Medikamente oder Gespräche? Eine sinnvolle Kombination ist für die Patienten hilfreicher als eine strenge Trennung der Fachgebiete.

Jeder kennt es von sich selbst: wie ein Schreck in die Glieder fahren kann oder Angst die Kehle zuschnürt. Auf der anderen Seite können körperliche Veränderungen auf die Stimmung schlagen. Kann man diese Einheit von Körper und Seele, die uns aus alltäglichen Erfahrungen so vertraut ist, auch in den Bereich übertragen, der sich vor allem mit Krankheiten der Seele befasst, der Psychiatrie?

Vertreter der verschiedenen Therapierichtungen stehen sich immer noch skeptisch gegenüber, auf der einen Seite die überzeugten Psychotherapeuten, auf der anderen die Psychiater, die vor allem Medikamente verordnen. Und beide haben recht, aber nicht ausschließlich. Der Psychiater sagt, dass der Patient mit einer Depression einen Mangel des Botenstoffes Serotonin hat, der behandelt werden muss, und der Psychotherapeut der alten Schule würde sagen: Der hat eine schwierige Kindheit gehabt. Sinnvoll wäre es, diese Krankheit von beiden Seiten anzugehen. Man kann, zum Beispiel bei einer Depression, mit einer dieser Therapien anfangen. Welche das ist, hängt vom Schweregrad und vom Therapiewunsch des Patienten ab, ob er eine Psychotherapie möchte oder ein Medikament. "Wenn dann diese Therapie keinen Erfolg hat, sollte man beides kombinieren, das ist die sinnvollste Art und Weise", sagt Prof. Dieter Naber, Direktor der Klinik für Psychiatrie und Psychotherapie am Universitätsklinikum Eppendorf.

Zwar wurde die Facharztbezeichnung Psychiatrie bereits 1996 durch den Facharzt für Psychiatrie und Psychotherapie abgelöst und damit die Psychotherapie fest in der Ausbildung von Psychiatern verankert, aber die Gräben zwischen der Psychiatrie und der Psychotherapie bestehen bis heute. Allerdings sind sie nicht mehr so tief - dank der Neurobiologie. Diese noch junge Wissenschaft bringt erstaunliche Erkenntnisse hervor, wie sich unser Seelenleben in unserem Gehirn widerspiegelt - auch wenn man es durch Psychotherapie behandelt. "Die Neurobiologie hat die Kontroverse zwischen Psychotherapie und Psychiatrie entlastet", sagt Prof. Michael Schulte-Markwort, Direktor der Klinik für Kinder- und Jugendpsychosomatik am UKE und Altonaer Kinderkrankenhaus. Als Beispiel schildert er das Ergebnis einer Studie, die er zusammen mit Prof. Naber durchgeführt hat. Danach ist bei 15 Jahre alten Mädchen im Vergleich zu 25 Jahre alten Frauen die Verbindung zwischen Frontalhirn und limbischem System signifikant erniedrigt. Damit ist die Verbindung zwischen den Regionen, die für Gefühle zuständig sind und denen, die sie kontrollieren, nicht so stark. "Das bedeutet, von pubertierenden Mädchen und Jungen zu erwarten, sie sollten sich besser kontrollieren und Erkenntnisse aus ihrer Psychotherapie umsetzen, kann eine Überforderung darstellen", sagt Schulte-Markwort.

Selbst in den Genen schlagen sich seelische Erlebnisse nieder. "Im Tierversuch wurde festgestellt, dass bei Ratten, die von ihrer Mutter liebevoll und fürsorglich versorgt wurden, Gene dadurch an- und abgestellt werden. Das sorgte in der Fachwelt für Verwunderung", sagt Naber. "Früher dachte man, dass die Gene das Leben zu hundert Prozent beeinflussen und jede Psychotherapie umsonst ist. Das wird durch solche Ergebnisse relativiert."

Auf der anderen Seite gibt es immer wieder neue Erkenntnisse darüber, wie Nervenbotenstoffe, sogenannte Neurotransmitter, unsere Stimmung und unser Verhalten beeinflussen. Viele Medikamente gegen psychische Erkrankungen wirken dadurch, dass sie die Konzentration der Neurotransmitter im Gehirn verändern. "Moderne Medikamente wie Antidepressiva und Mittel gegen Psychosen zeichnen sich dadurch aus, dass sie vielfältiger sind als die alten, sodass man dem einzelnen Patienten gerechter wird und dass sie insgesamt nebenwirkungsärmer sind", sagt Naber.

Doch bei Patientenverbänden stößt diese eher biologische Sichtweise auf Kritik. Sie bezeichnen diese Psychiatrie als biologistisch, weil sie psychische Störungen auf gestörte Stoffwechselprozesse im Gehirn reduziert und sie damit zu Krankheiten erklärt, die man ständig mit Medikamenten behandeln muss und die man ein Leben lang nicht wieder loswird. "Man sollte das weitgehend ideologiefrei betrachten", meint Naber und zieht den Vergleich zum Diabetes. "Auch diesen muss man mit Medikamenten behandeln, und es wäre nicht sinnvoll, das als biologistisch zu bezeichnen. Derjenige, der eine Besserung erzielt, hat recht. Es gibt psychisch Kranke, die sehr von Medikamenten profitieren, zum Beispiel bei Schizophrenie. Da hilft die Psychotherapie im Akutstadium nur sehr begrenzt", sagt Naber. Von Kritikern der Psychiatrie wird auch gern ins Feld geführt, dass die Psychotherapie die "sanftere" Methode sei. "Aber auch die Psychotherapie kann Nebenwirkungen haben, zum Beispiel, dass ich ein Kind stigmatisiere, in ihm das Gefühl erzeuge: Mit mir stimmt etwas nicht, denn den Termin mittwochs nachmittags um vier darf niemand wissen", sagt Kinderpsychiater Schulte-Markwort. Zudem könne die Psychotherapie Beziehungen belasten, wenn das Kind neben seinen Eltern und der erwachsene Mensch neben seinem Partner noch eine andere Vertrauensperson habe. "Eine weitere mögliche Nebenwirkung ist, dass Psychotherapie zum Lebensinhalt wird und sich das Leben nur noch in der Psychotherapie abspielt", ergänzt Naber.

Auch Schulte-Markwort spricht sich für eine umfassende Therapie aus: "Ich habe Jugendliche in der Therapie, die so depressiv sind, dass ich sie erst mit Medikamenten behandeln muss, damit sie überhaupt fähig für eine Psychotherapie werden. Wenn jemand so tief in seinen depressiven Gedanken verhaftet ist, dann versucht er, Ihnen ständig unbewusst zu beweisen, dass er nichts wert ist. Wenn ich gegen diesen Serotoninmangel psychotherapeutisch gegenan therapiere, den ich damit aber gar nicht beheben kann, ist das wirkungslos. Wenn ich aber den Serotoninmangel ausgleiche und dann in eine zum Beispiel analytische Psychotherapie überführe, kann ich auch irgendwann wieder auf das Medikament verzichten." Das sei dann ein gutes Beispiel, wie beides ineinander greifen sollte, meint der Psychiater.