London. Vize-Premier Dominic Raab musste wegen Mobbings zurücktreten. Premier Rishi Sunak verliert damit einen wichtigen Anhänger im Kabinett.

Dominic Raabs Rücktrittsschreiben ist etwas mehr als eine Seite lang, aber Reue sucht man darin vergebens. Er fühle sich verpflichtet, sein Amt als Justizminister und stellvertretender Premierminister niederzulegen, schrieb er am Freitagmorgen – aber er ließ keine Zweifel, dass er das eigentlich total unfair finde.

Raab trat zurück, nachdem ein Untersuchungsbericht zu dem Schluss gekommen war, dass der Minister Zivilbeamte gemobbt hatte. Mehrere Mitarbeiter Raabs hatten in den vergangenen Jahren entsprechende Vorwürfe erhoben. Im November wurde der Jurist Adam Tolley beauftragt, die Anschuldigungen zu untersuchen und zu prüfen, ob Raab den Ministerialkodex gebrochen habe. Tolley legte seinen Bericht am Donnerstag vor, einen Tag später entschloss sich der britische Justizminister zum Rücktritt.

Raab: Das steht in dem Bericht

Der etwa 50-seitige Bericht, der erst nach Raabs Demission publik gemacht wurde, stützt sich auf 66 Interviews und ist sehr detailliert. Tolley geht auf einzelne Zwischenfälle ein und beschreibt bestimmte physische Gesten Raabs. Er habe zum Beispiel „jemandem die Hand vor das Gesicht gehalten, um die Person zum Schweigen zu bringen.“ Raab habe in einer Sitzung – er war damals Außenminister unter Boris Johnson – „einschüchternd“ verhalten und „aggressives Verhalten“ an den Tag gelegt.

Dominic Raab tritt zurück: Er galt lange Zeit als Verbündeter von Premier Rishi Sunak.
Dominic Raab tritt zurück: Er galt lange Zeit als Verbündeter von Premier Rishi Sunak. © Frank Augstein/AP

In seinem Rücktrittsschreiben sagte Raab, dass das alles nicht so schlimm sei. „Nur zwei der Anschuldigungen gegen mich wurden im Bericht für begründet erklärt“, schrieb er. „Herr Tolley ist zum Schluss gekommen, dass ich in viereinhalb Jahren nicht ein einziges Mal geflucht oder jemanden angeschrien habe“, ganz zu schweigen von körperlicher Einschüchterung. Dass er dennoch des Mobbings für schuldig befunden wurde, zeige, dass die Schwelle viel zu tief sei. In einem Artikel für den konservativen "Daily Telegraph" legte er am Freitagmorgen nach: Er schrieb, dass das ganze Untersuchungsprozedere eine „kafkaeske Saga“ gewesen sei.

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Premierminister Sunak: So stand er zu Raab

Für Premierminister Rishi Sunak bedeutet der Abgang seines Stellvertreters, dass er einen seiner treusten Anhänger verliert. Raab war ein wichtiger Vertreter des Brexit-Flügels der Tory-Partei, er hatte in den vergangenen Jahren mehrere wichtige Posten inne: Er war unter anderem Außen-, Brexit- und Justizminister.

Raab hatte stets den Ruf, einen groben, zuweilen aggressiven Führungsstil zu pflegen und Mitarbeiter respektlos zu behandeln. Auch berichten ehemalige Staatsbeamte von seiner Inflexibilität: Eine tägliche Session im Fitnessstudio habe nie fehlen dürfen. Als Kabul im 2021 an die Taliban fiel, lehnte es Außenminister Raab ab, seine Ferien auf Kreta abzubrechen – und als er zurück in London war, sollen sich die Evakuierungsarbeiten verzögert haben, weil Raab gewisse Dokumente in einem bestimmten Format vorgelegt haben wollte.

Sunak: Wusste er schon länger über die Vorwürfe Bescheid?

Laut Tolleys Untersuchungsbericht hat Raab mit seinem Verhalten in bestimmten Fällen die Grenze zum Mobbing überschritten. So ist seine ministeriale Karriere am Ende. Premierminister Sunak dürfte erleichtert sein, dass sich sein Stellvertreter am Ende selbst zum Rücktritt entschloss – oder es zumindest so aussehen ließ. Am Donnerstagabend hatte es noch ganz anders ausgesehen: Medien berichteten, dass Raab auf keinen Fall freiwillig gehen werde. Möglich, dass ihn Sunak in einem Gespräch unter vier Augen umstimmen konnte. Andernfalls hätte er ihn feuern müssen – was am rechten Rand der Tory-Fraktion für Unmut gesorgt hätte.

Trotzdem könnten für Sunak noch Probleme aufwarten. Denn manche fragen sich, wie viel er über die Vorwürfe gegen Raab gewusst hatte, bevor er ihn im Oktober beförderte - wenn er Bescheid gewusst hatte, dann wäre der Entscheid, ihn zu seinem Stellvertreter zu machen, höchst problematisch. Manche Regierungsinsider haben gegenüber den Medien gesagt, Boris Johnson habe seinen Nachfolger über das Verhalten Raabs gewarnt. Mit dem Untersuchungsbericht, den Sunak im November in Auftrag gab, konnte sich der Premierminister etwas Zeit kaufen - aber die Frage, was er genau gewusst hatte, könnte ihn weiter verfolgen.

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