Berlin. Die Ex-Bundestagsvizepräsidentin Rita Süssmuth (85) hat den Zweiten Weltkrieg erlebt. Zur Ukraine hat sie eine sehr klare Haltung.

Rita Süssmuth (85) hat den Zweiten Weltkrieg noch erlebt. Die frühere Bundestagspräsidentin (CDU) sorgt sich nun, dass der Krieg in der Ukraine zu einem großen, „nicht mehr zu stoppenden Krieg“ hochschaukeln könnte. Europa müsse Stärke zeigen, um das zu verhindern.

Die Wahl in Frankreich am 24. April zwischen Emmanuel Macron und Marine Le Pen liegt Ihnen sehr am Herzen. Warum?

Rita Süssmuth: Es ist eine Richtungswahl, und es steht Spitz auf Knopf. Der Krieg in der Ukraine macht mehr als deutlich, wie wichtig es ist, dass wir in Europa eng beieinanderbleiben. Deshalb geht die Wahl auch uns Deutsche und alle Europäer außerordentlich an. Es ist entscheidend wichtig, dass in Europa nicht alles wackelt, sondern Europa zusammensteht, gleiche Werte verteidigt und um den Frieden ringt. Und dabei spielt die enge Verbindung von Deutschland und Frankreich eine zentrale Rolle.

Glauben Sie, Le Pen hat eine Chance gegen Macron?

Ich hoffe nicht. Es ist wichtig, dass Europa eine eigene Kraft darstellt, die sich neben Russland, China und Amerika behauptet. Macron ist wichtig, damit nicht alles auseinanderdriftet. Das können wir in dieser Situation nicht gebrauchen. Ein starkes Europa muss die Antwort auf Wladimir Putin sein, der mit seinem Krieg in der Ukraine versucht, seine Macht gewaltsam und brutal auszubauen. Und dabei spielen Deutschland und Frankreich die entscheidende Rolle.

Rita Süssmuth (CDU), ehemalige Bundestagspräsidentin, hat den Zweiten Weltkrieg noch erlebt.
Rita Süssmuth (CDU), ehemalige Bundestagspräsidentin, hat den Zweiten Weltkrieg noch erlebt. © dpa | Bernd von Jutrczenka

Sie haben den Zweiten Weltkrieg noch erlebt. Werden jetzt Erinnerungen wach?

Ja, sehr schlimme. Ich war acht als der Krieg zu Ende ging. Diese Ängste und der Schrecken, das tägliche und nächtliche Bombardieren, die vielen Toten, die ich gesehen habe – das alles hat mich viele Jahre bis in meine Träume verfolgt. Da weiß man, wie wichtig es ist, dass die Waffen schweigen, wie wichtig der Frieden ist. Nie wieder Krieg – da waren wir uns alle einig, nichts war wichtiger für meine Generation. Jetzt stehen wir in Europa wieder in einem sehr brutalen Krieg. Es macht fassungslos, wenn man sieht, was sich in Butscha und an anderen Orten ereignet hat. Es ist nicht vorstellbar, dass wir als Menschen zu solch einer Vernichtung fähig sind.

Sollte Deutschland auch schwere Waffen in die Ukraine liefern?

Ich verstehe den Wunsch der Ukraine nach schweren Waffen. Aber man muss doch auch sehen, dass die Entscheidung, diese Waffen zu liefern, mit einem sehr realen und eskalierenden Risiko verbunden ist. Wir befinden uns mit alldem ja schon längst in einer gefährlichen Spirale. Wenn wir so weitermachen, haben wir bald einen großen, nicht mehr zu stoppenden Krieg, fürchte ich.

Das klingt sehr hoffnungslos.

Ich bin keine Pessimistin. Aber wenn wir Optimismus wieder spüren wollen, müssen wir nicht nur Waffen liefern, sondern trotz aller Widerstände auch den Weg der Verhandlung nicht aufgeben.

Verhandeln während Putin weiter Krieg führt?

Wir haben in den 70 Jahren nach dem Zweiten Weltkrieg erlebt, wie wichtig Aushandeln und Verhandeln ist – und es ist traurig, dass das im Augenblick so aussichtslos erscheint. Es ist von vielen versucht worden, mit Putin in den Dialog zu treten. Aber es gibt keinen Durchbruch. Trotzdem müssen wir zu einem Stillstand der Waffen kommen. Deshalb Vorsicht bei der Überschreitung der Grenzen im Umgang mit der Ukraine. Und lassen Sie mich das noch sagen: Die ukrainische Abweisung hat Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier wirklich nicht verdient. Er ist eine überlegte, verantwortlich handelnde Persönlichkeit. Das Gespräch mit ihm lohnt sich.

Fürchten Sie, dass der Krieg das Verhältnis zu Russland und den Russen dauerhaft vergiftet?

Wir müssen lernen zwischen Putin und den Menschen in Russland zu unterscheiden, damit wir nicht eine Feindschaft besiegeln, aus der wir nur schwer wieder herauskommen.

Dieser Artikel erschien zuerst auf www.waz.de

Ukraine-Krieg – Hintergründe und Erklärungen zum Konflikt