Das wöchentliche Sonntagsmahl hat eine urchristliche Tradition. Doch gemeinsames Essen bietet noch mehr: Genuss, Austausch und manchmal ein paradiesisches Vergnügen.

Vielleicht begann diese Revolution tatsächlich am Küchentisch, als ein einfacher Zimmermann aus Nazareth sich die Freiheit nahm, religiöse Speisevorschriften zu ignorieren. Barmherzigkeit war Jesus wichtiger als das Reinheitsgebot. Ein Affront für die jüdischen Priester, die strikt über die Einhaltung der strengen Speiseregeln wachten. Diese Vorschriften des Kashrut machten es gläubigen Juden fast unmöglich, mit Nichtjuden gemeinsam zu essen. Und Jesus, der Revolutionär, ging noch weiter mit seiner Provokation. "Für ihn wurden Mahlzeiten mit den Menschen am Rande der Gesellschaft geradezu zum Markenzeichen", sagt der Hamburger Theologe Helmut Röhrbein-Viehoff. Mit Zöllnern und Sündern setzte er sich zu Tisch, trank und teilte sein Brot mit ihnen.

Das Christentum sei eine Art Speisereligion, findet Professor Guido Fuchs, Leiter des Instituts für Liturgie und Alltagskultur in Hildesheim. "Schließlich steht in seinem Mittelpunkt ein Mahl, das Abendmahl."

Damit haben die Christen den biblischen Gedanken aufgenommen, denn schon in der jüdischen Tradition spielen gemeinsame, meist häusliche Mahlzeiten an bestimmten Festtagen eine große Rolle. Die christliche Tradition des wöchentlichen Mahls am Sonntag, das Abendmahl, ist angelehnt an die Sabbatfeier der Juden, und nicht von ungefähr ähneln sich die Gebete zur Gabenbereitung und das Tischgebet sehr.

Viele Geschichten im Alten und im Neuen Testament drehen sich ums Essen: das berühmte Linsengericht, für das Jakob sein Erstgeburtsrecht verkaufte. Das gelobte Land, in dem Milch und Honig fließen. Der Apfel, mit dem die Vertreibung aus dem Paradies begann. Die Speisung der Fünftausend - die Liste ließe sich endlos fortsetzen.

Mit der Zeit bildeten sich auch im Christentum Speisevorschriften heraus - nicht so streng wie im Judentum, aber doch so prägend, dass sie bis heute nachklingen bei besonderen Anlässen, die unser Kirchenjahr bestimmen: Fisch am Karfreitag, Lamm zu Ostern, vor allem aber Süßigkeiten zu Festtagen.

Süßes galt als besonders kostbar, weil es selten war, und Seltenes wurde für Segen spendend gehalten, schreibt Klaus Müller in seiner "Kleinen Geschichte des Essens und Trinkens". Süßes habe es im Paradies im Überfluss gegeben, und mit der Vertreibung aus dem Paradies begannen für den Menschen buchstäblich saure Zeiten. Im Schweiße ihres Angesichts konnten sie ihr täglich Brot nun nur noch essen, der karge Acker trug Dornen und Disteln. Nach den paradiesischen Zuständen waren die Menschen nun selbst für ihr Essen zuständig.

Doch die Sehnsucht nach dem Paradies blieb: Nicht wenige Süßspeisen tragen wohl deshalb in ihrem Namen noch göttliche Anklänge, der knallrot kandierte Paradiesapfel vom Rummel genauso wie die beliebte Götterspeise oder "Ein Mundvoll Himmel", ein wahrhaft himmlischer Nachtisch aus Norwegen. Das Wenige - oder den Überfluss - miteinander zu verbinden. Wer sich gemeinsam an den Abendbrotstisch setzt, um miteinander und nicht vor dem Fernseher nebeneinander her zu essen, der übt sich so ganz nebenbei in Rücksichtnahme und erfährt die Fürsorge anderer. Aufeinander warten, darauf achten, dass alle satt werden, miteinander reden und lachen - all das gehört zu einer gelungenen Mahlzeit dazu. Wenn in einer Familie der Esstisch fehlt, dann fehlen auch meist der Austausch, das Interesse aneinander.

Essen mit Fremden zu teilen fällt vor allem dann nicht leicht, wenn das Essen knapp ist. Dass sich Gastfreundschaft lohnen kann, erfährt man in der Bibel: Dort machen Menschen immer wieder die Erfahrung, dass die Gäste, die an die Tür klopfen und um Essen und Obdach bitten, Engel sind - so bei wie Lot, der sie ohne zu fragen aufnimmt und bewirtet. Zum Dank schützen sie ihn und warnen ihn vor der Katastrophe, die Sodom und Gomorrha in Schutt und Asche legt. Der Mensch ist also gut beraten, gastfreundlich zu sein. Vielleicht bieten wir auch deshalb heute noch einem Gast oder Besucher zuerst etwas zu trinken an? Man weiß ja nie ...

Für Gastfreundschaft waren auch die Klöster bekannt - vor allem aber für gutes Essen und Trinken. Die Speisevorschriften, etwa in der Fastenzeit, wurden dort elegant ausgelegt und führten zu einer Verfeinerung der Gemüse- und Fischküche, angereichert mit Eier- und Milchspeisen. Die meisten Klöster hatten eigene Weinberge, brauten Bier und konnten auf Kräutergärten zurückgreifen - hier hielt gutes Essen und Trinken Leib und Seele zusammen.

Auf die Macht dieser Bilder setzen heute vor allem die Hersteller von Bier und Kräuterschnäpsen, aber auch bei Käse wie dem Tête de Moine, dem Mönchskopfkäse, oder anderen Milchprodukten, die die Klöster im Namen tragen.

Essen macht nicht nur satt, sondern auch friedlich. "Wer sein Brot mit einem anderen teilte, der war nicht unbedingt ein Genießer, wurde aber zu seinem Genossen", schreibt Klaus E. Müller in seinem Buch "Kleine Geschichte des Essens und Trinken". Um einen Verhandlungserfolg, einen Frieden oder ein gutes Geschäft zu besiegeln, setzte man sich zum Essen zusammen - bis heute.

Essen soll uns nähren, uns Kraft geben, uns in Einklang bringen mit der Natur. In Zeiten von Genmanipulation, von Massentierhaltung und fragwürdiger ökologischer oder sozialer Verträglichkeit bei der Produktion mancher Lebensmittel keine leichte Übung - und eine Frage der Ethik einer Gesellschaft. "Wenn nichts miteinander geteilt wird, dann kann das bedeuten, dass eine Gemeinschaft Konflikten ausweicht und notwendige Diskussionen nicht führt", provoziert Luzia Sutter Rehmann im Buch "Eine gewöhnliche und harmlose Speise". Denn eine Gemeinschaft müsse Einigkeit erzielen über das, was sie für essbar halte und was nicht, schreibt die Schweizer Theologin, die zu urchristlichen Tischgemeinschaften forscht. Eine Diskussion, die gerade auch von Christen geführt werden muss: Was ist christlich, was ist ethisch vertretbar?

"Gesunde Ernährung schuldet man sich und seinem von Gott geschenkten Körper", findet Fuchs. Fasten lässt das eigene Verhältnis zum Essen spüren und bringt durch bewussten Verzicht oft erst wieder die Freude am Essen und Trinken zurück, an Lebensmitteln, für die im Alltag manchmal die Achtsamkeit fehlt. "Nicht alles haben wollen, was man haben kann, sich beschränken", das mache das Fasten aus, sagt Prof. Fuchs. Denn "die Sinnlichkeit des Essens und Trinkens ist ein Gottesgeschenk, für das wir Dank sagen können", sagt Professor Fuchs. In manchen Familien geschieht das mit dem Tischgebet, auf dem Land segnen die Alten noch das Brot, und im Süden wird das Brot vor dem Backen mit einem Kreuzzeichen versehen. "Manche Tischrituale haben zwar den religiösen Kontext verloren, doch nach wie vor stärken sie das Miteinander wie das An-den-Händen-Fassen und einen ,Guten Appetit' wünschen", sagt Fuchs.

Wie viel Spaß die Kombination von Essen und Glauben machen kann, zeigen eindrucksvoll die beiden Amerikaner Anthony F. Chiffolo und Rayner W. Hesse mit ihrem Buch "Kochen mit der Bibel". Beim Kochen mit viel Experimentierfreude und interessanten Zutaten haben sie die Bibel fest im Blick, denn zu verschiedenen biblischen Motiven entwerfen die beiden opulente Gastmahle.

Leider ist das sinnliche Vergnügen am sonntäglichen Ritual des gemeinsamen Mahls verloren gegangen, die Hostie ersetzt das köstliche Brot, ein kleiner Schluck Messwein wird nur bei den Protestanten ausgegeben. "Wir müssen heute sehr viel erklären, weil das gemeinsame Mahl nicht mehr sinnlich erfahrbar ist", bedauert Helmut Röhrbein-Viehoff.

Manche Gemeinde macht sich auf die Suche nach anderen Ritualen, um das gemeinsame christliche Mahl wieder zu einer ganzheitlichen Erfahrung von Leib und Seele zu machen.

Ob ein Agape-Mahl nach einem besonderen Gottesdienst oder die Tisch-Eucharistie, bei der eine kleine Gruppe gemeinsam am Tisch Abendmahl feiert - neue Ansätze gibt es viele. Denn die Sehnsucht ist groß, und Essen nährt nicht nur den Körper, sondern auch die Seele.

Buchtipps:

"Kleine Geschichte des Essens und Trinkens", Klaus E. Müller, Verlag C. H. Beck.

"Manna & Co. - Kochen mit biblischen Geschichten", Hartmut E. Rätsch, Lutherisches Verlagshaus Hannover.

"Kochen mit der Bibel", Anthony F. Chiffolo / Rayner W. Hesse Jr., C. H. Beck.

"Eine gewöhnliche und harmlose Speise?", Hrsg. J. Hartenstein, S. Petersen und A. Standhartinger, Gütersloher Verlagsh.

Link: www.liturgieundalltag.de