Der Hamburger Psychiater und Verhaltenstherapeut Professor Iver Hand über die Motive und Hintergründe des Sammelverhaltens

Weshalb sammelt ein Mensch Gegenstände, und was geschieht dabei mit ihm? Das Abendblatt sprach mit Professor Iver Hand.

Hamburger Abendblatt:

Welche Grundmuster des Menschen motivieren zum Sammeln?

Iver Hand:

Verantwortlich ist meistens eine Mischung aus verschiedenen Faktoren. Voraussetzung ist zunächst ein generelles Interesse am Sammel-Objekt, bei Münzen oder Briefmarken zum Beispiel der geschichtliche Hintergrund, in den sich der Sammler vertiefen kann. Hinzu kommt der Wunsch, etwas Einzigartiges zu besitzen und damit das eigene Selbstwertgefühl zu heben, auch über die Bewunderung von anderen Sammlern in diesen meist überschaubaren sozialen Gemeinschaften. Der Sammler sieht in diesem Umfeld auch, welche Objekte ihm noch fehlen. Das erhöht die Motivation, die fehlenden Stücke zu erwerben, um das Gefühl der Zufriedenheit weiter zu erhöhen.

Was löst beim Sammeln zufriedene Gefühle aus?

Hand:

Unser Grundbedürfnis nach einer gewissen Ordnung. Sammeln und Ordnen gehen in den meisten Fällen Hand in Hand. Wer seine Sammlung nach bestimmten Kriterien sortiert und pflegt, empfindet dabei ein Zufriedenheitsgefühl oder einen Genuss, eine Art kontemplative Vertiefung in den einzelnen Gegenstand. Dass eine Kollektion komplett oder nahezu vollständig ist, wird ja auch nur im geordneten Zustand ersichtlich. Bei einigen Menschen spielt aber auch die Ablenkung von belastenden Gefühlen und Gedanken eine große Rolle. In diesem Fall kann die Sammelleidenschaft zum Problem werden.

Inwiefern?

Hand:

Wie viele andere Verhaltensweisen auch, kann das Sammeln krankhafte Züge annehmen, zum Beispiel wenn der Sammler sein Hobby nutzt, um negative Gefühle auszublenden. Chronische Ehekonflikte oder anhaltendes Mobbing am Arbeitsplatz können aus dem lustvollen einen leidvollen Sammler machen. So ein Sammelzwang dient dann der Ablenkung von Belastungen und erleichtert damit anfangs das Alltagsleben. Wenn er dann so weit ausufert, dass er fast die gesamte Freizeit füllt, kommt es aber zu schwerwiegenden negativen Folgen für das gesamte Sozialleben. Besonders gefährdet scheinen für diese Entwicklung Menschen zu sein, die in der Kindheit schwere Verlusterlebnisse hatten.

Ein Beispiel?

Hand:

Da fällt mir ein Patientenpaar ein, bei dem zunächst nur von einem Putzzwang der Ehefrau die Rede war, der Küche, Flur und Badezimmer der Wohnung betraf. Erst bei einem Hausbesuch zeigte sich, dass der Ehemann in den restlichen Zimmern Unmengen von Zeitschriften und Zeitungen angesammelt hatte. Das ursprünglich Problem war hier der Sammelzwang des Ehemannes, gegen den die Ehefrau ihr Reich mit dem Waschzwang verteidigte.

Wie geht man als Therapeut damit um?

Hand:

Für den Patienten stellt sein Sammelzwang also eine Art Lebensrettungsanker dar. Man muss ihn davon überzeugen, dass es bessere Alternativen gibt. Am besten gelingt dies mit einer Verhaltenstherapie.