Berlin. Marina Owssjannikowa riskiert mit ihrem Protest im russischen TV ihr Leben. Hier wird sie als Heldin gefeiert, in Russland eher nicht.

„Was gerade in der Ukraine passiert, ist ein Verbrechen.“ Diesen Satz von hier aus auszusprechen, ist nicht besonders mutig. Er ist schnell aufgeschrieben – und er bekommt wahrscheinlich viel Zustimmung. Von hier aus ist das leicht, nichts steht auf dem Spiel.

Marina Owssjannikowa beginnt mit diesem Satz ein persönliches Video, das sich in Windeseile über die sozialen Netzwerke in alle Welt verbreitet hat. Millionen Mal wurde es bereits geteilt und angesehen, auch in Russland. Und vor allem wird dieses Video einen Zuschauer haben, der es besonders hassen wird: Präsident Wladimir Putin.

Marina Owssjannikowa war zunächst verschwunden

Ihn bezeichnet die russische TV-Mitarbeiterin darin als Verursacher und einzigen Verantwortlichen für den Überfall auf die Ukraine. Dieses Video war der erste Akt, der zweite Akt dieser mutigen Rebellion ereignete sich im russischen Staatsfernsehen: Während die Nachrichten liefen, störte Marina Owssjannikowa mit einem Plakat in der Hand die Sendung: „Stoppt den Krieg. Glaubt nicht an die Propaganda. Sie lügen euch an“. Unterschrieben mit: „Russen gegen den Krieg.“

Marina Owssjannikowa war zunächst verschwunden, auf die Verwendung des Begriffs „Krieg“ drohen 15 Jahre Haft. Dann wurde bekannt, dass sie eine Geldstrafe von 30.000 Rubel umgerechnet 260 Euro zahlen soll. Schon jetzt ist klar, sie wird unter Putin in Russland nie wieder fürs Fernsehen oder sonstige Medien arbeiten dürfen, sie hat für ihren Protest ihre Existenz riskiert. Gleichzeitig erhebt sie ihr einzigartiger Mut zur Heldin. Und wenn eine Frau so mutig ist, wenn sich eine traut, sich zu widersetzen, dann kann es auch ein ganzes Land.

Was hat sich die TV-Mitarbeiterin gedacht?

Zumindest muss das ihr Leitgedanke, ihre Hoffnung gewesen sein. Denn in ihrem Video fordert sie die Russen und Russinnen auf, zu demonstrieren. Putin könne nicht ein ganzes Volk festnehmen.

Ihr Widerstand könnte der erste Stein im Wasser sein, der eine riesige Welle auslöst. Ein Windstoß, der zu einem Tornado heranwächst.

Diana Zinkler, Autorin der Zentralredaktion der Funke Mediengruppe.
Diana Zinkler, Autorin der Zentralredaktion der Funke Mediengruppe. © FMG | FMG

Doch auch das ist von Deutschland aus gesehen eine pathetische Hoffnung, die sich leicht formulieren lässt. Wie viele Menschen in Russland wird es wirklich interessieren, was Marina Owssjannikowa gewagt hat? Laut einer Umfrage der Washington Post befürworteten immerhin noch 58 Prozent der Russen Putins Einmarsch in die Ukraine. Was auch mit der Propaganda in den dortigen Medien zu tun haben soll. Von daher war Owssjannikowas Protest-Aktion im russischen Staats-TV gut gewählt.

Protest erwächst aus Unrechtsregimen

Diktaturen und Unrechtsregime bringen immer wieder Lichtgestalten zum Vorschein, Menschen, die über sich hinauswachsen. Egal, was kommen wird, wer kommen wird, sie stemmen sich gegen das Regime, lösen sich aus der stillen, unterdrückten Masse und trauen sich Ungeheuerliches.

Nelson Mandela gehörte über Jahrzehnte dem Widerstand gegen das Apartheidregime in Südafrika an. Er saß 27 Jahre als politischer Gefangener in Haft. Je länger seine Haft dauerte, um so mehr Anhänger konnte er hinter sich versammeln, umso lauter und dringender erklang seine Botschaft gegen Unterdrückung und für soziale Gerechtigkeit. Bis er 1994 der erste schwarze Präsident seines Landes wurde. Sein Widerstand befreite ein ganzes Volk, einte eine Nation.

Je mehr Menschen sich in Russland dem Protest von Marina Owssjannikowa und Kreml-Kritiker Alexej Nawalny anschließen, umso eher wird die Macht von Wladimir Putin bröckeln. Wenn Marina Ovsyannikova irgendwann einmal die Zeile „We can be Heroes. Just for one day“ von David Bowie hört, dann kann sie sich sicher sein. Sie ist eine Heldin, ob länger als für einen Tag wird sich zeigen.