Die NRW-Wahl zeigt: Der Kanzler ist schwach und der FDP-Chef Lindner befindet sich in der falschen Regierung, kommentiert Jörg Quoos.

Die Wahlschlacht ist geschlagen, der Pulverdampf verflogen. Jetzt haben Wählerinnen und Wähler den klaren Blick auf die politische Szenerie und erkennen zwei Tatsachen, die sich nicht länger leugnen lassen.

Erstens: Der Überraschungssieger der Bundestagswahl, Olaf Scholz, ist bislang ein schwacher Kanzler und sein Autoritätsverfall nur fünf Monate nach der Vereidigung muss die SPD beunruhigen. Zweitens: Christian Lindner, der die FDP zu neuer Stärke geführt hatte, muss erkennen, dass die Ampel mit Grünen und Sozialdemokraten ein Humus ist, auf dem für die Liberalen nichts gedeihen kann.

Jörg Quoos, Chef der Zentralredaktion
Jörg Quoos, Chef der Zentralredaktion © Dirk Bruniecki

Olaf Scholz ist nicht bekannt für starke Sprüche in Interviews. Aber sein ganz und gar unscholziger Satz „Wer bei mir Führung bestellt, muss wissen, dass er sie dann auch bekommt“ macht eine Ausnahme und ist im kollektiven Gedächtnis hängen geblieben. Dieser Spruch hat Eindruck gemacht und das Bild des kantigen, unbequemen Politikers gezeichnet, der Widerstand aushält und der einen klaren Plan hat.

Der Kanzler zögert und zaudert bei wichtigen Entscheidungen

Das Problem ist: Deutschland hat bei der Bundestagswahl zwar Führung bestellt – aber der Kanzler hat bislang zu wenig davon geliefert. Olaf Scholz ist seit dem Überfall Russlands auf die Ukraine mehr Getriebener als Antreiber. Das spüren die Wähler. Der Kanzler zögert und zaudert bei wichtigen Entscheidungen und „liefert“ dann zwar irgendwann ab – aber die Wirkung seiner politischen Entscheidungen verpufft durch die Zögerlichkeit.

So erging es dem scholzschen 100-Milliarden-Programm. So war es bei der Entscheidung, doch noch schwere Waffen an die ukrainische Armee zu liefern. Auch die jüngste Fernsehansprache zur besten Sendezeit blieb wirkungslos. Und wenn der deutsche Bundeskanzler irgendwann mal als 286. Regierungschef die ukrainische Hauptstadt Kiew besucht, wird auch das zu spät kommen, um noch irgendeine Wirkung zu zeigen.

Der Kanzler muss sich also schnell auf seinen selbst formulierten Führungsanspruch besinnen, wenn er nicht zusehen will, wie seine Macht erodiert. Führen heißt mutig als Erster nach vorne gehen und andere überzeugen – auch wenn die Luft dünn wird und man den eigenen Kragen riskiert.

FDP-Chef Lindner wird seine Strategie ändern müssen

Christian Lindner wiederum kann und will führen – aber was nützt die entschlossenste Führung des FDP-Chefs, wenn es politisch von der eigenen DNA wegführt? Immer mehr Schulden für staatliche Rettungspakete, die aber nicht Schulden heißen dürfen. Immer mehr Kompromisse. So was kommt bei der FDP-Kundschaft einfach nicht gut an.

Christian Lindner wird einen Punkt erreichen, an dem er sich fragen muss: Was bringen uns all die schönen Ministerposten, wenn die Wähler abhandenkommen? „Lieber nicht regieren als falsch regieren“ – auch das ist so ein Satz von Christian Lindner, der sich eingebrannt hat. Stand heute müsste er aus Lindners Sicht lauten: „Lieber nicht regieren als mit den Falschen regieren.“ Aber dafür ist es jetzt zu spät.

Also wird Lindner – wenn er nicht nur staunend dem grünen Triumphzug zuschauen will – genauso wie Olaf Scholz seine Strategie überprüfen und ändern müssen. Und das heißt im Umkehrschluss: Deutschlands erster Bundesregierung aus SPD, FDP und Grünen stehen turbulente Zeiten bevor.

Christian Lindner selbst hat das Wahlergebnis von Nordrhein-Westfalen als „desaströs“ bezeichnet. Ein solches Maß an Selbstkritik wählen Politiker üblicherweise, wenn sie harte Kursänderungen begründen wollen. Das verheißt nichts Gutes für diese Ampel. Sogar ein Ampel-Ausfall ist nach der Wahlnacht von Düsseldorf nicht mehr auszuschließen.

Dieser Artikel erschien zuerst auf waz.de.