Ihre Beziehung macht Mut, auch wenn sie zeitlich begrenzt ist. Sie zeigt, dass alles möglich ist. Bianca Reißmann und Steffen Mohnke sind ein glückliches Paar. Sie ist unheilbar krank und behindert, er nicht

Eigentlich ist er an diesem Mittwochabend müde nach dem anstrengenden Tag, den vielen Eindrücken in der großen Stadt. Fragt sich, warum er sich hat mitnehmen lassen in die Sporthalle in Altona. Zum Training der Elektro-Rollstuhl-Hockey-Spieler. Doch dann kommt diese Frau um die Ecke gefahren. Steffen Mohnke ist mit einem Schlag hellwach. Es ist ihr Lachen. Es trifft ihn mitten ins Herz. So fröhlich. Wenn es einen Geschmack hätte, wären es wilde Erdbeeren. So voller Hunger nach Leben. "Wow, die muss ich kennenlernen", hat er gedacht. Tatsächlich sitzt er nur da und guckt. Wenn es das gibt, Liebe auf den ersten Blick, dann hat er es gerade erlebt.

Sie bekommt davon nichts mit. Bianca Reißmann rast über das Feld, immer dem kleinen Ball hinterher. Unten an ihrem Rollstuhl ist ein Schläger montiert, den sie über den Steuerhebel des Rollstuhls positioniert. Das kann sie gut. Immer wieder hat sie den Ball, donnert ihn ins Tor. Nach dem Training ist sie schnell verschwunden.

Der Abend ist der Beginn einer außergewöhnlichen Liebe: zwischen dem jungen Mann von der Insel Rügen und der elf Jahre älteren Schwerstbehinderten, deren Muskelkraft langsam, aber unaufhaltsam schwindet. Eine Amour fou. Eine Liebe, die scheinbar Unmögliches möglich macht. Eine Liebe, die Grenzen überwindet. Eine Liebe, die Mut macht.

Steffen Mohnke ist jetzt 23 Jahre alt, Bianca Reißmann 34. Seit fünf Jahren sind sie ein Paar. Der Weg zueinander war nicht einfach. "Ich habe fast zwei Jahre um sie gekämpft", sagt Steffen. Bianca ist seine erste große Liebe. Je mehr er sie wollte, desto heftiger hat sie ihn zurückgewiesen. "Es hat lange gedauert, bis ich mich öffnen konnte. Ich wollte sicher sein, dass er wirklich mich meint", sagt Bianca.

Bianca leidet an Muskeldystrophie, einer Krankheit, an der sie sterben wird

Sie sitzt im Rollstuhl in ihrer Wohnung unweit des Neugrabener Bahnhofs. Ihr hübsches Gesicht verschwindet hinter einer Kunststoffmaske, ein dicker Schlauch führt zu einem ständig jaulenden Beatmungsgerät. Inzwischen muss sie auch tagsüber häufig beatmet werden. Nachts sowieso. Auf dem Tisch steht ein Teeglas. Ab und zu reicht Steffen ihr den Strohhalm an. Eine Geste, die so selbstverständlich wirkt, als wäre er ein Teil von ihr. Bianca kann jetzt nur noch die rechte Hand bewegen.

Progressive Muskeldystrophie heißt die Krankheit. Ein genetischer Defekt, an dem sie seit ihrer Geburt leidet. Und an dem sie sterben wird. Normalerweise sind Männer davon betroffen, in ihrer Familie war es erst die zwölf Jahre ältere Schwester und dann sie. An welchem Typ der Krankheit sie genau leidet, haben die Ärzte bislang nicht herausbekommen. Seitdem sie neun Jahre alt ist, sitzt Bianca im Rollstuhl. Sie hat keine Schmerzen, nimmt keine Medikamente. Und sie weiß, dass es keine Heilung gibt. "Ich habe irgendwann beschlossen, dass ich mich davon nicht unterkriegen lasse", sagt sie. "Dass es nichts Unmögliches gibt, wenn man daran glaubt." Bianca wollte das beweisen. Den anderen, aber auch sich selbst. Sie hat ihren Realschulabschluss gemacht, eine Ausbildung als Bürokauffrau, sie lebt seit Jahren allein, nimmt Gesangsunterricht, tritt als Sängerin auf, trifft viele Freunde - auch ohne Behinderung. Und sie hat Steffen.

Liebevoll schaut er auf die zierliche Frau ihm gegenüber. An diesem Tag trägt sie Leggings, darüber einen modischen Pullover. Es steht ihr gut.

Die rot schimmernden Haare sind hochgesteckt. Sie hat ihm beigebracht, wie man das macht. "Sie ist die Stärkere von uns beiden", sagt Steffen. Ihre Kraft hilft auch ihm, die eigenen Begrenzungen zu überwinden - und an die Liebe zu glauben.

Das hat er schon damals gespürt, in den langen Monaten des Werbens. Als sie ihn immer wieder wegstieß, aus Angst vor einer Enttäuschung. "Ich wusste, dass dahinter ein wunderbarer Mensch verborgen ist", sagt Steffen.

Sätze wie aus einem Liebesroman. Zu schön, um wahr zu sein. Gesprochen von einem gut aussehenden jungen Mann, der mitten im Leben steht. "Natürlich habe mich gefragt, willst du das wirklich: eine Frau, die älter ist, die im Rollstuhl sitzt", sagt er über den 16-Jährigen, der er beim Kennenlernen war. Ein Junge auf der Schwelle zum Erwachsenwerden, der gerade aus der vorpommerschen Provinz gekommen war, um in Hamburg eine Ausbildung zum Orthopädietechniker zu machen. "Der Kopf hat gesagt: Lass es. Aber das Herz hat gesiegt."

Am Neujahrsmorgen 2005, mehr als ein Jahr nach der ersten Begegnung, wacht er zum ersten Mal neben ihr auf. Angezogen, ohne Kissen und Decke. "Wir haben uns geküsst, sonst nichts", sagt Steffen. Langsam habe er es angehen lassen wollen, um sich nichts zu verderben. Bianca sagt: "Es war schön, das Gefühl."

"Liebe will nicht, Liebe kämpft nicht, Liebe wird nicht, Liebe ist, Liebe sucht nicht, Liebe fragt nicht, Liebe fühlt sich an, wie du bist."

Nena hat das gesungen. Und es ist wie der Soundtrack ihrer Liebe. Seit ihrer ersten Nacht ist Steffen nur noch selten in seiner Luruper Wohnung. "Irgendwann habe ich mich daran gewöhnt, dass nachts jede Stunde die Pflegerin reinkommt, Bianca umdreht, die Apparate überprüft." Hauptsache, sie sind zusammen. "Ich schlafe am besten mit ihrem Duft in der Nase."

Für jeden Handgriff ist Bianca auf fremde Hilfe angewiesen

Und morgens wachen sie zusammen auf. Bianca hat einen Teilzeitjob im Büro eines Behindertenverbandes in Sasel. Steffen arbeitet in einem Pinneberger Sanitätshaus. Der Tag beginnt wie bei Millionen anderen Paaren früh. Nur dass Bianca bei allem, was sie tun will, auf Hilfe angewiesen ist: Sie kann nicht allein aus dem Bett, sich nicht waschen, anziehen, auf die Toilette gehen. Inzwischen wechseln sich rund um die Uhr die Pflegerinnen in der Wohnung ab. "Steffen macht das nur im Notfall und im Urlaub", sagt Bianca. Das ist ihnen wichtig. "Partnerschaft ist Partnerschaft, Pflege ist Pflege. Das muss getrennt sein."

Die Liebe der beiden lebt auch davon, dass sie ihrem Alltag so etwas wie Normalität abringen. Es gibt Fernseher und PC, die Bianca über einen Minicomputer mit dem Steuerhebel ihres Rollstuhls bedient. Es ist ihr Zugang in die Welt. Sie hat auch ein iPhone - wegen des Touchscreens, den sie mit den Fingern ihrer rechten Hand scrollen kann. Steffens Idee. Immer wieder fällt ihm etwas ein, das Biancas Leben leichter machen könnte. Die Küche hat er umgebaut. Abends, bevor er nach Hause kommt, kocht Bianca mithilfe der Pflegerin: Königsberger Klopse, Senfeier, Sauerkraut mit Eisbein.

Auch im Schlafzimmer weist auf den ersten Blick nichts auf die schleichende Krankheit hin. An der Wand hängt ein großes Bild einer schönen jungen Frau - Steffens Lieblingsfoto von Bianca. Nur der Krankenlift über dem Bett macht klar, was nicht geht.

Bianca wird Steffen nie umarmen. So zwischendurch, spontan. Es geht nur, wenn er ihre Arme nimmt und sie um sich legt. Auch jeder Kuss ist eine Verabredung. Geschlossen mit den Augen. Und wenn sie sich abends auf dem Sofa zusammenkuscheln, hat er sie vorher vorsichtig aus ihrem Rollstuhl gehoben und hingelegt. Dann bitten sie die Pflegerin, die Tür hinter sich zuzumachen. "Ich habe keine Kraft, aber ich fühle am ganzen Körper", sagt Bianca, und in ihrem Gesicht erscheint ein anderes Lächeln. Ein glückliches, erfülltes. Eins, das von Zärtlichkeit, Liebemachen und der Entgrenzung einer lebenshungrigen Seele erzählt.

"Wir haben über Kinder nachgedacht", sagt Steffen. Er wäre so gern der Vater von Biancas Kindern. Möglich ist das, aber gefährlich für Bianca. Und eine große Verantwortung gegenüber einem werdenden Leben. "Wir haben uns dagegenentschieden", sagt er leise. "Die Gesundheit meiner Frau ist mir einfach wichtiger."

In Deutschland leiden nach Schätzungen mehr als 30 000 Menschen an einer Muskeldystrophie. Es gibt 30 Arten. Am häufigsten ist der Typ Duchenne, der schon im Kindesalter auftritt und ausschließlich Jungen trifft. Die Krankheit ist wie eine Laune des Schicksals.

Sie wird ausgelöst durch eine Mutation der Erbmasse. Schon in den ersten Lebensjahren degenerieren die Muskeln. Auch Herz- und Atemmuskeln sind betroffen. Irgendwann führt das zur vollständigen Lähmung. Viele Patienten sterben schon nach der Pubertät, danach ist jedes Jahr ein Geschenk.

Bianca hat eine andere Form der heimtückischen Krankheit. Dass sie nicht weiß, welche, ist beunruhigend. Und es ist gut. Denn so gibt es auch keine Prognose darüber, wie viele Jahre ihr noch bleiben. Sicher ist nur, viele sind es nicht. Muss einer wie Steffen, ein junger Mann voller Energie und Pläne, da nicht zum Himmel rufen? Seine Wut rausschreien, über die Ungerechtigkeit des Schicksals, das ihm diese schwere Prüfung auferlegt? Denn er hat sie ja gefunden, seine Frau, aber er hat keine Chance, sie zu halten. Oder betet er manchmal um ein Wunder? Dass sie gleich dem Gelähmten, den Jesus in Kapernaum heilt, aufsteht und gehen kann?

Steffen schüttelt den Kopf. "Nein", sagt er einfach. So ist sein Leben nicht. Ein Gefühl der Ohnmacht, ja, das gibt es manchmal. Aber keine Zweifel an der Beziehung. Sogar damals nicht, als er seiner Familie seine Liebe zu Bianca offenbarte und sein Vater das einfach nicht akzeptieren konnte. "Er hat nicht damit gerechnet, dass ich mal mit einer Schwerstbehinderten im Rollstuhl zusammen bin", sagt Steffen. Seine Mutter war es, die den Konflikt nach langen Monaten auflöste und das Paar einlud. "Bianca hat das Bild verändert, das mein Vater von Behinderten und ihrem Leben hatte", sagt Steffen. Man könnte auch sagen, ihr Strahlen hat auch diesen Menschen erreicht.

Inzwischen ist das elterliche Haus auf Rügen behindertengerecht umgebaut, alle paar Monate fahren die beiden zu Besuch auf die Insel. Steffens Freunde sind ihre Freunde geworden. Sie sind gut aufgehoben. Verstehen sich mit Biancas Familie, die inzwischen im selben Haus wie sie wohnt. Natürlich gibt es diese neugierigen Blicke, wenn sie in der Stadt unterwegs sind, auch feindliche. "Aber das macht nichts", sagt Bianca. Es ist, als hätten die beiden einen Schutzschirm um sich. Und dann erzählen sie von einer S-Bahn-Fahrt, bei der sie schmusend beieinandersaßen. "Plötzlich kam eine alte Dame und hat uns umarmt. So hat sie sich über uns gefreut", sagt Steffen. Sie lachen. Beide. Es ist ihre Liebe, die Grenzen überwindet.

Die beiden haben sich verlobt, aber heiraten können sie nicht

Gemeinsam, so scheint es, können sie fast alles schaffen. Biancas Hockey-Mannschaft gehört inzwischen zum HSV-Rollstuhlsport. Steffen hat einen Trainerschein gemacht. "Es ist der einzige Sport, den schwerstbehinderte Menschen machen können." Natürlich fahren sie auf Turniere. Verreisen auch sonst. Waren sogar schon auf Teneriffa. Gerade hat Steffen einen gebrauchten VW-Bus gekauft. "Das macht vieles leichter", sagt er. Auch die gelegentlichen Shopping-Touren in die Stadt, die Ausflüge ins Grüne, um den Frühling zu atmen und die Augen in dem verschwenderischen Blütenmeer zu baden, das Neubeginn verheißt. Abends gehen sie gern essen oder ins Kino. Hinterher sitzen sie an der Bar. Oft wird es spät.

"Ich muss alles jetzt machen, weil es ja irgendwann vorbei sein kann", sagt Bianca. "Und auch damit sich die anderen an etwas erinnern können." Es passiert nicht oft, dass sie Sätze wie diesen sagt. Der Tod ist eine feste Determinante in ihrem Leben, man muss nicht darüber sprechen. Manchmal aber doch. Es ist noch gar nicht lange her, dass sie plötzlich ganz verzweifelt und eifersüchtig war. Es ging um das Thema Rente. Eigentlich banal. Steffen wollte eine Riesterrente abschließen. Für Bianca ein unerträglicher Gedanke. "Ich dachte daran, dass er das Geld irgendwann einmal mit einer anderen Frau und ihren Kindern ausgeben wird." Es wurde eine echte Krise dieser Liebe. "Ich dachte, er verlässt mich", sagt Bianca. Und vielleicht, wenn es früher passiert wäre, wäre es auch so gekommen. "Aber unsere Beziehung ist über die Jahre so gewachsen, dass wir darüber reden konnten", sagt Steffen.

"Glaube, Hoffnung, Liebe, diese drei, am größten jedoch unter ihnen ist die Liebe", schreibt Paulus in seinem ersten Brief an die Korinther. Bianca und Steffen wissen, dass sie ihren Himmel auf Zeit haben. Es gibt nur das Jetzt. Ist das nicht einer dieser Ratschläge von spirituellen Lebensberatern und Glück verheißenden Sinnstiftern? Etwas, nach dem viele streben und es doch nicht schaffen? Für Bianca und Steffen ist es der Weg. Der einzige, den sie gehen können.

In den vergangenen Jahren hat sich Biancas Zustand verschlechtert. "Ich weiß, was auf mich zukommt." In nicht allzu ferner Zukunft wird sie komplett gelähmt sein, vielleicht sogar künstlich ernährt werden müssen. Natürlich macht ihr das Angst. Aber mit Steffen hat das Leben einen Sinn. "Er hat mich heimgeholt." Bei ihm traut sie sich zum ersten Mal loszulassen, die ruhelose Suche nach ihrem Traum zu unterbrechen, mit dem sie ihre verletzliche Seele zu schützen versucht. "Er hat mich gerettet." Und sie ihn. "Ich habe zum ersten Mal jemand, bei dem ich mich geborgen fühle. Ich kann mit Bianca über alles sprechen", sagt Steffen. Im vergangenen Jahr haben sie sich verlobt. Alles war geplant für die Hochzeit. Sogar einen Termin gab es schon. Doch dann stellte sich heraus, dass mit einer Heirat die finanzielle Unterstützung für Biancas Pflegeleistungen drastisch gekürzt werden würde. "Als mein Ehemann wäre Steffen dafür mit zuständig", sagt Bianca und schüttelt den Kopf. Genau das ist es, was sie nie wollte. "Ich hätte so gern seinen Namen getragen, aber ich kann ihm nicht auf der Tasche liegen. Wir haben die Hochzeit abgesagt."

Die Enttäuschung sitzt immer noch tief. "Unser größter Wunsch ist, zu heiraten und unsere Leben wirklich zu vereinen", sagen sie. Es wäre das Fest ihrer Liebe. Einer Liebe, die dem Tod trotzt.