In einer Woche startet die 15.000-Kilometer-Rallye - einem Autonarren aus Drochtersen kommt dabei eine besonders wichtige Rolle zu.

Hamburg. Die Nachbarn gucken nicht mehr hin. In Drochtersen hinterm Deich an der Elbe kennt man den Schrauber und sein Faible - hier sagt man "Spleen" - für Autos und Motorräder. Wenn sich das imposante Elektrotor der zweigeschossigen Garage öffnet, kommt eine auf Hochglanz polierte Fahrzeugsammlung zum Vorschein, 13 Motorräder und zwölf Autos, meist Oldtimer. Svend-Jörk Sobolewski lächelt verlegen und streicht über die staubfreie Kühlerhaube eines Mercedes 170 V von 1949. "Den habe ich vor zehn Jahren bei jemandem entdeckt, der pleiteging." Daneben steht ein sogenannter Hausfrauenporsche 924. "Den habe ich mal für 900 Euro gekauft und dann 3500 Euro investiert, bis alles schließlich so aussah, wie es sein muss." Ähnlich war es auch bei dem Saab 900 16 V und dem Rolls-Royce von 1969.

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Seine Leidenschaft für alte Autos, seine Überzeugung, jeden Motor zum Laufen bringen zu können, und vor allem seine Passion für das Autofahren haben sich in der Rallyeszene herumgesprochen und dem 51-jährigen Unternehmer jetzt eine ganz besondere Herausforderung beschert. Er soll die 22 Teilnehmer der Old- und Youngtimer-Rallye "New Silk Road" von Hamburg nach Shanghai durch die Weiten Russlands, über die Pässe des Hindukusch, durch die Taklamakan-Wüste und die Ausläufer des Himalaja führen. Und er soll vor allem dafür sorgen, dass keines der Liebhaberstücke auf der Strecke bleibt. 15 000 Kilometer, 56 Tage, acht Länder stehen auf dem Programm. Am 19. August ist Start am Chinesischen Teehaus in Hamburg-Rotherbaum, Zieleinlauf ist am 10. Oktober in Shanghai - hoffentlich für alle.

Die Verantwortung, die sich der norddeutsche Autonarr mit der Übernahme von Organisation und Durchführung der anspruchsvollen Tour aufgeladen hat, ist groß. Das spürt er. Mit dieser ungewöhnlichen Rallye entlang der legendären Seidenstraße, die der Hamburger Veranstalter China Tours vor einigen Jahren ins Leben rief, erfüllen sich die Teilnehmer einen Lebenstraum - und bezahlen 13 000 Euro pro Kopf. Auf der Anmeldeliste stehen Schlossbesitzer, Rentner, Vorstände und Rechtsanwälte, viele nehmen ihre Ehefrauen mit. Es wird nicht auf Zeit gefahren, Ankommen ist das Ziel. 14 Sonderfahrprüfungen sind zu bestehen, vor allem in den Wüsten Chinas. Zwei Mechaniker in einem Werkstattbus und drei Ärzte, darunter zwei Unfallchirurgen, wechseln sich während der achtwöchigen Extremtour ab. Je nach Beschaffenheit der Piste sind täglich 300 bis 400 Kilometer zurückzulegen. "Bedenken? Ach was, das klappt schon. Sämtliche Ersatzteile sind besorgt, Zollbestimmungen gelesen und Einfuhrgenehmigungen erteilt", sagt Sobolewski schmunzelnd, während er die Landkarte von Kasachstan zusammenfaltet und in den Stapel schiebt.

Der Vater von zwei erwachsenen Söhnen kennt die Strecke. Vor zwei Jahren hat er sie als zahlender Teilnehmer in einem Mercedes 450 SLC selbst zurückgelegt. "Aber ich war damals in einer schlimmen körperlichen Verfassung." Acht Wochen vor Tourbeginn zog er sich bei einem Motorradunfall einen offenen Oberschenkelbruch zu, auch beide Unterarme waren durch. Die Ärzte rieten ihm von der Rallye ab. "Aber mein rechtes Bein war heil. Ich konnte also das Gaspedal bedienen. Da war mir klar: Ich fahre mit."

Schon allein wegen des Handicaps war die Rallye alles andere als ein Spaziergang. "Abends bin ich erschöpft mit meinen Krücken ins Hotel oder Zelt gehumpelt. Da habe ich mir geschworen, dass ich diese Rallye noch einmal machen werde", erinnert sich der jungenhafte Mann. Schon mehrmals hätte er sterben können, "so oft wie ich durch Windschutzscheiben und über Leitplanken geflogen bin", sagt der gelernte Groß- und Außenhandelskaufmann. Er schüttelt ungläubig den Kopf. Welche Ironie des Schicksals, eines Tages in seinem eigenen Krematorium zu landen. Der profitable Betrieb mit rund 7000 Verbrennungen pro Jahr steht ganz in der Nähe, in der Kreisstadt Stade westlich von Hamburg, und zählte noch Ende der 90er-Jahre zu den ersten privat betriebenen Feuerbestattungsanlagen der Republik. Heute plant und baut die Firma Cremtech, die Sobolewski mit seinen einstigen Schulfreunden führt und die 40 Mitarbeiter hat, Krematorien für Kunden europaweit.

Seine Frau Kirsten, die in der Anästhesie eines Krankenhauses arbeitet, fährt nicht mit nach Shanghai. Sie kennt Svend-Jörk seit 30 Jahren, und sie kennt seine Geschichten. Auch die vom Globus, den ihm sein Vater geschenkt hat. "Mein Vater fuhr zur See und war selten zu Hause. Meine Mutter erklärte mir immer anhand des Globus, wo er sich gerade befand. Mich hat schon als kleiner Junge immer brennend die Frage interessiert, ob man nach Asien, vor allem nach China, auch mit dem Auto hinkommt." Auf dem nahe gelegenen Schrottplatz fand der Neunjährige Motorteile sowie Mopedwracks - und bei der Werkstatt um die Ecke fachlichen Rat. Bald kannte er sich aus mit den Vorteilen von englischen Motoren und wusste, was Getriebeübersetzungen sind. Als er 25 Jahre alt war, hat Sobolewski 30 Fahrzeuge gekauft, zurechtgebastelt und wieder verkauft - oder zu Schrott gefahren.

Das Telefon klingelt. Ein Rallye-Teilnehmer hat Bedenken, ob die Materialliste vollständig ist. Sobolewski freut sich über solche Anrufe. "Das sind Leute, die sich mit den Eventualitäten der Rallye auseinandersetzen. Was sie nicht wissen: dass die Mangelwirtschaft in den meisten Ländern gen Osten die Menschen sehr erfindungsreich gemacht hat. Je schlechter das Land, desto besser die Mechaniker. In Usbekistan sind sie besonders fantasievoll." Man darf gespannt sein, ob die Automechaniker vom Hindukusch Gelegenheit bekommen, dem Autoschrauber aus Drochtersen noch etwas beizubringen.