Für die Kritiker rückt der Überwachtungsstaat immer näher. Mit der Speicherung aller Verbindungsdaten von Telefon und Internet stelle der Staat seine Bürger unter Generalverdacht.

Berlin. Auch der Bundes-Datenschutzbeauftragte Peter Schaar warnt vor einem gläsernen Bürger. Die massive Kritik richtet sich gegen ein Gesetzesvorhaben, das wahrscheinlich schon kommende Woche vom Bundestag verabschiedet wird. Die verantwortliche Bundesjustizministerin Brigitte Zypries (SPD) wehrt sich gegen die Kritik und hält viele Einwände für übertrieben oder falsch.

Der Zypries-Entwurf hat zwei Teile, die nichts miteinander zu tun haben und ebenso hätten getrennt behandelt werden können. Das Verständnis für das komplizierten Paragrafenwerk wird dadurch nicht erleichtert. Zum einen wird die Telefonüberwachung neu geregelt. Dabei geht es um die Frage, bei welchen Straftaten diese zulässig ist und wie weit das Zeugnisverweigerungsrecht von Berufsgeheimnisträgern wie Strafverteidigern, Abgeordneten, Ärzten oder Journalisten geht. Mit der Vorratsdatenspeicherung setzt Deutschland eine EU-Richtlinie um, die auch eine Folge des Anti-Terror-Kampfes ist.

Bei der Kommunikationsüberwachung befürchten Kritiker eine Aushöhlung der Pressefreiheit, bei der Vorratsdatenspeicherung denken manche an George Orwell, der die düstere Utopie eines Staates entwarf, der alles wissen will. Es ist vielleicht auch die Summe immer neuer Maßnahmen, die bei vielen Bürgern Unbehagen und diffuse Ängste auslösen: die zahlreichen Anti-Terror-Gesetze, der digitale Fingerabdruck und das digitale Passbild, demnächst womöglich die Online-Durchsuchung.

Kurz vor der anstehenden Verabschiedung versucht Zypries, die ansonsten weitaus weniger als ihr Kollege Wolfgang Schäuble (CDU) kritischen Anwürfen ausgesetzt ist, noch einmal dagegenzuhalten. Auf europäischer Ebene habe Deutschland bei der Vorratsdatenspeicherung Schlimmeres abgewehrt. Wären die ursprünglichen Pläne umgesetzt worden, hätten die Verbindungsdaten 36 Monate und selbst erfolglose Anrufversuche gespeichert werden müssen. Zudem hätten mit Hilfe der Mobilfunkdaten Bewegungsprofile erstellt werden können. All dies sei nicht gekommen.

Die jetzt schon aus Abrechnungsgründen übliche Speicherung der Verbindungsdaten und nicht der Gesprächsinhalte von einem Vierteljahr werde auf ein halbes Jahr ausgedehnt, so Zypries. Erfasst werden die Daten nicht vom Staat, sondern vom jeweiligen Telekommunikations- Unternehmen. Auf die Daten kann dann nur im Zuge einer Strafverfolgung zugegriffen werden.

Beruhigt haben Kritiker diese Versicherungen aber nicht. In einem bereits 2006 vorgelegten Gutachten brachte der Wissenschaftliche Dienst des Bundestages Bedenken gegen die Speicherung vor. Der Deutsche Anwaltsverein hält die Vorratsdatenspeicherung gar für rechtswidrig, weil die Richtlinie in der EU nur einstimmig hätte beschlossen werden können. Die Internetwirtschaft befürchtet zudem, Millionen in die neue Speichertechnik investieren zu müssen.

Bei der von Zypries als Verbesserung verteidigten Telekommunikations-Überwachung sehen Kritiker das verfassungsrechtlich geschützte Fernmeldegeheimnis in Gefahr. Niemand will dem Staat das Recht absprechen, Kriminelle zu überwachen. Aber zahlreiche Vorgänge in der Vergangenheit haben das Misstrauen geschürt. So etwa das Vorgehen gegen das Magazin "Cicero": Weil in einem Bericht über den inzwischen getöteten Terroristen Abu Mussab al-Sarkawi aus "Verschlusssachen" zitiert wurde, durchsuchten Polizei und Staatsanwaltschaft Büro und Privaträume des Journalisten und beschlagnahmten auch sogenannte Zufallsfunde. Dies soll, sagt Zypries, so nicht mehr möglich sein.

Auch den Vorwurf, dass es künftig ein Zeugnisverweigerungsrecht erster und zweiter Klasse geben werde, will die Ministerin nicht gelten lassen. Nach ihrem Entwurf sind Seelsorger, Strafverteidiger und Abgeordnete absolut, Ärzte oder Journalisten nur relativ vor Ermittlungen geschützt. Die große Zahl von Berufsgeheimnisträgern - darunter auch Hebammen - generell von Strafverfolgung auszunehmen, lehnt Zypries aber ab. Den Medien versichert sie, dass mit ihrem Entwurf gleichwohl der Schutz ausgebaut werde.