Berlin. Nach einer erneuten Razzia gegen die Letzte Generation rückt die Frage in den Fokus: Wie gefährlich ist die Klimaschützer-Gruppe?

Mit einer Razzia gegen Klimaaktivisten von der Letzten Generation in sieben Bundesländern ist die Debatte um die Einstufung der Gruppe als kriminelle Vereinigung neu entbrannt. Ein solcher Schritt hätte weitreichende Folgen für die Mitglieder.

Was ist passiert?

In Bayern, Berlin, Hessen, Hamburg, Sachsen-Anhalt, Sachsen und Schleswig-Holstein haben Ermittler am Mittwoch insgesamt 15 Wohnungen und Geschäftsräume durchsucht. Der Tatvorwurf lautet auf Bildung beziehungsweise Unterstützung einer kriminellen Vereinigung. Das Ermittlungsverfahren liegt bei der Generalstaatsanwaltschaft München, beauftragt mit den polizeilichen Ermittlungen ist das Bayerische Landeskriminalamt. Im Visier sind sieben Beschuldigte im Alter von 22 bis 38 Jahren. Festgenommen wurden sie nicht.

Das Vorgehen gegen die Gruppe zeige, „dass der Rechtsstaat sich nicht auf der Nase herumtanzen lässt“, sagte Bundesinnenministerin Nancy Faeser (SPD) dieser Redaktion. „Legitimer Protest endet immer da, wo Straftaten begangen und andere in ihren Rechten verletzt werden. Wenn diese rote Linie überschritten ist, dann muss die Polizei handeln.“ Im Zusammenhang mit Klimaprotesten haben die Polizeibehörden der Ministerin zufolge im vergangenen Jahr mehr als 1.600 Straftaten registriert.

In Bayern, Berlin, Hessen, Hamburg, Sachsen-Anhalt, Sachsen und Schleswig-Holstein haben Ermittler am Mittwoch insgesamt 15 Wohnungen und Geschäftsräume durchsucht.
In Bayern, Berlin, Hessen, Hamburg, Sachsen-Anhalt, Sachsen und Schleswig-Holstein haben Ermittler am Mittwoch insgesamt 15 Wohnungen und Geschäftsräume durchsucht. © AFP | JOHN MACDOUGALL

Was ist eine kriminelle Vereinigung?

Laut Paragraf 129 des Strafgesetzbuchs wird eine kriminelle Vereinigung gegründet, um schwerere Straftaten zu begehen. Ihr müssen mindestens drei Personen angehören, weitere Merkmale sind festgelegte Rollen der Mitglieder, dauerhafte Mitgliedschaft und Struktur sowie die „Verfolgung eines übergeordneten gemeinsamen Interesses“. Auf Mitgliedschaft, Unterstützung und Werbung stehen bis zu drei Jahre Haft, den Rädelsführern und Hintermännern drohen fünf Jahre Gefängnis.

Was wird den Beschuldigten vorgeworfen?

Die sieben Beschuldigten sollen eine Spendenkampagne „zur Finanzierung weiterer Straftaten“ für die Letzte Generation organisiert haben. Dabei sollen mindestens 1,4 Millionen Euro zusammengekommen sein. „Dieses Geld wurde nach den bisherigen Erkenntnissen überwiegend auch für die Begehung weiterer Straftaten der Vereinigung eingesetzt“, erklärte das Bayerische Landeskriminalamt. Zwei der Beschuldigten sollen außerdem versucht haben, im April des vergangenen Jahres die Öl-Pipeline Triest-Ingolstadt zu sabotieren.

Die Durchsuchung von Wohnungen bei Tatverdächtigen sind vor allem in großen Verfahren nicht selten. Dabei müssen die Straftaten nicht einmal besonders schwer sein. Eine Durchsuchung sagt also erstmal nicht viel über die Schwere der Tat oder gar der Schuld aus.

Wie hat die Gruppe Spenden gesammelt?

Für die Spendenaktion hat die Letzte Generation den Ermittlern zufolge auf ihrer Internetseite geworben. Die Homepage wurde auf Anweisung der Staatsanwaltschaft beschlagnahmt und abgeschaltet. Wer die Seite der Letzten Generation am Mittwochnachmittag aufrief, wurde auf den Twitter-Account der Gruppe umgeleitet. Es seien außerdem zwei Kontobeschlagnahmebeschlüsse und ein Vermögensarrest zur Sicherung von Vermögenswerten vollstreckt worden. Welcher Betrag beschlagnahmt wurde, blieb offen.

Mit den Durchsuchungen sollten außerdem Beweismittel zur Mitgliederstruktur der Letzten Generation gesichert und Informationen zur Finanzierung gesammelt werden. Die Untersuchungen richteten sich nicht gegen die Spender.

Polizisten kommen bei einer Hausdurchsuchung in Berlin-Kreuzberg aus einem Gebäude: Im Visier sind sieben Beschuldigte im Alter von 22 bis 38 Jahren. Festgenommen wurden sie nicht.
Polizisten kommen bei einer Hausdurchsuchung in Berlin-Kreuzberg aus einem Gebäude: Im Visier sind sieben Beschuldigte im Alter von 22 bis 38 Jahren. Festgenommen wurden sie nicht. © dpa | Christoph Soeder

Ist die Letzte Generation eine kriminelle Vereinigung?

Der Vorwurf der Gründung einer kriminellen Vereinigung ist gravierend. Die Klima-Kleber würden so Rockergruppen wie den Hells Angels oder italienischen Mafia-Organisationen wie die N'drangheta gleichgestellt, die mit Drogen und Menschen handeln. So warnt ein erfahrener Ermittler im Gespräch mit unserer Redaktion davor, die Klimaaktivisten in eine Reihe mit schwersten Kriminellen zu stellen. Eine Straße zu blockieren sei weit entfernt von dem brutalen Geschäft mit illegalen Drogen, Waffen oder Prostituierten.

In der Organisation der Aktionen sehen Kriminalpolizisten wie er aber den Aufbau einer Vereinigung – und eine Radikalisierung eines Teils der Klima-Szene in Form der der geheimen Absprachen und der Abschotten nach außen. Auch in der radikalen Rhetorik gegen die Regierung und der Instrumentalisierung von Gerichtsverfahren für die eigenen politischen Ziele würden sich zumindest Parallelen zu kriminellen Organisationen zeigen, so der Ermittler.

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In einer Analyse der Bundesrechtsanwaltskammer heißt es, zwar begehe die Gruppe bei ihren Protestaktionen häufig Straftaten wie etwa Nötigung, Widerstand gegen Vollstreckungsbeamte oder Sachbeschädigung. „Dennoch ist aktuell umstritten, ob dies das alleinige Ziel der Gruppe ist“, so die Einschätzung. „Ihr vorrangiges Ziel ist es schließlich, die Politik zum Handeln zu bewegen, um die drohende Klimakatastrophe abzuwenden.“ Strafverfolgungsbehörden beurteilten die Aktionen der Gruppe bisher sehr unterschiedlich, es gab sowohl Haftstrafen als auch Freisprüche.

Sind die Ermittlungen in Bayern ein Einzelfall?

Auch in Brandenburg wird wegen des Verdachts der Bildung einer kriminellen Vereinigung gegen die Letzte Generation ermittelt. Die Staatsanwaltschaft Neuruppin ließ deswegen im Dezember Wohnungen durchsuchen. Hintergrund waren Attacken auf Anlagen der Raffinerie PCK Schwedt. Das Landgericht Potsdam bestätigte den Anfangsverdacht.

Berlins Justizsenatorin Felor Badenberg lässt ebenfalls prüfen, ob die Gruppe als kriminelle Vereinigung eingestuft werden kann. Die Staatsanwaltschaft Berlin äußerte sich bisher zurückhaltend. Für diesen Schritt müsse „das Ganze schon terrorismusähnlich sein, mit einer gewissen Erheblichkeit ausgestattet sein“, sagte ein Sprecher kürzlich. Am Ende entscheiden Gerichte über die Frage.

Die Razzien machten ihnen Angst, sagen Aktivisten der Letzten Generation.
Die Razzien machten ihnen Angst, sagen Aktivisten der Letzten Generation. © AFP | ODD ANDERSEN

Was wären die Folgen?

Wenn die Sicherheitsbehörden die Letzte Generation als kriminelle Vereinigung einstufen, macht sich auch strafbar, wer die Gruppe unterstützt, sei es mit Spenden, sei es mit Transport von Aktivisten, das Werben neuer Mitglieder oder das Organisieren von Klebstoff. Das Strafgesetzbuch sieht auch für die Unterstützung ein Strafmaß von bis zu drei Jahren Haft vor. Es kann in weniger schweren Fällen aber auch eine Geldstrafe verhängt werden.

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Gegen mutmaßlich kriminelle Vereinigungen können die Ermittler mit voller Härte vorgehen und Telefone überwachen, Aktivisten observieren, oder – wie jetzt – Wohnungen durchsuchen. Auch wenn sie nichts entdecken, schüchtert das die Szene ein.

Wie reagiert die Letzte Generation?

Die Razzien machten ihnen Angst, sagte Aktivistin Aimée van Baalen. Die Ermittlungen könne die Gruppe nicht verstehen. Es finde keine Bereicherung an den beschlagnahmten Spenden statt. Zudem sei die Gruppierung äußerst transparent und stelle ihre Strukturen in einem Organigramm auf ihrer Homepage dar. „Wir glauben an den Rechtsstaat“, zeigt sich van Baalen zuversichtlich. Die Gruppe kündigte an, weitere Proteste zu organisieren, die nach einer noch nicht näher definierten Sommerpause stattfinden sollen.