Eine exklusive Probefahrt mit dem ersten Rolls-Royce 102EX in England. Ob sich das Luxus-Elektroauto durchsetzen wird, ist jedoch fraglich.

Wenn dieser rein elektrisch betriebene Rolls-Royce in Serie geht, dürfen sich Chauffeure auf viele Kreuzworträtsel freuen. Denn nach spätestens 150 Kilometern ist nachladen angesagt. Das dauert mit einem Starkstrom-Anschluss etwa acht Stunden, bei haushaltsüblicher Spannung sogar fast einen ganzen Tag. Ob der Fahrer derweil im luxuriösen Fond ruhen muss oder die verbleibende Dienstzeit daheim absitzen darf, ist seinem Verhandlungsgeschick überlassen.

Der zum Genfer Automobilsalon im März erstmals gezeigte Elektro-Phantom mit der Bezeichnung 102EX ist mit 96 Lithium-Ionen-Zellen bestückt. Sie allein wiegen 640 Kilogramm. Das Auto könnte eines Tages das Umweltgewissen von Kunden erleichtern, die genügend weitere Fahrzeuge besitzen und sich im Strom-Phantom nur zum nächsten Flughafen oder Golfplatz chauffieren lassen, wobei winterliche Außentemperaturen und Autobahntempo nahe der Höchstgeschwindigkeit von 160 km/h den Radius auf weniger als 100 Kilometer begrenzen. Ob es bei einer einmaligen Spielerei deutsch-britischer Ingenieure bleibt oder ein ernsthaftes Projekt daraus werden kann, lässt Rolls-Royce in den nächsten Monaten evaluieren. Der nahezu lautlose E-Phantom geht dafür auf Tournee zu Händlern und Kunden. Sie müssen entscheiden, ob die herrschaftliche Mobilität in eine grüne Zukunft fährt. Was sie dort erwartet, haben wir auf englischen Straßen schon einmal erfahren.

Von außen nur an den fehlenden Auspuffendrohren und einer Steckdose in der rechten C-Säule vom Phantom mit normalem Motor zu unterscheiden, ist im Innenraum des 102EX zunächst keine Besonderheit feststellbar. Die bekannten Armaturen zeigen auch den Ladezustand der Batterien an, die Temperaturanzeige weist kritische Werte der elektrischen Komponenten aus und in der Mittelkonsole informiert ein Batterie-Symbol, ob man passgenau über der im Garagenboden eingelassene Platte für die Induktionsladung der Batterien parkt. Bei dieser kontaktlosen Ladefunktion muss sich niemand mehr die Finger schmutzig machen.

Die Elektromotoren liegen dort, wo sich sonst der Benzintank befindet

Etwas unsicher starten wir den E-Rolls, wir möchten ja keinen Fehler begehen. Doch was heißt hier starten? Außer zahlreichen Kontrollleuchten scheint nichts in Betrieb zu sein. Wir legen den Ganghebel in "D" und geben vorsichtig Gas. Gespenstisch leise schiebt den Rolls-Royce etwas an, das wir nicht hören und sehen. Es sind die zusammen 290 kW/394 PS starken Elektromotoren im Heck. Sie liegen dort, wo üblicherweise der Benzintank ruht, und treiben die Hinterräder an.

In diesem E-Phantom arbeitet alles mit Strom, auch die Klimatisierung, die Lenkung, die Bremskraftunterstützung und nach wie vor die Hundertschaft kleiner Helfer, die sich um die richtige Sitzposition, das Ambientelicht und die Kühlung des Champagners kümmern. Mutig geworden, weil das Fahrgefühl zunächst kaum anders erscheint als im konventionellen Phantom, senkt sich der Gasfuß, und jetzt setzt ein leichter Charakterwandel ein: Da ist das leise Wimmern aus dem Antriebsstrang, wie wir es von einer Straßenbahn kennen. Dann hebt der E-Phantom stolz den Bug und tritt von 800 Newtonmetern getrieben kräftig an. Ohne Schaltpausen geht es in weniger als 8 Sekunden auf 100 km/h und weiter bis maximal 160 km/h, wo elektronisch abgeregelt wird, um mit dem gespeicherten Strom zu haushalten. Wer auf musikalische Untermalung seiner Fahrt verzichtet, hört außerdem leise Abrollgeräusche der Reifen, dazu wie der Wind um die Fenster streicht und ab und an ein leichtes Knarzen des Leders, wenn sich ein Mitfahrer auf seinem Sitz bewegt.

Trotz aller Noblesse geht der 102EX nicht verschwenderisch mit seiner Energie um. Beim Bremsen und Verzögern wird auf eine zweistufige Rekuperation gesetzt: Am Lenkrad rechts kann man die normalerweise mit 120 Nm Bremskraft arbeitende Rückgewinnung auf 210 Nm fast verdoppeln. Vom größeren Bremsmoment spüren die Passagiere nichts, wenn der Fahrer sanft mit dem Gasfuß jongliert. In diesem Modus benutzt der umsichtige Chauffeur die mechanische Bremse sehr selten, was der Reichweite am Ende zugute kommt.

Wer soll so ein Auto kaufen? Vielleicht Millionäre, die auch künftig standesgemäß in der City vorfahren wollen, selbst wenn diese für Autos mit Verbrennungsmotor längst gesperrt ist. Dass die zu drei Batteriesätzen gebündelten Energiespeicher des 102EX nach aktuellem Marktwert rund 50 000 Euro extra kosten, dürfte einer gut bestallten Klientel angesichts des Grundpreises von mehr als 400 000 Euro für Benzin-Phantom kein Kopfzerbrechen bereiten. Und weil in diesen Kreise mehr auf Kleinigkeiten geschaut wird, dürfte noch etwas für den Elektro-Phantom sprechen: Eine komplette Batteriefüllung mit Strom könnte notfalls der Chauffeur aus eigener Tasche bezahlen. Sie kosten nicht mehr als 10 Euro.