir kommen und sagen würde, dass er noch einmal so etwas aufbauen möchte, ich würde mitmachen, als Manager", sagt er. Die Lederhose für den nächsten großen Auftritt gegen die Bayern liegt schon auf dem Dachboden bereit.