Berlin. Hartz IV: Ukraine-Flüchtlinge können fortan Grundsicherung beantragen. Vielen Jobcentern droht Chaos, vor allem in den Großstädten.

Zehntausende Geflüchteten aus dem Ukraine-Krieg können von diesem Mittwoch an in den Jobcentern Grundsicherung für Arbeitsuchende beantragen. Die Ukrainerinnen und Ukrainer können damit Hartz IV in Anspruch nehmen, nachdem sie bislang die geringere Leistungen nach dem Asylbewerberleistungsgesetz erhielten.

Voraussetzung ist, dass die Betroffenen in den Jobcentern Bescheinigungen aus den Ausländerbehörden vorlegen. Es ist der offizielle Nachweis, dass sie vollständig in Deutschland registriert sind. Doch hier beginnt bereits das Durcheinander: Denn eigentlich gibt es dafür spezielle, fälschungssichere Dokumentenvordrucke.

Da aber die Bundesdruckerei die Formulare nicht rechtzeitig in ausreichender Zahl zur Verfügung stellen konnte, genügen nun bis Ende Oktober auch Ersatzdokumente, um den Hartz-IV-Zugang zu beantragen. Der Chef der Bundesagentur für Arbeit (BA), Detlef Scheele, sprach am Dienstag in Nürnberg von einer „Übergangslösung“.

Hartz IV für Ukrainer: Bundesagentur für Arbeit erwartet Probleme zu Beginn

Damit sei„sichergestellt, dass die Geflüchteten aus der Ukraine ihre Leistungen nahtlos bekommen“. Von der Gesamtzahl von rund 760.000 Ukrainern hätten 230.000 eine entsprechende Bescheinigung. Scheele sieht aber Probleme, falls der Andrang sehr groß werden sollte. So könne man nicht ausschließen, dass es ab dem Stichtag 1. Juni „in großen Städten an der einen oder anderen Stelle am Anfang noch knirschen könnte“.

Grund sei, dass in Städten – anders als in ländlichen Gebieten – mehr Flüchtlinge leben und damit auch die Jobcenter erheblich stärker mit Hartz-IV-Anträgen befasst sind. Er erwarte „ein Vielfaches des üblichen Antragsvolumens in der Grundsicherung für einen Juni“, betonte der BA-Chef. Die Ungleichverteilung der Flüchtlinge in Deutschland berge „Risikopotenzial“ für die Jobcenter. Es ist eine diplomatische Umschreibung für: Chaos.

Die CDU-Sicherheitspolitikerin und ehemalige NRW-Integrationsstaatssekretärin, Serap Güler, begrüßte zwar, dass Kriegsflüchtlingen aus der Ukraine „der Wechsel vom Asylbewerberleistungsgesetz zum Sozialgesetzbuch ermöglicht wird“. Den Menschen müsse „sofort, unkompliziert und mit aller Kraft unterstützt werden“, sagte Güler unserer Redaktion.

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CDU-Sicherheitspolitikerin Güler warnt vor Aufweichung des Asylrechts

Zugleich forderte sie von der Ampel-Regierung aber eine Klarstellung, „dass mit dieser Sonderregelung für ukrainische Kriegsflüchtlinge kein Präzedenzfall für die Zukunft geschaffen wird: „Der Kern unseres Asylrechts, dass der Einzelfall geprüft wird, muss weiterhin die Regel sein.“

Bundesarbeitsminister Hubertus Heil (SPD) strebt derweil eine Reform des Fachkräfte-Einwanderungsgesetzes an und will Migranten den Zugang zum deutschen Arbeitsmarkt erleichtern. „Wir werden Menschen, die dauerhaft bei uns bleiben und arbeiten wollen, dies ermöglichen“, sagte Heil unserer Redaktion. „Deshalb werden wir über die Beschäftigungsduldung einen Spurwechsel ermöglichen.“

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Hartz IV – Infos und Fakten zum Arbeitslosengeld II

  • Bedeutung: Hartz IV ist die finanzielle Unterstützung für "arbeitsfähige Arbeitssuchende" in Deutschland.
  • Einführung: Hartz IV wurde 2005 unter der grün-roten Bundesregierung von Gerhard Schröder eingeführt.
  • Empfängerinnen und Empfänger: Rund 3,6 Millionen Menschen haben laut der Bundesagentur für Arbeit im Dezember 2021 Hartz IV erhalten.
  • Sanktionen: Wenn Hartz-IV-Empfänger ihren Pflichten nicht nachkommen, können Leistungen gekürzt werden.
  • Träger: Für die Auszahlung von Hartz IV sind die Jobcenter zuständig.
  • Kritik: Kritikerinnen und Kritiker bemängeln vor allem, dass Hartz IV nicht für einen angemessenen Lebensstandard reiche – viele Empfängerinnen und Empfänger sind von Armut bedroht.

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Die Migrationspolitik müsse insgesamt „neu geordnet“ werden. Er arbeite derzeit zusammen mit Bundesinnenministerin Nancy Faeser (SPD) an einer Weiterentwicklung des Gesetzes. Heil verwies in diesem Zusammenhang auch auf die jüngsten Erfahrungen im Umgang mit Geflüchteten aus der Ukraine. Indem sie jetzt in die Grundsicherung kämen, könne „eine Integration dieser Menschen in den Arbeitsmarkt gelingen“.

Grundsicherung für Ukrainer: Kommunen sprechen von „Kraftakt“ wegen vieler Anträge

Der Hauptgeschäftsführer des Deutschen Städtetages, Helmut Dedy, rechnet im Zuge der Umstellung mit möglichen Anlaufschwierigkeiten vor allem in den Ballungszentren. „Gerade in den Großstädten werden die Jobcenter sehr viele neuer Leistungsberechtigter aufnehmen“, sagte Dedy unserer Redaktion.

Vor Ort arbeiteten die Kommunen mit den Jobcentern gut zusammen und hätten „gemeinsam den Übergang so gut wie möglich vorbereitet. Es wird allerdings auch ein Kraftakt angesichts der großen Zahl an Menschen“, betonte Dedy.