Hamburg. FDP-Vorsitzender eröffnet Bundestagswahlkampf im Hotel Atlantic. Sucht Katja Suding bereits eine Wohnung in Berlin?

Kaum hat Christian Lindner das Hotel Atlantic betreten, muss der große Festsaal wegen Überfüllung geschlossen werden. Die Zuhörer stehen in den Gängen und neben der Bühne. Draußen müssen Menschen abgewiesen werden – bei der FDP! „Was für ein Bild!“, sagt der FDP-Bundesvorsitzende, der angesichts der Hitze im Raum zu Beginn seiner Rede Krawatte und Sakko ablegt – unter dem Applaus seiner relativ jungen Anhänger.

Dann legt er los. „Es ist eine Respektlosigkeit gegenüber Kindern und jungen Erwachsenen, in welchem Zustand unsere Bildungseinrichtungen sind“, sagt Lindner und erzählt die Geschichte eines Büros von wissenschaftlichen Mitarbeitern in Erlangen, bei dem die Decke eingebrochen sei: „Wenigstens waren es Archäologen, notfalls hätten sie sich selbst ausgraben können.“ Der Saal tobt, der Saal lacht, ein kleines Mädchen mit rosafarbenem Schnuller stellt sich neben Lindner auf die Bühne, springt herunter und klettert wieder hinauf. Fünfmal, zehnmal. So hat jeder seinen Spaß. „Mach ruhig weiter“, sagt Lindner, als der Vater die Kleine abholt. „Mich stört es nicht.“

In dem Moment sind es noch genau 23 Tage. Dieses Herunterzählen der Zeit bis zur Bundestagswahl ist fast ein Ritual geworden bei den Auftritten des FDP-Vorsitzenden. Niemand sehnt den 24. September so herbei wie die Liberalen, weil er dann endlich vorbei ist, „dieser Bildungsurlaub, den uns die Wähler vor vier Jahren verordnet haben“.

Vier Jahre waren die Liberalen draußen

Lindner kann angesichts von Umfragen, die seine Partei stabil um die acht Prozent sehen, heute Scherze machen über diese Zeit seit 2013, die die härteste in seinem jungen politischen Leben war. Vier Jahre haben die Liberalen „die Deutschen mit der Großen Koalition allein gelassen“. Sie waren draußen, nicht nur aus dem Bundestag, sondern auch aus der „Tagesschau“ und dem „heute-journal“, raus aus den politischen Debatten, Bittsteller, wenn es um Interviews ging. Es schien, als müsse man sich daran gewöhnen, dass die FDP nach Wahlen keine Sitze mehr in Parlamenten hat.

Jetzt kann es bei Lindners Reden passieren, dass es nicht genug Sitze für die gibt, die ihm zuhören wollen – so wie am Freitagabend in Hamburg. Die Stadt ist wichtig für die FDP. Bei der Bürgerschaftswahl 2015 zeigte Katja Suding, dass man als Liberale auch zu den Siegern gehören kann. Ohne den Hamburger Erfolg wäre weder die Partei insgesamt noch ihre Spitzenfrau im Norden dort, wo sie heute sind. Suding ist neben Lindner und Bundesvize Wolfgang Kubicki das Gesicht der Partei auf Bundesebene. Wobei: Außerhalb Hamburgs konzentriert sich die Kampagne der FDP auf den Vorsitzenden. Seine Plakate fallen auf, nicht nur weil die Fotos schwarz-weiß sind.

Lindner wirkt im Vergleich zu den Konkurrenten wie ein Popstar

Lindner wirkt darauf im Vergleich zu den Bildern von Angela Merkel und Martin Schulz wie ein Popstar, unter der Woche musste er sich in einer TV-Sendung deswegen vorwerfen lassen, dass er furchtbar eitel sei. Als ob die anderen Spitzenkandidaten nicht auch überlebensgroß plakatiert würden, als ob es nicht in allen Parteien mindestens so stark um Personen wie um Themen gehen würde. Der FDP-Chef kann darüber lachen. Er weiß, dass er die große Mehrheit der Deutschen nie hinter sich haben wird und dass es darauf nicht ankommt. Entscheidend sind die acht, vielleicht auch zehn Prozent, die wieder an die Liberalen glauben. Und die Lindner wirklich feiern wie einen Popstar.

Wer den Mann nur aus dem Fernsehen kennt, wird unterschätzen, was er für eine Wirkung bei Live-Auftritten hat. Mehr als 900 Reden hat er in den vergangenen Jahren gehalten. Dabei hat er nach und nach Dinge weggelassen: erst das Stehpult, dann das Manuskript, oft die Krawatte. „Zwischendurch habe ich überlegt, ob ich nicht auch die Reden weglassen sollte, um gleich mit den Leuten zu diskutieren.“

Noch spricht der FDP-Chef meistens frei, pointiert und zum Glück nicht mehr so übertrieben laut wie früher. Es hat Zeiten gegeben, in denen Lindner offenbar schreien musste, weil er die Sorge hatte, ihn würde sonst keiner hören. Vorbei. Jetzt ist er fröhlich, aber bestimmt, zum Beispiel wenn er über die beiden großen Gegner redet. „Die Strategie der CDU kann man in zwei Worten zusammenfassen“, sagt er dann. „Weiter so. Oder in einem Wort: Merkel.“ Und Schulz? Lindner: „Sie wissen, das war früher mal der nächste Bundeskanzler. Aber keine Häme: Ich weiß, wie das ist, wenn in einem Wahlkampf so gar nichts gelingen will.“

Lindner kann lustig sein, das unterscheidet ihn von den meisten anderen, die über Politik sprechen. Und es ist Teil seiner Strategie. Was ihn für den 24. September so zuversichtlich stimme, sei, dass man „2017 mit Optimismus Wahlen gewinnen kann“, wie Emmanuel Macron in Frankreich. Die Stimmung habe sich zum Glück geändert. 2016 seien die Wahlkämpfe, siehe USA, noch von Hass und Pessimismus beherrscht worden. Da habe man in Deutschland geglaubt, dass die AfD über 15 Prozent kommen könnte. Und heute? „Heute gibt die AfD ab und zu mal einen politischen Rülpser von sich, und dann ab ans Büfett.“

Suding soll sich in Berlin schon nach einer Wohnung umsehen

Der Mann versucht gar nicht erst, möglichst vielen oder gar allen zu gefallen: „Wenn man seine eigene politische Meinung davon abhängig macht, was andere sagen, hat man ohnehin charakterlich verloren.“ Lindner folgt einem Plan, der zuallererst die FDP zurück in den Bundestag führen soll. Eine Regierungsbeteiligung ist darüber hinaus zwar möglich, aber genauso wenig Ziel wie eine Koalition mit der CDU: „Wir haben keinen Wunschpartner“, sagt er. Und wenn jemand nach der Wahl anrufen sollte? „Dann legen wir nicht auf.“

Lindner sagt öffentlich nichts über eigene Ambitionen, Fraktionschef wird er aber auf jeden Fall. Sollte es zu einer Regierungsbeteiligung reichen, müssten auch andere ran. Dann wäre Katja Suding gesetzt, ist sie doch die bekannteste liberale Frau. Der Wahlkampfauftakt im Atlantic war deshalb so etwas wie der Anfang vom Ende der Landespolitikerin. Wie man hört, sieht sie sich in Berlin nach einer Wohnung um.

„Wir würden gern die dritte Kraft im Deutschen Bundestag werden, und wir würden gern etwas verändern. Entweder in der Regierung oder in der Opposition“, sagt der FDP-Chef: „Wir werden wieder Fehler machen. Aber wir werden nicht dieselben Fehler machen wie früher.“