Berlin. Steigende Heizkosten stellen Hartz-IV-Empfänger vor Probleme. Die Arbeiterwohlfahrt fordert eine Zulage – und ist damit nicht alleine.

  • Steigende Heizkosten werden für Hartz-IV-Empfänger zum Problem
  • Die Arbeiterwohlfahrt fordert daher eine Zulage
  • Die Regelsatzerhöhung zum Jahreswechsel dürfte die Kosten kaum decken

Die Energiepreise in Deutschland und Europa steigen derzeit kräftig an. Vor allem Erdgas ist richtig teuer geworden. Knapp jeder zweite Haushalt in der Bundesrepublik heizt mit dem Energieträger – und darf sich auf durchschnittlich fast 13 Prozent teurere Gasrechnungen einstellen. Verbraucherzentralen warnen bereits vor "Energiepreisen des Grauens".

Die steigendenden Energiepreise stellen vor allem Menschen mit wenig Geld vor Herausforderungen. Besonders Empfangende von Hartz IV könnten angesichts möglicherweise hoher Nachzahlungen nach dem Winter Probleme bekommen.

Denn die Jobcenter übernehmen in der Theorie zwar angemessene Heizkosten. Was das aber in der Praxis bedeutet, ist nicht immer klar. "Die Jobcenter haben einen Ermessensspielraum, was genau 'angemessen' bedeutet", sagt der Vorstandsvorsitzende der Arbeiterwohlfahrt, Jens M. Schubert, unserer Redaktion.

Wieviel Heizkosten ein Jobcenter übernimmt, ist nicht transparent geregelt und oft vom Einzelfall abhängig. Und keineswegs immer ist sicher, dass die Rechnung am Ende auch vom Jobcenter bezahlt wird. Die Bemessung der Übernahme orientiert sich entweder am kommunalen Heizspiegel oder, falls nicht vorhanden, am bundesweiten. Diese Spiegel vermittelten zwar eine erste Idee davon, was als "angemessen" gewertet werden könne, so Schubert. Viel mehr stehe Empfängerinnen und Empfängern von Grundsicherung aber nicht zu. Von Planungssicherheit könne hier nicht gesprochen werden. "Wir fordern hier unbedingt mehr Transparenz und Beratungsmöglichkeiten für die Betroffenen."

Hartz IV: Arbeiterwohlfahrt fordert Zulage für Energie- und Heizkosten

Schubert verweist in diesem Zusammenhang darauf, dass oft auch mit Strom geheizt wird. "Problematisch ist neben den Heizkosten aber insbesondere der Strom, der in vielen Haushalten für die Durchlauferhitzer essentiell ist." Stromkosten aber werden im Regelbedarf berücksichtigt – und die seien aus Sicht der AWO häufig nicht ausreichend.

Hinzu kommt, dass auch Nachzahlungen für Heizkosten von den Jobcentern nur dann übernommen werden müssen, wenn diese "angemessen" sind. Kommt die Behörde zu der Einschätzung, dass dies nicht der Fall ist, drohen Kostensenkungsverfahren. Die Menschen sind dann angehalten, ihre Heizkosten zu senken.

Gelingt ihnen die Kostensenkung nicht, können Jobcenter die Übernahme der Nachzahlung verweigern. Mitunter mit schwerwiegenden Folgen: "Die Betroffenen bleiben auf den Kosten sitzen", sagt Schubert.

Er appelliert daher an die Politik, den Betroffenen nicht nur für den heraufziehenden Winter beizustehen: "Für eine erfolgreiche sozial-ökologische Wende, wie wir sie als Gesellschaft anstreben, sind bezahlbare Energie- und Heizkosten für alle Menschen in Deutschland eine Grundvoraussetzung." Die aktuelle Situation zeige, dass die Energiekosten nicht hinreichend in den Leistungen der Grundsicherung übernommen würden und gerade ärmere Haushalte finanziell immer stärker unter Druck gerieten. "Wir fordern eine Zulage, die die Preissteigerungen verlässlich und bedarfsgerecht sozial abfedert."

Hartz IV: Grünen-Politiker fordert Zuschüsse bei Heizkosten

Mit dieser Forderung steht Schubert nicht alleine da. Zuletzt warb etwa der Grünen-Politiker und ehemalige Bundesumweltminister Jürgen Trittin in der "Bild"-Zeitung für eine Entlastung. "Ich halte das für richtig und zielgenau", sagte Trittin.

Der Grünen-Politiker denkt dabei nicht an Bargeld, sondern schlug vor, die Grundsicherung und das staatliche Wohngeld anzuheben. Alternativ könne auch ein höherer Steuerfreibetrag Menschen mit geringem Einkommen entlasten, so Trittin.

Die Linke schlägt hingegen eine Einmalzahlung von 200 Euro vor, die zum 1. Dezember an rund 13 Millionen armutsgefährdete Menschen ausgezahlt werden sollte. "Wir müssen reagieren, wenn wir wollen, dass Menschen im Winter nicht frieren", sagte Linken-Chefin Hennig-Wellsow nach Beratungen der Parteispitze.

Der Städtetag plädiert für eine Unterstützung beim Strompreis und Wohngeld. CSU-Chef Markus Söder hatte die Koalitionsverhandler von SPD, Grünen und FDP aufgefordert, die Mehrwertsteuer auf Energie und Kraftstoffe zu senken.

Heizkosten steigen: Bundesregierung will nichts mehr unternehmen

Die noch geschäftsführende Bundesregierung will sich des Problems unterdessen nicht mehr annehmen. Regierungssprecher Steffen Seibert sagte vorletzten Montag, in den vergangenen Jahren sei eine Reihe von Maßnahmen ergriffen worden, um die Energiekosten zu reduzieren.

Dazu gehören etwa Verbesserungen beim Wohngeld, eine Senkung der EEG-Umlage zum kommenden Jahr und eine Erhöhung der Pendlerpauschale. Weitere Maßnahmen seien von der geschäftsführenden Bundesregierung nicht geplant. Weiterlesen: Heizkosten senken - Mit diesen Tipps sparen Sie Tausende Euro

Unklar ist, inwieweit sich eine neue Bundesregierung mit den steigenden Energiekosten befassen will, vor allem im Bezug auf Hartz-IV-Empfangende. SPD, Grüne und FDP planen, die Grundsicherung mit einem Bürgergeld zu ersetzen, das "die Würde des Einzelnen achten" soll, so das Sondierungspapier. Ob damit aber steigende Regelsätze oder etwa ein Zuschuss bei den Heizkosten verknüpft sind, wird erst in den Koalitionsverhandlungen geklärt.

Hartz IV: Grüne uneinig über die Grundsicherung

Innerhalb der Grünen herrscht hierüber offenkundig Uneinigkeit: Während Co-Chef Robert Habeck unlängst in der ARD befürchtete, eine zusätzliche Übernahme von Heizkosten führe nur dazu, dass die Menschen bei offenem Fenster heizten, fordert die Grüne Jugend eine Abkehr vom System Hartz IV.

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Statt "peinlicher 3-Euro-Erhöhungen" müssten die Regelsätze in der bisherigen Grundsicherung in einem ersten Schritt deutlich steigen und grundsätzlich neu berechnet werden, "damit sie endlich menschenwürdig sind", verlangte Bundessprecherin Sarah-Lee Heinrich vor kurzem und legte unlängst in der "taz" nach. Die Regelsätze müssten steigen, auf 600 bis 650 Euro im Monat, die Heizkosten sollten vollständig von Jobcentern übernommen werden, forderte Heinrich und erhöhte den Druck auf die Verhandelnden: "Wir stimmen dem Koalitionsvertrag nur zu, wenn sich für die Menschen spürbar etwas verbessert."

Hartz-IV-Erhöhung: An der Grenze des Existenzminimus

Tatsächlich steigen die Regelsätze zum neuen Jahr an. Wer von Hartz IV lebt, erhält ab dem 1. Januar 2022 drei Euro mehr im Monat, womit der Regelsatz für alleinstehende Erwachsene ab 2022 auf 449 Euro pro Monat steigt. Umgerechnet sind das 0,76 Prozent mehr und damit viel zu wenig, sagen Expertinnen und Experten.

Scharfe Kritik kam etwa von der Rechtswissenschaftlerin Anne Lenze. Die Professorin von der Hochschule Darmstadt hat die neuen Regelsätze für den Paritätischen Gesamtverband bewertet, mit eindeutigem Ergebnis: Die niedrige Anpassung der Regelbedarfe zum 1. Januar 2022 in Verbindung mit der anziehenden Inflation läute eine "neue Stufe der Unterschreitung des menschwürdigen Existenzminimums ein", schreibt Lenze in dem Gutachten.

Sie verweist dabei unter anderem auf einen Beschluss des Bundesverfassungsgerichts, der 2014 die Regelsätze zwar als "derzeit noch" verfassungsgemäß anerkannt hatte. Diese bewegten sich aber laut der Richterinnen und Richter an der Grenze dessen, "was zur Sicherung des Existenzminimums verfassungsrechtlich gefordert ist". Lesen Sie auch: Inflation - Diese Produkte sind im Supermarkt teurer geworden

In anderen Worten: Weil die ohnehin niedrigen Regelsätze nur geringfügig erhöht werden, können sie nicht mit Preissteigerungen mithalten und damit nicht mehr das verfassungsrechtlich zugesicherte Existenzminimum garantieren, so die Juristin.

Hartz IV: Warten auf den Koalitionsvertrag

"Die geplante Erhöhung um nur drei Euro liegt deutlich unterhalb der Preisentwicklung", sagt auch Anja Poel, Vorstandsmitglied im Deutschen Gewerkschaftsbund, unserer Redaktion. In der Berechnung werde nicht berücksichtigt, dass das Preisniveau in der zweiten Jahreshälfte 2020 wegen der abgesenkten Mehrwertsteuer außergewöhnlich niedrig gewesen sei.

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So bleibt bis auf Weiteres abzuwarten, was die Koalitionsverhandlungen für Hartz-IV-Empfangende ergeben, ob das Bürgergeld etwa auf das spürbar teurer gewordene Leben in Deutschland Rücksicht nimmt. SPD, Grüne und FDP wollen bis Ende November fertig verhandelt haben, in der Nikolauswoche könnte dann Olaf Scholz zum Kanzler gewählt werden. Bis dahin heißt es hoffen, dass der kommende Winter nicht so kalt wird, wie der vergangene.