Berlin. Israel stimmt humanitären Pausen im Gaza-Krieg zu. Eine vertrauensbildende Maßnahme kann den Weg zur Freilassung der Geiseln eröffnen.

Die Geheimdienste sind am Zug, die amerikanische CIA und der israelische Mossad. Beide verhandeln nach Berichten aus Israel mit der Hamas. Klar ist, worum es geht: um eine Feuerpause im Gaza-Krieg und um das Schicksal der rund 240 Geiseln.

Einen Etappenerfolg verkündete das Weiße Haus am Donnerstag: eine tägliche vierstündige humanitäre Pause bei den Kämpfen. Sie ist eine Grundvoraussetzung für eine sichere Freilassung von Geiseln.

Katar bietet sich als Mediator an

Zuletzt stellte Israels Regierungschef Benjamin Netanjahu klar, „es wird keine Waffenruhe ohne die Freilassung unserer Geiseln geben.“ Seine Sorge ist, dass andere Staaten einen Deal auf Kosten Israels machen.

Die Schlüsselrolle spielt ein islamisches Land: Katar. Der reiche Golfstaat – große Reserven an Öl und Gas – wird vom Westen geschätzt und gepflegt. Erst vor knapp einem Monat empfing Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) den Emir von Katar, Tamim bin Hamad al Thani, in Berlin zu einem Mittagessen.

Eine Feuerpause ist die Voraussetzung für die Freilassung

Der Kanzler weiß vom Ruf des Emirats, islamistische Gruppierungen zu unterstützen. Katar hat viel zu bieten, Geld, auch Schutz, einen Rückzugsraum für Hamas-Führer. Die Kontakte reichen über 30 Jahre zurück. Berührungsängste: null.

Einer der wichtigsten Hamas-Akteure, Ismail Haniyya, lebt in der Türkei und in Katar. Als Mediationsmacht – auch von Israel akzeptiert – profiliert sich aber nicht die Türkei, sondern nur Katar. Das war schon im Afghanistan-Krieg so.

Viele Staaten wenden sich an den Emir

2013 durften die Taliban in Doha ein Büro eröffnen. Dann traten Katars Nischendiplomaten auf den Plan und vermittelten zwischen den USA und den Taliban ein Abkommen, das zum Abzug der Amerikaner führte.

Im Vergleich zum Gaza-Krieg war Afghanistan eine eindimensionale Aufgabe. Diesmal sitzt mit Israel ein dritter Akteur am Tisch. Zudem sind viele andere Staaten betroffen.

Die Chancen einer Geiselbefreiung sind gering

Die Terroristen haben am 7. Oktober nicht nach dem Pass gefragt. Sie haben bei ihrem Angriff auf Israel wahllos Menschen getötet oder verschleppt, neben Israelis auch Touristen oder beispielsweise thailändische Erntehelfer.

An den Gesprächen, die in Ägypten stattfinden sollen, ist dem Vernehmen nach Haniyya persönlich beteiligt, dazu Vertreter von CIA und Mossad, mutmaßlich sogar die Geheimdienstchefs selbst.

Für sie geht es darum, erstens möglichst viele Geiseln freizubekommen. Zweitens um einen möglichen Zugang des Internationalen Komitees vom Roten Kreuz zu den Opfern. Drittens um eine Liste mit den Namen aller Geiseln. Noch immer werden viele Menschen vermisst. Man muss davon ausgehen, dass viele Entführte längst tot sind.

Viele Staaten wenden sich an Katar, um ihre Landsleute lebend nach Hause holen zu können – oder die sterblichen Überreste. Dann leben die Angehörigen wenigstens nicht mehr in der Ungewissheit und können die Verstorbenen bestatten. Für die Trauerarbeit ein entscheidender Punkt.

Die Amerikaner vermissen einen Exit-Plan

Mit jedem Tag, an dem Israels Soldaten im Häuserkampf um Gaza-Stadt vorrücken und Zugänge zum Tunnelsystem der Hamas sprengen, wächst die Lebensgefahr für die verschleppten Menschen. Eine realistische Chance, sie zu befreien, gibt es nur, wenn die Geheimdienste ihren genauen Aufenthaltsort erfahren, so wie bei der israelischen Soldatin Ori Megidish. Das ist die Ausnahme.

In der Vergangenheit hat die Hamas mit Geiseln zum einen hohe Lösegelder kassiert, zum anderen aber auch in Israel gefangene Kämpfer freigepresst. Mitten in der Bodenoffensive des israelischen Militärs IDF ist eine Feuerpause eine Voraussetzung für eine Freilassung, für die Sicherheit der Geiseln, aber noch nicht der eigentliche Deal. Was strebt die Hamas an? Geld oder andere Hilfsleistungen, eine Möglichkeit zum Rückzug?

Die treibende Kraft sind die USA. Ihr Außenminister Antony Blinken hat bei Besuchen in mehreren arabischen Staaten klargemacht, dass es im Gaza-Krieg nicht beim derzeitigen Zustand bleiben könne. Die Amerikaner wollen zwar die Hamas verdrängen, bemühen sich aber um einen Plan für eine Neuordnung der Region.

Ein Signal? Die Hamas redet mit einer US-Zeitung

In israelischen Medien heißt es, die Amerikaner seien frustriert, weil sie eine israelische „Ausstiegsstrategie“ vermissen. Die US-Regierung sei sich nicht sicher, ob Israel nach der Niederlage der Hamas einen langfristigen Plan für die Zukunft in Gaza habe.

Kein Zufall ist es wohl auch, dass ein führender Vertreter der Hamas, Chalil al-Haja, ausgerechnet einer amerikanischen Zeitung, der „New York Times“, ein Interview gab. Mit dem Terrorangriff auf Israel am 7. Oktober habe die Hamas den Plan verfolgt, einen dauerhaften Krieg mit Israel auszulösen, sagte er. Es sei notwendig gewesen, „die gesamte Gleichung zu ändern und nicht nur einen Zusammenstoß zu haben“, erklärte Chalil al-Haja. „Es ist uns gelungen, die Palästinenserfrage wieder auf den Tisch zu bringen, und jetzt kommt niemand mehr in der Region zur Ruhe.“

Der erste Schritt: Gesichtswahrung, Vertrauen bilden

Am Verhandlungstisch sitzen nun Vertreter beider Seiten, und im Grunde geht es nach dem Lehrbuch der Diplomatie. Man hat mit Katar einen Mediator und bemüht sich um Gesichtswahrung, in der Sprache der Diplomaten: „Off-ramp“. Und wie man üblicherweise vorgeht, hat der langjährige deutsche Diplomat Wolfgang Ischinger einmal der „Neuen Zürcher Zeitung“ erläutert,

„Es gibt ein Grundrezept“, setzt er an, „sie dürfen nicht mit der schwierigsten Frage anfangen“. Sondern mit einem leichten Thema. Und eine Einigung sei dann die allererste vertrauensbildende Maßnahme. Am Donnerstag scheint genau das mit einer ersten humanitären Feuerpause gelungen zu sein.