Wer heute ein Cabrio fährt, will nicht zur Masse der Mobilen gehören. Hunger nach Aufstieg symbolisieren diese Autos aber nicht mehr.

Hamburg. Den Finnen sagt man nach, sie hätten eine Ahnung vom Autofahren. Häkkinen, Mäkinen, Grönholm, Rosberg - das sind klingende Namen aus dem Rallyesport und der Formel 1; es gibt noch einige mehr. Und bei allem, was Finnen über den Umgang mit Autos wissen, sollte uns zu denken geben, was sie ablehnen: Cabriofahren. Nur 0,2 Prozent aller in Finnland neu zugelassenen Autos haben ein Dach, das man öffnen kann.

Es liegt nicht an einer konservativen Grundhaltung wie bei den Iren (0,4 Prozent), am frischen Wetter wie bei den Dänen (0,5 Prozent) oder an der Hitze wie bei den Italienern (0,9 Prozent) - die Finnen, ein ebenso wohlhabendes (Nokia) wie kluges und erfolgreiches Volk (PISA), wollen einfach nicht offen fahren. Zwar ist das Cabriolet nirgends ein Erfolgsmodell, und die Lobgesänge auf diese spezielle Form des Automobils sind immer nur ein Beispiel für gefühlte Wirklichkeit. Aber wenn 2,7 Prozent aller deutschen Neuzulassungen auf Cabrios fallen, dann ist hier der Wille zum Offenfahren immerhin 13,5-mal stärker ausgeprägt als in Finnland. Das wird nur noch von den Engländern übertroffen, die 3,4 Prozent Cabrioanteil haben.

Man könnte die These aufstellen, dass neben einem gewissen Wohlstandsniveau und mittelmäßigen Wetterbedingungen auch das Vorhandensein vieler großer Städte das Cabriofahren begünstigt. Wie der Geländewagen nichts fürs Gelände ist, sieht man auch Cabriolets nicht vorwiegend über Alleen schnüren. Sie zeigen sich am liebsten in der Großstadt, gern nachts und wenn irgendeine Fußballmannschaft Großes erreicht hat. Die Promenade, und nicht nur die am Strand von Nizza, ist der natürliche Lebensraum des Cabriolets. Ich fahre, also bin ich. Ich öffne das Dach, also bin ich mehr.

Ist das zu kritisieren? Höchstens, wenn die Klapp- und Faltmechanismen den Autos der Rolls-Royce-Kategorie vorbehalten blieben. Doch das Cabriolet hat sich, seinem niedrigen Marktanteil zum Trotz, weit in die Mitte der Gesellschaft bewegt. Gut 80 000 Stück kommen allein in Deutschland jedes Jahr neu hinzu, selbst im Krisenjahr 2009 wuchs der Bestand (auf 1,7 Millionen), das können nicht allein die Schönen und die Reichen bewältigen.

Ein Cabrio, das seine Wintertauglichkeit preist, dies ist nicht wenigen Fans ein Gräuel. Doch der praktische Wert wird in der Masse immer höher eingeschätzt als das Festhalten an der reinen Lehre. Und die Kraft des Durchschnitts soll niemand unterschätzen, sie trägt Phänomene wie Dieter Bohlen, den Bausparvertrag und den VW Golf.

Dennoch hebt sich ab, wer ein Cabrio steuert - zumindest sobald er das Dach nach hinten klappt. Der zausende Wind im Haar, das Stürmen um die Windschutzscheibe und die überraschende Kühle selbst an warmen Tagen - weder die geöffnete Scheibe noch das Schiebedach bieten Vergleichbares. Die legendäre Ente war nie ein Cabrio, was seinerzeit bei Citroën auch niemand behauptet hat. Heute beim Fiat 500 oder beim Smart mit seinem nach hinten gleitenden Stoffdach ist das anders: Sie werden als Cabriolets angeboten und verdienen nur eine Antwort: Falsch, falsch, falsch!

Puristen neigen sogar dazu, auch die Klappdach-Konstruktionen abzulehnen. Nicht weil ihnen ein Verdeck fehlt, sondern weil wegen der Dachkonstruktion die Windschutzscheibe sehr weit nach hinten ragt. So weit manchmal, dass der Kopf des Fahrers nicht nur hinter, sondern auch unter der Scheibe zu sehen ist, was wiederum die Windverhältnisse eher in Richtung Schiebedach beeinflusst. Aber auch hier nimmt der Mainstream wenig Rücksicht: Wind und Kühle scheinen gar nicht mehr so erwünscht zu sein. Kaum ein Cabrio, das ohne Klimaanlage ausgeliefert wird. Selten, dass es ohne Sitzheizung auskommen muss. Meist wird auch noch ein Windschott geordert. So sieht man sie dann mit hochgezogenen Seitenscheiben ihre Runden drehen, und ganz leise, schüchtern fast zupft der Wind am oberen Deckhaar. Selbst um einen rebellischen Roadster zu besitzen, muss man wirklich wohlhabend sein: Sie sind zwar immer noch enge Zweisitzer mit Heckantrieb und knappem Verdeck. Doch haben sie wenig mit den puristischen Fahrmaschinen zu tun, die vor allem Italiener und Engländer der Menschheit bescherten.

Nachdem die Zeit über diese Sorte Auto beinahe hinweggegangen war, retteten ausgerechnet die Japaner das Roadster-Genre. Der Mazda MX-5 hat zweifellos diese Szene demokratisiert, und ohne seinen Erfolg hätte sich vielleicht Porsche noch getraut, den Boxster zu machen, denn Porsche kann sich alles trauen. Aber Audi TT, Mercedes SLK, BMW Z3/Z4 - sie verdanken ihre Existenz dem kleinen Roadster aus Fernost. Müssen wir erwähnen, dass man ihn inzwischen auch mit elektrisch bedienbarem Klappdach bestellen kann?