Berlin. Conchita Wurst hat ihre HIV-Infektion öffentlich gemacht. Der Fall zeigt: HIV bleibt ein Stigma. Dabei ist es kein Todesurteil mehr.

Der Travestiekünstler Conchita Wurst sah sich dazu gezwungen, seinen HIV-Status öffentlich zu machen. Ein früherer Freund erpresste ihn damit, die intime Information auszuplaudern. Der Künstler, der mit bürgerlichen Namen Thomas Neuwirth heißt, kam ihm zuvor – und ging mit einem Beitrag in den sozialen Netzwerken selbst an die Öffentlichkeit.

Auch wenn er für seinen Mut viel Zuspruch erhält, zeigt der Fall, wie stark HIV-Infizierte noch immer der Stigmatisierung ausgesetzt sind – und das, obwohl die Ansteckung mit dem Virus längst nicht mehr einem Todesurteil gleichkommt.

Doch wie hoch sind die Überlebenschancen bei HIV heute? Wie ändert sich das Leben nach der HIV-Diagnose? Und wie ist der aktuelle Stand der Forschung? Wir klären die wichtigsten Fragen.

• Wie viele Menschen leben mit HIV?

Während die Zahl der Neuinfektionen bei homosexuellen Männern in den vergangenen Jahren rückläufig ist, hat sich diese Zahl laut Robert-Koch-Institut (RKI) bei Heterosexuellen im Zeitraum mit von 2010 bis 2016 etwa verdoppelt. Insgesamt stagniert die Zahl der jährlichen Neuinfektionen bei etwa 3000.

Laut RKI lebten in Deutschland 2016 rund 88.400 Menschen mit HIV. Schätzungen zufolge wissen 12.700 von ihnen nicht, dass sie sich infiziert haben. Häufig sind das Heterosexuelle, weil bei ihnen oft nicht an HIV gedacht wird.

Aidshilfe lobt Conchita Wursts "HIV-Outing"

weitere Videos

    In der Schwulenszene gebe es dagegen ein stärkeres Bewusstsein für das Thema HIV, sagte Thomas Seidel, der in Weimar eine HIV-Schwerpunktpraxis leitet, bereits 2017 unserer Redaktion. Zudem hätten viele Angst vor dem Testergebnis und davor, als HIV-positiv stigmatisiert zu werden.

    • Wann ist das Ansteckungsrisiko am größten?

    Dass viele Menschen nichts von ihrer Krankheit wissen, ist problematisch, weil die Viruslast in der akuten Phase, die wenige Woche nach der Infektion beginnt, besonders hoch ist. Genau in dieser Zeit wird das Virus häufig übertragen, etwa über Sexualkontakt, Blut oder Muttermilch.

    Zudem ist es ratsam, eine Therapie möglichst früh nach der Infektion zu beginnen. „Je früher ich die Positiven therapieren kann und sie somit vor Aids beschütze, desto weniger infektiös sind sie für andere“, sagte der Virologe Josef Eberle von der Ludwig-Maximilians-Universität (LMU) München unserer Redaktion.

    • Warum sind HIV-Patienten nicht ansteckend, wenn sie behandelt werden?

    Schlägt die sogenannte antiretrovirale Therapie an, und liegt die Viruslast unter der Nachweisgrenze, kann die Infektion praktisch nicht mehr übertragen werden – auch wenn man auf das Kondom verzichtet. Zu diesem Schluss kommen dem RKI zufolge alle relevanten Studien, in denen keine Übertragung zu beobachten war.

    • Wie lange kann man mit HIV leben?

    Kam die Diagnose von HIV in den 80er-Jahren noch einem Todesurteil gleich, können betroffene Patienten heute bei rechtzeitiger Therapie häufig genauso lange leben wie ohne Infektion. Unbehandelt führt die Infektion schneller zu Aids. Das Immunsystem wird dann fortschreitend geschwächt, andere Krankheiten wie Lungenentzündungen oder Tumore können entstehen.

    • Wie ist der aktuelle Stand der Forschung?

    Um die Zahl der Neuerkrankungen zu senken, wurde 2016 die sogenannte Prä-Expositionsprophylaxe (PrEP) in der EU zugelassen. Das Medikament enthält Wirkstoffe, die die Virusvermehrung in den Zellen hemmen und bietet bei regelmäßiger Einnahme einen hohen, aber keinen hundertprozentigen Schutz vor HIV.

    Waren die Medikamente mit Hunderten Euro kurz nach der Einführung noch sehr teuer, sind die Preise für PrEP durch die Zulassung von Generika inzwischen auf 50 Euro gesunken. Vor anderen sexuell übertragbaren Krankheiten schützt PrEP allerdings nicht, weshalb Experten einen Anstieg fürchten.

    • Wann kommt der HIV-Schnelltest für zuhause?

    Weil viele Menschen Angst vor einem HIV-Test beim Arzt haben, bleiben viele Neuinfektionen unentdeckt – und werden in dieser Phase übertragen. Ein Schnelltest für zuhause, der ähnlich wie ein Blutzuckertest für Diabetiker funktioniert, könnte deshalb helfen, die Zahl der Neuerkrankungen zu reduzieren.

    Während Länder wie etwa Frankreich den Schnelltest bereits eingeführt haben, wird er in Deutschland bislang nur an Ärzte und medizinische Labore ausgegeben. Es wird allerdings geprüft, ob er auch hier in Apotheken zum Verkauf angeboten wird.