Frühförderung bei kleinen Kindern ist sinnvoll, wenn sie mit Augenmaß geschieht. Aber auch Langeweile muss sein, denn sie regt die Fantasie an.

Jeden Tag ein volles Programm im Kindergarten, nachmittags weiter mit Englisch, Klavierunterricht oder Ballett - auch Kleinkinder wissen bereits, was Zeitmanagement bedeutet. Schließlich wollen die Eltern nur ihr Bestes. Und das heißt für viele: keine Chance der frühen Bildung verpassen.

Aber was fördert und was überfordert in den ersten Jahren? "Frühförderung ist sinnvoll, aber mit Maß", sagt Fabienne Becker-Stoll, Leiterin des Staatsinstituts für Frühpädagogik in München. Was Experten damit meinen, entspricht jedoch oft nicht dem, was Eltern sich vorstellen. Nicht wenige wollen ihre Kinder rechtzeitig in eine vermeintlich gute Startposition bugsieren. Das bedeutet neben basteln und musizieren auch Fremdsprachen lernen, Mathematik und Naturwissenschaften.

"Das geht völlig an den Bedürfnissen der Kinder vorbei", kritisiert Becker-Stoll. Vieles, was an frühkindlicher Bildung geboten wird, sei nicht nur überflüssig sondern gar schädlich für die Entwicklung. "Kinder müssen zuerst in ihren Basiskompetenzen gestärkt werden", sagt Andreas Bartsch, pädagogischer Leiter vom Kinderladen Mozartstraße in Barmbek-Süd. Dazu gehören Kommunikation und soziale Kompetenzen für das Miteinander. Das Kind sollte selbstsicher, stark und offen für Neues sein, zudem Entdeckerfreude und Kreativität besitzen, um den Herausforderungen des Lebens begegnen zu können.

Verhandeln beim Streit, Vertrauen fassen, Misserfolge aushalten - soziale Fertigkeiten lernen Kinder am besten untereinander. "Erwachsene sollten nicht zu oft eingreifen", rät Bartsch deshalb. Denn durch eigene Erfahrungen wachsen Selbstbewusstsein und Stärke. "Ein Klima der Wertschätzung und wenig Kontrolle sind Voraussetzung für ein fruchtbares Lernumfeld", sagt Becker-Stoll. Ein guter Start beginne im Elternhaus: "Zeit und Zuwendung fördern auch Intelligenz und Aufgeschlossenheit."

Spielen bedeutet immer auch lernen. "Das Aushandeln bei Rollenspielen etwa verlangt eine unglaubliche kognitive Leistung", sagt Becker-Stoll. Denn die Kinder stimmen alle Aktivitäten aufeinander ab, lösen Konflikte und inszenieren selbst den Verlauf. Würfelspiele hingegen unterstützen das Verständnis für Zahlen, Reim- und Sprachspiele legen eine Basis fürs Schreibenlernen.

Ob der Müllwagen an der Straßenecke oder der Regenwurm im Matsch, spannend kann fast alles sein. "Wichtig ist, unbedingt die Neugier zu unterstützen und beim Spaziergang auch auf Dinge aufmerksam zu machen", rät der Braunschweiger Hirnforscher Martin Korte. Fragen sollten Eltern ernst nehmen. "Kann man sie nicht aus dem Stegreif beantworten, sollte man gemeinsam im Buch oder Computer forschen." Möchte ein Kind von sich aus noch vor der Schule lesen lernen, sollte man es auch dabei unterstützen. "Man darf jedoch nicht die eigenen Erwartungen mit den Interessen des Kindes verwechseln", warnt Birgit Ebbert, Pädagogin und Expertin für Frühförderung.

"Formalisierter Unterricht funktioniert im Vorschulalter nicht", sagt Korte. Und wer Druck erzeugt, verleide den Kleinen das Wichtigste überhaupt: den Spaß am Lernen. Motivierende Erfahrungen seien gerade am Anfang entscheidend. Becker-Stoll rät auch von festen Programmen ab, etwa um Sprachen oder mathematisches Verständnis zu vermitteln: "Solch starre Konzepte können für die Lernmotivation tödlich sein." Besser geeignet seien ganzheitliche Projekte, die die Wissbegierde aufgreifen, etwa zu Tieren im Wald oder zum Flughafen.

"Es gibt keine Beweise, dass frühes Englischlernen in Kursen Vorteile im Spracherwerb sichert", sagt Becker-Stoll. Wöchentlicher Unterricht bringe wenig bei kleineren Kindern. "Fehlt das phonologische Bewusstsein, laufen die Sprachen im Kopf auch schon mal durcheinander", sagt Ebbert. Darunter leide dann auch die Muttersprache. Anders sei es, wenn das Kind zweisprachig aufwächst oder einen bilingualen Kindergarten besucht. "Aber auch dann muss die Sprache Bestandteil des Alltags sein und eine Bindung zur englischsprachigen Erzieherin bestehen", sagt Becker-Stoll.

Zahlenverständnis lässt sich ebenfalls hervorragend im Alltag üben. "Beim Tischdecken die Teller zählen oder im Supermarkt die Artikel im Einkaufskorb", sagt Ebbert. Auch die Hamburger Fachärztin für Kinder- und Jungendpsychiatrie Miriam Bachmann rät dazu, Kinder mehr einzubeziehen. Beim Backen etwa lassen sich Maßeinheiten wie Liter und Gramm vermitteln, Gemüse schneiden schult die Feinmotorik. Grundsätzlich wichtig: "Nicht dauernd Fehler vorhalten", sagt Hirnforscher Korte. Wenn ein Kind Fehler selbst erkennt und korrigiert, bleibt vom Erlernten mehr haften.

"Ein guter Kindergarten deckt die Förderung bereits voll ab", sagt Becker-Stoll. Zu maximal zwei festen Terminen am Nachmittag pro Woche raten Ebbert und Bachmann. Die restliche Zeit sollte das freie Spiel einnehmen. "Auch Langeweile muss mal sein, denn sie regt die Fantasie und Kreativität an", sagt Bachmann.

Zudem sorgt die Angebotsflut dafür, dass die Kinder keine Eigenmotivation mehr entwickeln - dies sei jedoch eine wichtige Voraussetzung fürs Vorankommen. "Muße ist elementar", sagt Korte. Schon weil die Kleinen reichlich Zeit brauchen, um Gelerntes zu verfestigen. Sonst wird es zwar schnell aufgenommen, aber auch schnell wieder vergessen.