Nach dem Mord an Pim Fortuyn steht das Königreich unter Schock. Die Polizei hat einen Umweltaktivisten als mutmaßlichen Täter festgenommen. Was war sein Motiv?

Den Haag. Sie haben Blumen gebracht und Kerzen angezündet und Zettel geschrieben, auf denen steht: "Lieber Pim, was müssen wir jetzt tun?", oder "Endlich war da jemand, der gesagt hat, was wir alle dachten", oder "Wir sind ratlos und haben es nicht für möglich gehalten, dass bei uns so etwas geschehen kann." Das sagen die Leute, die sich vor dem Palazzo di Pietro, der Villa des ermordeten Politikers Pim Fortuyn, versammelt haben. Zu Hunderten sind die Rotterdamer zum G.W. Burgerplein gekommen, um ihre Trauer oder Wut zum Ausdruck zu bringen. Vor dem Rathaus eine lange Reihe Wartender. Alle wollen sich in das Kondolenzbuch eintragen. Mehr als 20 000 Bürger waren es bisher. Einen Tag nach dem politischen Mord an dem meistgeliebten und meistgehassten holländischen Politiker steht das Königreich unter Schock. Der Ministerrat hatte noch in der Nacht beschlossen, alle Wahlkundgebungen bis zum Wahltag am kommenden Mittwoch abzusagen. Die Parlamentswahlen wurden nicht verschoben, und Thronfolger Willem-Alexander und seine Frau, Prinzessin Maxima, haben ihre zehntägige Reise durch die Niederländischen Antillen abgebrochen. In einer persönlichen Erklärung hatte Ministerpräsident Wim Kok gesagt: "Ich bin kaputt von dem, was in unserem Land geschehen ist. Respekt vor der Meinung anderer beinhaltet, dass man miteinander streitet, aber mit Worten und nicht mit Kugeln." Der Spitzenkandidat der Arbeiterpartei (PvdA), Ad Melkert: "Ein Tiefpunkt für die Demokratie in den Niederlanden. Unsere Demokratie hat dadurch ihre Unschuld verloren." Der Spitzenkandidat der Rechtsliberalen VVD Hans Dijk Stal: " Ich habe stets versucht, den Mann mit Respekt zu behandeln. Ich glaube nicht, dass er dämonisiert worden ist, denn das soll der Grund für den Mord sein." Nach Angaben seiner Partei, der Liste Pim Fortuyn (LPF), hat der vielfach angefeindete Politiker mehrmals Morddrohungen erhalten. Noch am Mordtag wurde er bedroht und hatte beschlossen, nicht in Rotterdam zu übernachten, sondern in Leeuwarden. Ihm wurde Ausländerfeindlichkeit vorgeworfen, nachdem er sich für die Streichung des Antidiskriminierungsparagraphen aus der Verfassung ausgesprochen und den Islam eine rückwärts gewandte Kultur bezeichnet hatte. Fortuyn war mit der Forderung, die Niederlande müssten ihre Grenzen für Einwanderer schließen, in den Wahlkampf gezogen. Seine vor drei Jahren verstorbene Mutter Jacoba hatte den Mord an ihren Sohn vorhergesagt: "Er wird einmal erschossen wie Kennedy." Auch der gläubige Katholik Fortuyn war sich bewusst, dass er einen gefährlichen Job hatte. "Nun, wo ich in der Politik bin", so der Politstar, "bin ich froh, dass sie das nicht mehr erlebt." Der Rechtsanwalt Fortuyns, Oscar Hammerstein, sagte nach dem Mordanschlag, die Polizei habe die Drohungen nie ernst genommen. Als Demonstranten ihm am 14. März im Haager Pressezentrum drei Torten ins Gesicht klatschten, sagte Fortuyn: "Die Torten sind nicht so schlimm, aber wenn man den Hass in den Augen dieser Menschen sieht . . ." Verantwortlich für die Tortenaktion war die Biologische Bäckerbrigade. Damit die Torten noch mehr stanken, hatte man Erbrochenes mitgebacken. In seiner Heimatstadt Rotterdam hatte sich Pim Fortuyn so unsicher gefühlt, dass das Thema Sicherheit dort erste Priorität hatte: "Ich führe keine Kampagne auf der Straße, da fühle ich mich nicht sicher genug." Dagegen galt der bewachte Mediapark Hilversum als ungefährliche Gegend. Dass Fortuyn dort auf dem Parkplatz seinen Mörder traf, der sich als Reporter ausgab, gehört zur Tragik des ungewöhnlichsten holländischen Politikers der Nachkriegszeit. Der mutmaßliche Täter wurde mit der Tatwaffe in der Hand verhaftet. "Er war auffallend unauffällig und bisher polizeilich nicht bekannt", sagt der Polizeioffizer, der die Untersuchung leitet. Bei dem Mann handelt es sich um einen 32 Jahre alten niederländischen Familienvater aus dem früheren Fischerdorf Harderwijk. Und sonst? Sonst haben die ersten Ermittlungen ergeben, dass er der linksextremen Szene angehören und den Anwalt Pieter Herman Bakker Schut eingeschaltet haben soll. Der ist bekannt, weil er in den 70er-Jahren Mitglieder der Roten Armee Fraktion (RAF) verteidigt hatte. Das Büro wollte sich dazu nicht äußern. Bei der Hausdurchsuchung des mutmaßlichen Täters beschlagnahmten die Beamten einen Computer, Munition und Material von Umweltaktivisten. Der Mann wird als fanatischer Tierschützer geschildert, der gegen die industrielle Viehhaltung und Pelztierfarmen agitierte. Die Umweltorganisation Milieu Offensief in Wageningen, bei der er gearbeitet hatte, distanzierte sich von ihrem früheren Mitarbeiter. Die Stimmung in Holland ist explosiv. Wim Kok, der nach den Wahlen aus der niederländischen Politik ausscheidet, wies alle Unterstellungen, die Regierung sei mitschuldig am Mord des charismatischen Politstars, von der Hand und ermahnte die Bevölkerung, Ruhe zu bewahren. Fortuyns Pressesprecher, Mat Herben, hatte gleich nach dem Mord gesagt: "Pim hatte Angst, Angst weil er in die extrem rechte Ecke gestellt und immer wieder mit Haider und Le Pen verglichen wurde. Es gab eine Hasskampagne gegen uns, vor allem von Seiten der Sozialdemokraten. Die Gefahr kommt in Holland nicht von Extrem-Rechts, sondern von Extrem-Links."