Weder Mann noch Frau: Betroffene würden in Deutschland weiterhin diskriminiert. Als Kind würde ihnen eine Umwandlung oft aufgezwungen.

Berlin. Der Deutsche Ethikrat hat den Umgang mit intersexuellen Menschen in der Vergangenheit verurteilt und Entschädigungen für die Folgen von Operationen empfohlen. Viele Betroffene seien in ihrer Identität „aufs Tiefste verletzt“ durch frühere Behandlungen, die nicht mehr dem heutigen Stand der Medizin entsprächen, heißt es in einer am Donnerstag veröffentlichten Stellungnahme des Ethikrats. Bei intersexuellen Menschen ist das Geschlecht nicht eindeutig ausgeprägt. Oft kommen sie bereits mit männlichen und weiblichen Genitalien oder Hormonen zur Welt.

Der unabhängige Ethikrat, der Bundestag und Regierung berät, hat 26 Mitglieder, darunter Naturwissenschaftler, Mediziner, Juristen, Philosophen und Theologen. Für die künftige Behandlung empfiehlt das Gremium Kompetenzzentren, Betreuungsstellen sowie Aus- und Weiterbildung für medizinisches Personal. Für die Durchsetzung von Entschädigungenansprüchen wird eine Ombudsperson empfohlen. Zudem sollten die Verjährungsfristen für straf- oder zivilrechtliche Ansprüche nach Operationen, die die sexuelle Selbstbestimmung verletzt haben, bis zur Vollendung des 18. bzw. 21. Lebensjahres ausgedehnt werden.

Die Experten mahnen in ihrem Bericht einen zurückhaltenderen Einsatz geschlechtszuordnender Operationen an. Unumkehrbare medizinische Maßnahmen stellten unter anderem einen Eingriff in das Recht der körperlichen Unversehrtheit dar. Die Entscheidung für oder gegen einen Eingriff sollte vom Betroffenen selbst gefällt werden. Bei noch nicht entscheidungsfähigen Minderjährigen sollten Operationen nur erfolgen, wenn das Kindeswohl in Gefahr ist, heißt es.

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Grundlage der Stellungnahme sind verschiedene Studien sowie Online-Befragungen und eine Anhörung Betroffener vor dem Deutschen Ethikrat. Vielen sei schlimmes Leid widerfahren, resümieren die Mitglieder in ihrem Bericht. Sie müssten heute Respekt erfahren und vor medizinischen Fehlentwicklungen und Diskriminierung geschützt werden.

Thematisiert wird im Bericht auch der rechtliche Status von Intersexuellen. Kritisiert wird der in Deutschland geltende Zwang, sich im Personenstandsregister als männlich oder weiblich eintragen zu lassen. Daneben sollte auch die Kategorie „anderes“ gewählt werden können, schlägt der Ethikrat vor. Die überwiegende Mehrheit der Experten befürwortete zudem, Menschen mit dieser Einordnung die Lebenspartnerschaft zu ermöglichen. Eine Minderheit der Experten schlägt vor, Intersexuellen die Möglichkeit der Eheschließung zu eröffnen.

Der Ethikrat weist darauf hin, dass es keine genaue Angabe zur Zahl Intersexueller in Deutschland gibt. Die Bundesregierung schätzt deren Anzahl auf 8.000 bis 10.000. Der Verein Intersexueller Menschen geht indes von 80.000 bis 120.000 Personen aus.