Karbonkarosserie, Flügeltüren und 600-PS-Motor: auf Testfahrt mit dem McLaren-Sportwagen MP4-12C, der auch in Hamburg zu bestaunen ist.

Ein neuer Tiefflieger drängt auf die Überholspur: Bald 20 Jahre nach dem legendären F1 baut der britische Rennstall McLaren jetzt wieder einen Straßensportwagen. Der strengen Nomenklatur der Formel-1-Renner folgend, hört er auf das Kürzel MP4-12C und ist seit kurzer Zeit auch beim Hamburger McLaren-Standort am Weg beim Jäger in Groß Borstel zu bewundern. Exakt 200 000 Euro werden beim Kauf fällig.

Zeit, die sperrige Modellbezeichnung MP4-12C auszusprechen, bleibt dem Fahrer kaum: Bis man die Buchstaben über die Lippen bekommen hat, zeigt der Tacho schon mehr als 200 km/h, und der Horizont kommt einem gefährlich nahe. Denn schärfer, präziser und schneller als der Exot aus England fährt kaum ein anderer Spitzensportler dieser Preisklasse. Und dank Karbonkarosse, aktiver Aerodynamik, adaptivem Fahrwerk und Bremshilfe beim Lenken ist keiner technisch so nah an der Formel 1 wie der Bolide aus Woking unweit von London. Das sichert McLaren eine Stellung im Wettbewerbsumfeld, die das Unternehmen aus dem Rennbetrieb bestens kennt: die Pole Position.

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In Fahrt bringt den Zweisitzer ein Mittelmotor mit acht Zylindern und nur 3,8 Liter Hubraum, der aber dank zweier Turbolader 600 PS leistet und mit bis zu 600 Newtonmeter Drehmoment zur Sache geht. Lässt man die Finger vom Setup für Antrieb und Fahrwerk, gibt sich der Motor handzahm und lammfromm. Man kann den McLaren buchstäblich mit dem kleinen Finger fahren, der V8 dreht kaum über 2000 Touren, die Doppelkupplung wechselt fast unmerklich die Gänge, und im Auto ist es flüsterleise. Dauerläufe von Hamburg nach München sind damit fast so entspannt möglich wie in einer sportlichen Limousine.

Doch wehe, man dreht an den beiden Schaltern auf der Mittelkonsole. Im Sport- und erst recht im Track-Modus zeigt der Wagen sein wahres Gesicht. Die Drehzahlen schnellen bis weit in den 8000er-Bereich, jeder Gangwechsel fühlt sich stark und schnell an wie der Tritt eines Karate-Kämpfers. Und der Motor brüllt selbst die innere Stimme nieder, die den Fahrer vergebens zur Vernunft mahnt. Zu verführerisch ist die Selbstverständlichkeit, mit der sich die 1,3 Tonnen leichte Karbonflunder in 3,3 Sekunden auf Tempo 100 und in weniger als zehn Sekunden auf 200 km/h katapultieren lässt. Zu spektakulär ist die Leichtigkeit, mit der der Wagen durch die Schikanen wedelt, und zu faszinierend die Präzision, mit der er sich an die Ideallinie heftet: Die Formel-1-Technik macht die Jagd nach der Bestzeit zum Kinderspiel und weckt in jedem von uns einen kleinen Lewis Hamilton. Wer genügend Mut hat und eine hinreichend lange Gerade findet, ist mit 330 km/h sogar schneller als mancher Grand-Prix-Pilot. Dass bei derartigen Spielen die teuren 20-Zoll-Reifen auf der Hinterachse schneller in Rauch aufgehen als später die Zigarre im Drivers Club und der Bordcomputer dann locker mal einen Verbrauch von 20 Litern anzeigt - wen juckt das schon in dieser Liga? Bei maximal 2000 Autos im Jahr können selbst Klimaschützer gelassen bleiben. Außerdem ist der Wagen mit 11,7 Litern zumindest im Normzyklus vergleichsweise sparsam.

So spektakulär die Fahrleistungen und so raffiniert die Technik, so zurückhaltend ist das Design: Nicht dass es ihm an Sportlichkeit mangeln würde, und zumindest die Flügeltüren sorgen vor dem Kasino von Monte Carlo oder jedem Nobelhotel zwischen Moskau und Miami für den richtigen Showeffekt. Doch wo andere Sportwagen dieses Kalibers aggressiv und provozierend wirken, bleibt der Brite höflich und zurückhaltend. Einzig die riesigen Kiemen an der Flanke, die unkonventionellen Endrohre auf Hüfthöhe, der ausklappbare Spoiler vom Format eines Bügelbretts und das Fenster zum Motorraum im Heck lassen vermuten, welch heißes Herz unter der kühlen Hülle aus lackiertem Karbon schlägt.

Gebaut wird der Zweisitzer am Stammsitz in Woking, wo auch der Formel-1-Rennstall und die Entwicklung zu Hause sind. Kurze Wege, ein reger Personalaustausch und gemeinsame Mittagspausen sollen dafür sorgen, dass der Geist der Rundstrecke auch auf der Landstraße lebendig bleibt. Das merkt man selbst an kleinen Details: Nach den abschließenden Testfahrten von Lewis Hamilton wurde zum Beispiel extra noch einmal der Bezug des Lenkrads modifiziert. Wer dem MP4-12C jetzt ins Steuer greift, hat exakt das gleiche Gefühl in den Fingern wie der Profi in seinem Formel-1-Renner.