Nach dem Tod ihrer Ehepartner lernten sich Iris Lewe und Gerald Gräf in einer Gruppe kennen und später auch lieben. Nun wollen sie gemeinsam anderen Mut machen.

Andere Paare begegnen sich im Freundeskreis, beim Sport, am Arbeitsplatz oder lernen sich über das Internet kennen. Auf Iris Lewe und Gerald Gräf trifft dies alles nicht zu. Beide brachte der schmerzliche Verlust des Ehepartners zusammen. Die Witwe und der Witwer lernten sich in einer Trauergruppe kennen.

Gerald Gräf begleitete seine Frau fünf Jahre lang durch ihr langes Krebsleiden, lebte bis zu ihrem Tod drei Monate lang im Hospiz mit ihr zusammen. Danach war er, der sich als einen Realisten beschreibt, völlig leer, geistig wie körperlich. Erst nach vier Monaten entschloss er sich für die Trauergruppe in Ahrensburg. Ein weiterer Ausdruck seiner Trauerbewältigung war das Schreiben. In einer autobiografischen Erzählung und einem Roman schrieb sich Gerald Gräf alle Erlebnisse und auch die eigenen Abgründe von der Seele.

Iris Lewes Mann starb plötzlich mit 62 Jahren. „Am Morgen haben wir uns verabschiedet, wenige Stunden später war er tot. Ich musste ihn dann unbedingt noch einmal sehen, um seinen Tod zu begreifen.“ Während einer anschließenden Kur kam Iris Lewe mit anderen Witwen in Kontakt. Sie merkte wie gut es ihr tat, dass andere Menschen sie in ihrem Kummer verstanden.

„Lange habe ich gedacht, die Trauer verlaufe linear, wie bei einem gebrochenen Arm. Am Anfang tut es extrem weh, aber dann wird es mit jedem Tag besser. Aber so läuft das leider nicht. Die Trauer kommt in Wellen, in Kreisen. Ein paar Tage geht es mir gut und ich wiege mich in der trügerischen Gewissheit, das Schlimmste sei jetzt überstanden. Doch dann kommt sie mit voller Wucht zurück, nimmt mich in ihren Klammergriff und schüttelt mich so kräftig durch, dass ich meine, ich komme aus dieser Finsternis und endlosen Traurigkeit nie wieder heraus“, schreibt Iris Lewe in ihrem mit Gerald Gräf gemeinsam verfassten Buch „Wo bitte geht’s denn hier zum Leben?“. Darin berichten beide über ihre Trauerarbeit, ihre Begegnung und die Zeit der Annäherung, der Rückschläge und des Zweifels – zuweilen amüsant, spannend und tröstlich.

Gerald Gräf blickt zurück: „Man ist manchmal ganz schön schräg drauf in seiner Trauer und durchlebt viele Gefühle gleichzeitig.“ Wut, Liebe, Trauer, Verzweiflung, Sehnsucht, Einsamkeit sind da. „Man fragt sich dann manchmal: Bin ich eigentlich noch normal?“, sagt Iris Lewe.

Das gemeinsame Buch, in dem die Autoren abwechselnd aus ihrer Perspektive die Begegnung schildern, habe sie noch mehr zusammengeschweißt, sagt Iris Lewe. Beide gehen damit auf Lesungen, wollen anderen Menschen in einer ähnlichen Lebenssituation Mut machen. Gerald Gräf arbeitet bereits an einem neuen Roman. Darin spielt Trauer keine Rolle mehr. Und Iris Lewe fügt hinzu: „Manchmal ist die Trauer wieder da.“ Dies sei vor allem Weihnachten und am Todestag ihres Mannes der Fall. „Aber die Trauer ist mittlerweile schwächer geworden.“

Die verstorbenen Partner sind immer präsent. Im Wohnzimmer von Iris Lewe hängt ein großes Bild ihres Mannes an der Wand. Einig sind sich Iris Lewe und Gerald Gräf: So wichtig die Unterstützung durch Freunde und Familie sowie die Begleitung während der Trauer (zum Beispiel in einer Trauergruppe) sind, Trauer lässt sich nicht teilen. Und wie lange sie dauert, ist sehr individuell. „Doch es ist wichtig, die Trauer zu durchleben, denn es gibt keinen Weg um die Trauer herum, sondern nur durch sie hindurch“, sagen die beiden.

Jeder Mensch reagiert in dieser Ausnahmesituation anders. Anja Dose von der Beratungsstelle Charon: „Trauer ist keine Krankheit, keine soziale Störung. Sie bedeutet Krise. Trauer ist eine menschliche Fähigkeit, eine normale Reaktion auf einen bedeutsamen Verlust. Sie ist zugleich ein Bemühen der Seele, das Geschehene zu begreifen.“ Dabei sei Trauer ein zutiefst individueller Prozess, den jeder Mensch unterschiedlich von anderen Menschen erlebt. Deshalb dürfe man auch die Form, wie jemand trauert, nicht bewerten. Dose: „Trauer ist ein Prozess, eine zu gestaltende Anpassung an die neue Lebenssituation. Sie drückt sich in häufig widersprüchlichen Empfindungen aus wie Angst, Wut, Schuldgefühle, Misstrauen, Überforderung, Suche nach Nähe oder auch Erleichterung und sogar Zuversicht.“

Jeder muss und darf für sich entscheiden, welcher Weg in der Trauer für ihn der richtige ist. Iris Lewe: „Eine ebenfalls verwitwete Frau aus meinem näheren Bekanntenkreis war eine der Ersten, die mich anriefen, und Folgendes sagte: Jetzt ist nur wichtig, was du willst und für richtig hältst. Wenn du weinen und schreien willst, dann schrei, und wenn dir nach Tanzen ist, dann tanz. Und gib nichts, wirklich gar nichts darauf, was andere Leute sagen oder denken könnten. Das hat mir geholfen.“ Aus ihrem Erleben geben Iris Lewe und Gerald Gräf folgendes weiter:

Hinweise für Trauernde

Sich der Trauer und dem Verlust stellen, sie zulassen, nicht verdrängen oder davor weglaufen.

Wenn einem danach ist, sich zurückziehen, Kontakte unterbrechen.

Realisieren, was einem guttut und was nicht, auch wenn das bedeutet, Kontakte komplett abzubrechen. Die Wahrnehmung Trauernder ist extrem geschärft, und dadurch merken sie sehr genau, wer ihnen guttut und wer nicht.

Sich an den Verstorbenen erinnern, Rituale zulassen und pflegen, einen langsamen Abschied zulassen.

Sich Zeit nehmen, entspannen, nachdenken, zur Ruhe kommen.

Erlebnisse, Gedanken, Wünsche, Träume, alles über den Verlust und die Trauer aufschreiben und dadurch eine Verarbeitung unterstützen. Es muss kein Buch sein.

Nach einigen Wochen oder Monaten wieder mit sportlichen Aktivitäten beginnen. Dabei nur langsam steigern, keine Ablenkung bis zum Umfallen.

Nach der Phase des Sichzurückziehens den Kontakt zu Menschen suchen, denen Ähnliches widerfahren ist, z.B. in einer Trauergruppe. Das Sprechen über die Trauer mit Menschen, die wirklich verstehen, weil sie Ähnliches durchgemacht haben, hilft ungemein.

Den Verstorbenen nicht in dem Maße loslassen, dass man ihn vergisst oder verdrängt, sondern im Herzen bewahren.

Sich irgendwann wieder dem Leben öffnen, auf Menschen zugehen und neuen Lebensmut zulassen.

Für das Umfeld Trauernder

Insbesondere Arbeitgeber und Kollegen sollten die Situation des Trauernden respektieren und nicht erwarten, dass derjenige nach kurzer Zeit wieder normal funktioniert.

Freunde sollten sich immer wieder melden und Hilfe anbieten.

Isolation des Trauernden vermeiden, ihn einbeziehen und zu Aktivitäten einladen. Sagt er ab, die Absage akzeptieren, ohne dies persönlich zu nehmen.

Kontakt anbieten, sich jedoch nicht aufdrängen.

Gut gemeinte, aber für den Trauernden schreckliche Plattheiten vermeiden wie: „Du musst nach vorne sehen“, „Das Leben geht weiter“.

Die eigene Angst vor dem Thema Tod und Trauer überwinden, das macht es leichter, auf Trauernde zuzugehen. Viele Menschen wissen nicht, wie sie einem Trauernden begegnen sollen. „Am besten vom eigenen Herzen leiten lassen“, sagt Iris Lewe.

Buch und Beratung: „Wo bitte geht’s denn hier zum Leben? Wie aus Trauer Liebe wurde“. Iris Lewe, Gerald Gräf, Verlag tredition, 12,95 Euro.Charon, Beratungsstelle Sterben, Tod, Trauer, Winterhuder Weg 29, Telefon: 22 630300, E-Mail: info@charon-hamburg.de ; www.charon-hamburg.de