Bei starkem Gelenkverschleiß kann eine Therapie helfen. Dazu gehören Schmerzmittel, Krankengymnastik oder Gewichtsabnahme.

Als Prof. Thomas Gehrke die Tür zum Patientenzimmer im fünften Stock der Endo-Klinik öffnet, kommt ihm Hermann Kruse schon entgegen. Dass Gehrke, der Ärztliche Direktor der Klinik, dem 75-Jährigen vor knapp einer Woche ein künstliches Hüftgelenk eingesetzt hat, würde man beim bloßen Anblick von Kruse nicht vermuten. "Wir können uns gerne setzen, müssen wir aber nicht. Ich kann sehr gut stehen", sagt der Patient.

Auf dem Gebiet des künstlichen Gelenkersatzes, der Endoprothetik, hat sich in den vergangenen Jahrzehnten viel getan. Heute lässt sich im Grunde jedes Gelenk im Körper ersetzen, wenn es nicht mehr funktionstüchtig ist. 2010 wurden in Deutschland etwa 210 000 Hüft- sowie 158 000 Knie-Endoprothesen eingebaut. Inzwischen ist das Material so ausgereift, dass der Gelenkersatz teilweise mehr als 20 Jahre hält, bevor er ersetzt werden muss. Da das Einsetzen einer Prothese aber ein operativer Eingriff mit Risiken ist, sollten sich Patienten sehr bewusst dazu entscheiden.

In der Regel ist starker Gelenkverschleiß (Arthrose) Grund für einen künstlichen Ersatz. Mit dem Alter, durch körperliche Belastung oder Fehlstellungen wird die Knorpelschicht der Knochen immer dünner, schließlich reiben sie im Gelenk aufeinander, was zu Schmerzen führt. So ging es auch Hermann Kruse. Die Operation unter Vollnarkose war bei seiner guten Gesundheit kein Problem. Inzwischen ist die Anästhesie allerdings so weit, dass Patienten oft mit einer regionalen Betäubung auskommen. "Etwa 70 bis 80 Prozent der Operationen werden bei uns unter einer sogenannten Rückenmarksanästhesie durchgeführt", sagt Gehrke. Bei dieser spürt man von der Hüfte abwärts nichts mehr. "Eine Vollnarkose ist heute eigentlich kein größeres Risiko mehr, aber eine Rückenmarksanästhesie hat für den Operierten durchaus Vorteile", ergänzt Gerald Dubber, stellvertretender Leitender Arzt der Abteilung für Endoprothetik des Lubinus Clinicums in Kiel. Sie belastet das Herz-Kreislauf-System weniger und ist somit schonender.

Der Eingriff selbst wird inzwischen sogar als minimalinvasiv bezeichnet, wobei dieser Begriff oft fälschlicherweise mit einem kleinen Hautschnitt verwechselt wird. Thomas Gehrke sagt: "Minimalinvasiv heißt streng genommen, dass man das Hüftgelenk öffnet, ohne einen einzigen Muskel abzulösen." Das sei möglich, aber in der Regel werde ein Zugang gewählt, bei dem "nur so viele Muskeln wie nötig und so wenige wie möglich" abgetrennt würden.

Das setzt eine genaue Vorbereitung voraus, für die inzwischen in den meisten Kliniken Computerprogramme zur Verfügung stehen, mit denen - auf Grundlage von Röntgenbildern - die Größe der Prothese, Positionierung und Schnitte simuliert werden können.

Diese Techniken können das Risiko nur minimieren, denn eine Lockerung der Prothese oder auch Infektionen lassen sich nicht ausschließen. Umso wichtiger ist die Implantation durch einen erfahrenen Chirurgen. Zwar ist jedes Gelenk anders, aber die Routine des Arztes ist im Zweifel entscheidend.

Gerald Dubber vom Lubinus Clinicum rät: "Der Operateur sollte den speziellen Eingriff möglichst häufig durchführen." Deshalb empfiehlt Thomas Gehrke von der Endo-Klinik, sich vorher genau über das Krankenhaus, den Chirurgen und die jährlich durchgeführten Operationen zu informieren. Neben dem "Wo" sollten Betroffene auch über das "Wann" selbst bestimmen. "In aller Regel entscheidet der Patient selbst über den Zeitpunkt der Implantation. Die Kriterien sind dabei der Schmerz und die Lebensqualität", erklärt der Ärztliche Direktor der Endo-Klinik. Wie sehr jemand sich eingeschränkt fühlt, kann der Orthopäde nicht entscheiden.

Aber er kann und sollte vor der Operation alternative Behandlungsmöglichkeiten aufzeigen. Thomas Gehrke erläutert: "Nicht jeder, der Gelenkverschleiß hat, bekommt gleich eine Prothese." Vielmehr sei eine Stufentherapie die erste Wahl: leichte Schmerzmittel, Krankengymnastik oder auch Gewichtsabnahme. Zudem gibt es wirksame Medikamente und Behandlungen für Arthrose, die zwar oft nicht von den Krankenkassen bezahlt werden, aber den Einsatz eines künstlichen Gelenks hinauszögern können.

Dies gilt insbesondere für junge Patienten. Erhalten diese im Alter von 30 Jahren bereits ein künstliches Gelenk, müssen sie mit zwei bis drei Prothesen bis zu ihrem Lebensende rechnen. Im Zuge solcher Überlegungen wird immer wieder kritisiert, in Deutschland würden zu voreilig künstliche Gelenke eingesetzt. Die Versicherungen sehen dabei auch auf den Preis, denn für eine Implantation gibt es - je nach Aufwand - eine Pauschale zwischen 6000 und 13 000 Euro.

Doch Gerald Dubber macht deutlich: "Wenn es nicht mehr geht, warum sollte sich jemand jahrelang quälen?" Die Philosophie solle vielmehr sein: durch die Operation helfen, wenn es mit konservativen Maßnahmen nicht mehr geht. Denn: Nach einer Woche Krankenhaus und drei Wochen Reha können sich die meisten wieder uneingeschränkt bewegen. Auch Hermann Kruse hat nach dem Eingriff keine Beschwerden und freut sich schon wieder aufs Fahrradfahren.