Berlin. Der SPD-Politiker Karl Lauterbach ist Corona-Experte mit Abschluss in Harvard. Als Gesundheitsminister ist er dennoch nicht gesetzt.

Er ist neben dem Virologen Christian Drosten der Corona-Erklärer schlechthin: Karl Lauterbach. In der SPD-Fraktion gibt es keinen eloquenteren Experten. Den Koalitionsvertrag hat er wie schon 2013 und 2017 mitverhandelt. Aber es ist kein Selbstläufer, dass der Gesundheitsökonom, Mediziner und Epidemiologe auch Minister wird.

Lauterbachs Handy ist meist eingeschaltet. Und alle, wirklich alle, klingeln an: die Kanzlerin, SPD-Länderchefs, die Parteiführung, regelmäßig auch Scholz, die Medien sowieso. Auf Twitter hat Lauterbach über 657.000 Follower. Erst in der letzten Nacht setzte er einen Tweet über eine Studie über frühe Impfdurchbrüche ab. Der Abgeordnete Lauterbach führt das ruhelose Leben, das der Arzt Lauterbach niemandem empfehlen würde.

Mit seinen Corona-Vorhersagen lag Lauterbach häufig richtig

Der 58-Jährige sagte im Januar einen Supersommer – rein epidemiologisch, wohlgemerkt – und im September einen schwierigen Herbst voraus, und wie so oft lag er beide Male richtig. Diverse Faktencheck-Teams haben seine Prognosen überprüft. Ein Beispiel: Am 21. September 2020 sagte er in einer Talkshow, wenn alle Umstände so blieben, steuere man auf 7000 Neuinfektionen pro Tag in „vier bis fünf Wochen“ zu.

Die Inzidenz lag gerade bei 15, der Ärztefunktionär Andreas Gassen sah sich zum Widerspruch provoziert: „Herr Lauterbach, das geht so nicht.“ Ging schon. Einen Monat später, am 18. Oktober registrierte das RKI bereits 6901 Neuinfektionen.

Kann Lauterbach auch mehr als Pandemie?

Es gibt keinen Zweifel, dass der Epidemiologe sich bestens auskennt und gerade in der Pandemie eine Idealbesetzung als Gesundheitsminister wäre. Lauterbach wird durchaus zugetraut, einen Apparat zu führen und politische Mehrheiten zu organisieren. Und doch ist der Mann nicht gesetzt.

Scholz hat klargemacht, dass er das Krisenmanagement an sich ziehen will. Vor allem fühlt er sich verpflichtet, sein Kabinett paritätisch mit Frauen und Männern zu besetzen. Falls nach der FDP auch die Grünen die Fifty-fifty-Quote reißen, liegt es an der SPD, die Parität herzustellen. Nach Lage der Dinge hat er Jobs für vier oder fünf Frauen, aber nur einen Mann, maximal zwei. Scholz wird keineswegs aus den eigenen Reihen bedrängt, auf „Karl“ zu setzen.

„Ich bin ein Lauterbach-Fan, wirklich“, beteuert einer aus der Fraktion, „aber Absprachen mit ihm haben eine Gültigkeit von 24 Stunden.“ Elke Ferner vom Deutschen Frauenrat, frühere Vorsitzende der Arbeitsgemeinschaft Sozialdemokratischer Frauen und Fraktionsvizechefin, erinnert sich: „Am Ende war er nicht immer dabei, wenn es darum ging, Fraktionsbeschlüsse umzusetzen“, sagte sie unserer Redaktion.

Karl Lauterbach ist ein ausgewiesener Experte, aber in der SPD nicht unumstritten und steht als Gesundheitsminister keineswegs fest.
Karl Lauterbach ist ein ausgewiesener Experte, aber in der SPD nicht unumstritten und steht als Gesundheitsminister keineswegs fest. © picture alliance / Eventpress | picture alliance / Eventpress

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Lauterbach sähe sich als Gesundheitsminister einem Heer von Lobbyisten gegenüber

Wer ein Ministerium führen will, muss kein Experte sein. Er muss sich einarbeiten, einen Apparat führen können und natürlich den Koalitionsvertrag abarbeiten, nicht zuletzt „Kompromisse mittragen, die einem selber vielleicht nicht so schmecken“, meint Ferner. Vor allem muss er oder sie „robust sein, was die unterschiedlichen Lobbygruppen im Gesundheitswesen angeht. Ich habe selten einen Bereich erlebt, der so von Eigeninteressen getrieben ist, Pharmaindustrie, Kassen, Krankenhäuser, Ärzteschaft.“

Das allerdings traut man Lauterbach zu. Er ist unerschrocken. Und unabhängig. Seinen Platz im Bundestag verdankt er nicht einer Landesliste. In seinem Leverkusener Wahlkreis wurde er direkt gewählt.

Am Ende spricht gegen Lauterbach nicht, dass er viele nervt oder einige sich an seiner medialen Dauerpräsenz stören. Es ist halt nur so, dass für die vielleicht forderndste Aufgabe dieser Tage auch Frauen infrage kommen, „gerade für dieses Ressort“, meint Ferner.

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Weibliche Kandidaten gibt es für das Gesundheitsminsiterium genug

„Es gibt mehrere Landesministerinnen, die in der Lage wären, diesen Job zu machen.“ Zum Kandidatenkreis gehören die SPD-Medizinexpertin Sabine Dittmar, aber auch die Frauen, die mit Lauterbach den Koalitionsvertrag ausgehandelt haben: die niedersächsische Landesministerin Daniela Behrens, die bayerische Abgeordnete Ronja Endres oder die Magdeburger Fraktionschefin Katja Pähle.

Ebenso infrage kommt die frühere Drogenbeauftragte, Landesgesundheitsministerin und heutige Fraktionschefin im Mainzer Landtag, Sabine Bätzing-Lichten­thäler, dazu Umweltministerin Svenja Schulze, die sich nach einer neuen Aufgabe umschauen muss. „Wenn man eine Frau finden will, findet man eine“, ist die Frauenpolitikerin Ferner überzeugt.

„Es gibt andere, die das können, es geht hier nicht um mich“, weiß Lauterbach. Umgekehrt ist er seit Langem in dem Bereich tätig, „also wäre es eine Überraschung, wenn ich das grundsätzlich nicht machen wollte“. Mit einem Ministeramt würde Scholz ihn einbinden. Ohne Amt wird er erst recht auf allen Kanälen sein. Echter Minister oder Schattenminister, das ist die Frage.