Demonstrationen in ganz Indien. Neu-Delhi protestiert formell. Sponsoren ziehen Geld zurück.

Hamburg. Begonnen hatte alles als eine Fernseh-Farce. Doch inzwischen ist daraus eine handfeste politische Krise sowie ein erhitzter interkontinentaler Disput über Rassismus entstanden.

Aus Sicht des britischen Fernsehsenders Channel 4 war die Idee bestechend: Für die neue Runde der Container-Show "Big Brother" neben ein paar Kandidaten aus der unteren Schublade auch eine indische Bollywood-Göttin einzuladen. Für angeblich rund 500 000 Euro sagte die 31-jährige Shilpa Shetty zu, eine in Indien enorm populäre Schauspielerin, die mit bislang 51 Filmen Millionen gemacht hat und schon an der Seite von Megastar Shah Rukh Khan gedreht hat.

Die rehäugige Schönheit spricht neben Englisch und etwas Französisch sechs indische Sprachen und hat den schwarzen Gürtel im Karate. Ihre hoheitsvolle, 1,78 Meter große Erscheinung rief umgehend den blanken Hass einiger Mitbewohner hervor, vor allem den von Jade Goody.

Die 21-jährige "Big-Brother"-Veteranin aus Südlondon wurde von Massenblättern bereits zur "meistgehassten Frau Großbritanniens" gekürt und mit dem charmanten Beinamen "das Schwein" bedacht. Für ihre lesbische Mutter rollte sie schon mit vier Jahren Joints, ihr jamaikanischer Vater erlag einer Überdosis Heroin.

Jade Goodys Allgemeinbildung würde einem Vorschulkind zur Schande gereichen. So vertrat sie die Ansicht, Rio de Janeiro sei ein Fussballer und Sherlock Holmes der Erfinder der Toilette. Auch begehrte sie zu wissen, ob man in Portugal portuganesisch spreche und meinte, dass Pfauen echte Augen auf ihren Schwänzen haben.

Typisch für unsere Zeit, haben diese bemerkenswerten Fähigkeiten sowie ein gerissener Agent Jane Goody zu einem Vermögen von geschätzten zwölf Millionen Euro verholfen. Das als unterhaltend gedachte Duell Goody-Shetty - Pitbull gegen Panther - lief schnell aus dem Ruder. So fragte Goody die Inderin, ob sie in einem Verschlag wohne, ob sie starken Bartwuchs habe und nannte sie einen Hund. Der Freund der Britin, Jack Tweedy, bedachte den Star aus Bombay gar mit dem F-Wort, der wohl rüdesten Bezeichnung für den weiblichen Schoß. Als die Inderin für alle Hühnchen kochte, weigerten sich Mitspieler, das Essen anzurühren. "Weil man ja nicht weiß, wo sie vorher mit ihren Händen gewesen ist", wie sich Danielle Lloyd, Ex-Miss Great Britain, grauste. Und Goody keifte: "Die macht mich ganz krank, meine Haut fängt an zu jucken. Geh doch in deine Slums zurück." Shilpa Shetty wehrte sich zunächst formvollendet, brach dann aber in Tränen aus.

Ein Sturm der Entrüstung erfasste Indien. Die Regierung in Delhi legte formellen Protest in London ein, mehrere indische Minister formulierten scharfe Kritik. 40 000 wütende Anrufer beschimpften Channel 4 und die Produktionsfirma Endemol. Der Hauptsponsor von "Big Brother", das Mobilfunkunternehmen Carphone Warehouse, stoppte seine fünf Millionen Euro schwere Zuwendung. Lloyd und Goody verloren lukrative Verträge. Parlamentsabgeordnete beantragten eine Debatte über die künftige Finanzierung von Channel 4.

Die Titelseiten indischer Zeitungen wurden von dem Skandal beherrscht, in den Straßen verbrannten aufgebrachte Demonstranten "Big-Brother"-Puppen.

Der zufällig auf Indien-Reise weilende britische Schatzkanzler Gordon Brown, Tony Blairs vermutlicher Nachfolger, wurde von Reportern fast überrannt und von Handelsminister Kamal Nath vor einer diplomatischen Krise zwischen London und Delhi gewarnt. Brown erklärte, Großbritannien wolle als Land der Toleranz gesehen werden: "Alles, was davon ablenkt, verdamme ich".

Indiens Staatsminister im Außenamt, Anand Sharma, warnte: "Wir sind total ergriffen von dieser Sache und werden Maßnahmen ergreifen". In London beeilte sich Blair, vor dem Parlament zu erklären, dass Großbritannien keinen Rassismus toleriere.

Doch genau diese Frage wird dort nun heftig diskutiert, nämlich, wie viel Rassismus unter dem Firnis der Toleranz und Weltoffenheit lauert. Auch wenn Channel 4 erklärt, es handle sich nicht um Rassismus, sondern um "einen Zusammenprall der Kulturen". Die "Times", die den Skandal genüsslich auf fünf Seiten ausbreitete, schrieb, es könne sich auch um ein akutes "Stutenbeißen" handeln. Superweib Shetty werde eben von weniger begünstigten Frauen als unerträgliche Bedrohung empfunden.