Berlin. Wahl-O-Mat und Co. leisten Hilfestellung für Unentschlossene. Aber kommen sie zu brauchbaren Ergebnissen? Wir haben den Test gemacht.

Wo mache ich bei der Bundestagswahl mein Kreuz? Diese Frage stellt sich spätestens am 24. September knapp 62 Millionen Wahlberechtigten in Deutschland. Und längst nicht jeder hat schon eine Antwort darauf.

„Gibt’s dafür nicht ‘ne App?“ mögen die Jüngeren jetzt fragen. Die Antwort ist: ja – und nicht nur eine. Ich habe den Test gemacht und drei davon ausprobiert. Nun weiß ich aber sehr genau, wen ich wählen möchte. Deshalb habe ich versucht, die dort gestellten Fragen so zu beantworten, als sei ich ein junger, noch unentschlossener Familienvater – großstädtisch-liberal, aber eher unpolitisch. Ob ich bei allen Apps ähnliche Ergebnisse erhalten werde?

WahlSwiper

Beim WahlSwiper soll man durch einfaches Wischen („swipen“) die richtige Partei für die Bundestagswahl finden. Was bei der Dating-App Tinder funktioniert, kann für Politik nicht schlechter sein, oder?

Nach dem Start zeigt mir die App (kostenlos, Android/iOS) insgesamt 30 Karten mit Fragen, die ich mit dem Finger entweder nach links („Nein“) oder nach rechts („Ja“) wische. Habe ich zu einer Frage keine Meinung, darf ich sie auslassen. Jede Karte ist um ein kurzes Erklärvideo von 30 bis 60 Sekunden Länge ergänzt.

Ich swipe mich also als unentschlossener Großstadt-Papa durch Fragen nach bedingungslosem Grundeinkommen („nein“), politischem Asyl für Edward Snowden („ja“) und beantworte Fragen nach kostenlosen Kitaplätzen („ja“) oder nach einem generellen Tempolimit auf der Autobahn („nein“). Ein paar politisch komplexere Fragen, etwa nach dem Freihandelsabkommen oder über die gegenseitige Haftung für Schulden von EU-Staaten, lasse ich aus.

In den folgenden Minuten geht es um Bildung, Arbeit, um Verkehr, Sicherheit und Rente. Für Auswahl und Formulierung der Fragen seien Politik-Studenten verschiedener Universitäten verantwortlich, sagt Matthias Bannert, einer der drei Macher des WahlSwiper. Gemeinsam mit einem Freund sei er in der U-Bahn auf die Idee für die App gekommen: „Wir haben uns gedacht, dass man den Wahl-O-Mat mal als Tinder-Version nachbauen müsste – und eine Nacht später hatten wir bereits einen Prototypen.“ Bis zur fertigen Version habe es aber drei Monate gedauert.

Das Team habe versucht, alle Themen aufzunehmen, die im Wahlkampf eine Rolle spielten. Anschließend wurden die Fragen den Parteien geschickt mit der Bitte, sie mindestens mit „Ja“ oder „Nein“, am besten aber mit begleitendem Statement zu beantworten. Nach etwa zehn Minuten bin ich mit den 30 Fragen fertig – wer sich alle Videos anschaut, dürfte wohl doppelt so lange brauchen. Laut Auswertung habe ich die meisten Übereinstimmungen mit den Grünen – 84 Prozent. Beschränkt man sich auf die Parteien mit realistischem Bundestagspotenzial, folgen dann SPD (78), Die Linke (73), FDP (63), CDU/CSU (52) und AfD (42).

Wer jetzt noch genauer in die Auswertung einsteigen möchte, kann sich die Positionen der einzelnen Parteien und deren Statements zu den Fragen anschauen. Eine echte Wahlempfehlung solle der WahlSwiper übrigens gar nicht bieten, sagt Bannert: „Wir wollten einfach, dass politische Meinungsbildung Spaß macht.“ Und das tut sie.

Wahl-O-Mat

Bei der Wahl-O-Mat-App (kostenlos, Android und iOS) geht es insgesamt etwas nüchterner zu. Das Prinzip ist grob gesagt das gleiche, aber etwas ausdifferenzierter: Mir werden 38 Thesen gezeigt, ich kann zustimmen, nicht zustimmen, neutral bleiben oder die Frage gleich überspringen. Anders als beim WahlSwiper gibt es zu den jeweiligen Aussagen keine weiteren Erläuterungen. Wie zuvor tippe ich mich gemäß meiner Rolle durch die 38 Thesen. Die wurden übrigens unter der Ägide der Bundeszentrale für politische Bildung von 26 Jung- und Erstwählern im Alter zwischen 18 und 26 Jahren aus den Wahlprogrammen der Parteien herausgearbeitet.

Viele Thesen decken sich mit denen des WahlSwipers. Fragen zu Bafög, Nutztierhaltung oder dem Braunkohleabbau kamen in der anderen App jedoch nicht vor.

Wie zuvor versuche ich aus der Perspektive des weltoffenen Großstadt-Papas zu antworten. Bei Themen, für deren Beurteilung ich größeres tagespolitisches Hintergrundwissen brauche, tippe ich auf „neutral“. Am Ende darf ich Punkte besonders gewichten, sie werden in der Auswertung doppelt gezählt. Sozialer Wohnungsbau, Impfpflicht und der Rechtsanspruch auf Ganztagsbetreuung für Kinder sollen besonders wichtig sein. Das Ergebnis überrascht.

Die Reihung der Parteien ist dieselbe wie beim WahlSwiper – mit einer Ausnahme: Statt auf dem vorletzten Platz landen CDU/CSU mit 79 Prozent nun auf Platz eins, vor Grünen (73), SPD (68), Die Linke (63), FDP (63) und AfD (41). Der junge Beispielvater ist nun etwas verwirrt.

DeinWal.de

Vielleicht sorgt ja das Portal DeinWal.de für Klarheit. Hier geht es nicht um die Versprechen der Parteien, sondern um ihr politisches Handeln. Ich klicke mich durch eine Reihe von Entscheidungen, über die der derzeitige Bundestag bereits abgestimmt hat – und schaue am Ende, ob sich meine Präferenzen mit dem tatsächlichen Abstimmungsverhalten der Fraktionen decken.

Wie die Abgeordneten kann ich jeweils mit „Ja“, „Nein“ oder „Enthaltung“ stimmen, auslassen darf ich Fragen nicht. Diesmal geht es nur um die Parteien des Bundestags.

Hinter der App stecken zwei miteinander befreundete Doktoranden von der Uni Rostock, die das Projekt in ihrer Freizeit entwickelt haben. Aus über 200 Abstimmungen des Bundestags suchten sie in mühsamer Detailarbeit 42 Fragen aus zwölf Themengebieten heraus. Ihr Ziel war: Eine Auswahl treffen, die möglichst breit ist, aber in einer Viertelstunde beantwortet werden kann, wie sie erklären.

Und tatsächlich geht es sogar etwas schneller. Platz eins belegen erneut die Grünen (72 Prozent). An zweiter Stelle folgt diesmal allerdings Die Linke (67), die beiden Regierungsfraktionen SPD (40) und CDU/CSU (36) folgen abgeschlagen dahinter.

In der Auswertung kann ich mir anschließend noch detailliert ansehen, welche Fraktion mit wie vielen Ja- und Nein-Stimmen oder Enthaltungen entschieden hat.