Berlin. Sarah-Lee Heinrich ist neue Sprecherin der Grünen Jugend – und steht für alte Tweets massiv in der Kritik. Wer ist die Jungpolitikerin?

Das Internet vergisst nicht – und in der Politik liegen Erfolg und Misserfolg immer gefährlich nah beieinander. Das hat auch Sarah-Lee Heinrich, neue Vorsitzende der Grünen Jugend, deutlich zu spüren bekommen.

Erst zwei Tage ist es her, dass Heinrich gemeinsam mit Timon Dzienus zur neuen Sprecherin der Grünen Jugend gewählt wurde. Seit Jahren engagiert sich die 20-Jährige in der Jugendorganisation von Bündnis 90/Die Grünen. Am Sonntag brach dann direkt ein gewaltiger Shitstorm über die selbsternannte „Aktivistin für soziale Gerechtigkeit“ ein, nun will sie sich vorübergehend aus der Öffentlichkeit zurückziehen.

Es geht um einen Tweet, den sie als 14-Jährige auf Twitter veröffentlicht hatte. „Ich wurde gerade auf einen Tweet aufmerksam, in dem mein Account im Jahr 2015 "Heil" unter einen Tweet mit Hakenkreuz kommentierte“, schrieb die 20-Jährige am Sonntag auf Twitter. Sie könne sich nicht erinnern, jemals einen solchen Tweet abgesetzt zu haben - aber das mache es nicht besser. Es sei maximal dumm und unangebracht gewesen und spiegele ihre heutige Position nicht wieder. Inzwischen hat sie den damaligen Post gelöscht.

Sarah-Lee Heinrich: Shitstorm wegen Tweets aus ihrer Jugend

Schon vor ihrer Äußerung zu dem „Heil“-Tweet hatte Heinrich auf Twitter beklagt, seit ihrer Wahl versuchten Rechte, Shitstorms gegen sie zu generieren. „Haben wohl Bammel vor einer schwarzen, linken Frau“, schrieb sie. Es kursierten Screenshots von alten Tweets von ihr, „die zum Teil vulgär oder beleidigend sind“. „Was bei den Screenshots von Tweets mit Absicht rausgenommen wird: Die sind von 2014/2015“, kritisierte sie. „Da war ich 13/14 Jahre alt.“

Dass Heinrich es nun mit gerade mal 20 Jahren an die Spitze des Bundesverbands der Grünen Jugend geschafft hat, ist kein Zufall – aber doch relativ ungewöhnlich. So ist der Vorsitzende der Jungen Union, der Jugendorganisation der CDU, Tilman Kuban, 34 Jahre alt, die Chefin der Jusos, Jessica Rosenthal (SPD), 28. der Vorsitzende der Jungen Liberalen , Jens Teutrine, ist 27 Jahre alt.

Nun hat es also eine sehr viel jüngere aufstrebende Politikerin an die Spitze einer Jugend-Partei geschafft. Wer ist also diese „schwarze, linke Frau“, als die sich Heinrich selbst bezeichnet?

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Grüne-Jugend-Sprecherin Sarah-Lee Heinrich: Das ist ihr politischer Werdegang

Infolge der Diskussion um ihre früheren Tweets sagte Heinrich jetzt: „Messt mich und kritisiert mich gern an meinen Positionen und meiner politischen Arbeit.“ Die Liste ihres Engagements ist tatsächlich lang: Heinrich setzt sich nicht nur als Aktivistin bei Demos und Initiativen für eine Reform der Sozialsysteme und Klimaschutz ein. Nach einem Praktikum bei den Grünen in Unna, ihrer Heimatstadt, begann sie sich mit 15 Jahren politisch bei der Partei zu engagieren.

Gegenüber der Zeitung „Neues Deutschland“ erzählte sie, dass sie ihr Pflichtpraktikum in der Mittelstufe eigentlich an der TU Dortmund im Bereich Quantenphysik absolvieren wollte. Zu Schulzeiten wollte Heinrich nicht Politikerin, sondern Astrophysikerin werden. Wegen eines Kommunikationsfehlers klappte es nicht mit dem Universitäts-Praktikum. Über ein Engagement im Willkommenscafé für Geflüchtete in Unna knüpfte Heinrich Kontakte zu den Grünen vor Ort – und widmete sich dann im Praktikum dem Thema Jugendpartizipation.

2017 trat sie dann der Grünen Jugend bei und gründete deren Gruppe in Unna, saß ihr vor. Bundesweit bekannt wurde Heinrich aber 2018 durch einen Tweet, in dem sie das Hartz-IV-System scharf kritisierte.

„Hartz 4 ist der größte Scheiß. Als Kind von ALG2 Empfänger*innen, darf man für nicht mehr als 100 Euro im Monat arbeiten, alles darüber wird zu 80 Prozent abgezogen. Kann mir jemand erklären, wie man sich einen Auszug leisten soll, wenn man nichts zurücklegen kann?“, schrieb sie damals. Der Tweet ging viral, Heinrich fand sich plötzlich in Talkshows und Nachrichtenbeiträgen wieder.

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Ab 2019 war sie Sprecherin der Grünen Jugend Ruhr. Im selben Jahr wurde sie erstmals in den Bundesvorstand der Grünen Jugend gewählt und kümmerte sich dort unter anderem um das Mitgliedermagazin. Nun ist sie Bundessprecherin, also Vorsitzende, der Jugendorganisation der Grünen.

Aufwachsen mit Hartz IV machte Sarah-Lee Heinrich zur „Aktivistin für soziale Gerechtigkeit“

Doch ihr Weg bis hierhin war steinig: Dass eine Abkehr vom Hartz-IV-System ihr zentrales politisches Anliegen ist, hat mit Heinrichs Kindheit und Jugend zu tun. Die 20-Jährige wuchs als Tochter einer alleinerziehenden Hartz-IV-Empfängerin auf. Laut eigener Aussage bedeutete das vor allem: ständige Geldnot, die sie auch psychisch stark belastete.

Hartz IV empfand Heinrich als Teufelskreis – aus dem es für viele Kinder unmöglich sei zu entkommen: Tatsächlich zeigen Studien, dass die wenigsten Kinder aus armen Familien in Deutschland ein Studium anfangen. Kinder von Hartz-IV-Beziehern gehören auch der sogenannten „Bedarfsgemeinschaft“ an. Sie dürfen beispielsweise nur einen Nebenverdienst von 100 Euro im Monat behalten, solange sie bei ihren Eltern leben. Von jedem Euro, den sie mehr verdienen, gehen 80 Cent an den Staat. Rücklagen für einen Neustart nach dem Schulabschluss können sie sich also auch mit viel Fleiß nicht verdienen.

„Die 100 Euro, die Jugendliche wie ich verdienen dürfen, investieren wir oft in Sportvereine, in Wochenendausflüge oder auch in Banales wie Kino, Essen oder auch, um mal feiern zu gehen“, schrieb Heinrich 2018 in einem offenen Brief im Online-Magazin „Vice“. „Das ist nicht verschwenderisch, das ist der Versuch, ein Leben wie die Anderen zu führen“, kommentierte sie damals.

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Arbeiterkind Heinrich: So brach sie aus dem „Teufelskreis Hartz IV“ aus

Dass Heinrich studiert und vor zwei Jahren bei ihrer Mutter ausgezogen ist, hat – ihrer eigenen Aussage nach – auch mit Glück zu tun. Denn trotz ihres Engagements und der Aufmerksamkeit für ihre Person, seit sie sich politisch einbringt, hätte sie nicht einmal ein Freiwilliges Soziales Jahr nach dem Abitur absolvieren können, wie sie es sich gewünscht hätte. Der Umzug sei mit den 400 Euro im Monat nicht zu stemmen gewesen.

Beim Studium habe das nächste Problem auf sie gewartet: Zwar hatte Heinrich zweifellos Anspruch auf Bafög. Doch der erste Semesterbeitrag war vorher fällig. Auch der Umzug musste geschehen, bevor Heinrichs Bafög-Antrag überhaupt bearbeitet werden konnte. Lesen Sie auch: Hartz IV: Jobcenter strichen Hunderten Familien das Geld - während Corona

Die Grüne-Jugend-Sprecherin sagt mit Blick auf ihre damalige Lage: „Der erste Schritt ist der schwerste. Aber ohne ihn komme ich nicht aus meiner Situation heraus.“ Als Kind einer Arbeitslosen gäbe es nahezu keine Möglichkeit, einen höheren Bildungsweg anzustreben und aus dem „Teufelskreis Hartz IV“ auszubrechen, so Heinrich.

Dass es bei der Aktivistin dann doch noch mit dem Umzug geklappt hat, hat sie ihrer Patentante zu verdanken. Diese wollte ihr eigentlich den Führerschein bezahlen. „Den habe ich dann nicht gemacht“, sagte Heinrich dem „Focus“, das Geld finanzierte stattdessen ihren Auszug. Hätte das Ganze auch nur 200 Euro mehr gekostet, wäre der Traum geplatzt, so die Studentin. Mehr dazu: Hartz-IV-Satz: Wofür 446 Euro ausreichen müssen

Doch so ging Heinrichs Traum vom Aufstieg in Erfüllung: Mit 1,2-Abitur in der Tasche studierte sie von 2019 bis 2020 an der Universität Bonn Politik, Soziologie und Philosophie, wechselte jedoch zum Wintersemester 2020 an die Universität Köln, um dort Sozialwissenschaften zu studieren.

Auch wenn sie aktuell über ein Stipendium den Bafög-Höchstsatz erhält und die Patentante ihr den Anfang ermöglichte, hätte es mit dem Auszug fast nicht geklappt. Für viele Wohnungen würden die Vermieter bei Studenten eine Bürgschaft der Eltern sehen wollen – für Sarah-Lee Heinrich stellte dies wegen der Arbeitslosigkeit der Mutter ebenfalls eine Hürde dar. Aktuell kann sie aber „gut“ in Köln leben und wohnt in einer WG.

Sarah-Lee Heinrich will sich wegen Shitstorm zurückziehen

Die 20-Jährige will als Bundessprecherin der Grünen Jugend vor allem gegen Hartz IV und den Abbau des Sozialstaats kämpfen. Nebenher engagiert sie sich auch gewerkschaftlich, ist Mitglied bei Verdi. Beim Bundeskongress der Grünen-Nachwuchsorganisation am Samstag in Erfurt wurde die Sozialwissenschafts-Studentin mit 93,84 Prozent der Stimmen gewählt.

Heinrich kritisierte in ihrer Bewerbungsrede am Wochenende den Mangel an Ausbildungsplätzen, schlecht bezahlte Nebenjobs für Studierende und Benachteiligung von Menschen mit Migrationsgeschichte. „Wir sind eine junge Generation, die auf den Straßen ist, weil die Politik unsere Zukunft gegen die Wand fährt“, erklärte Heinrich auf der Bühne.

Der Hass, der Heinrich nach der Wahl und wegen ihrer alten Tweets entgegenschlägt, hat mittlerweile ein wohl so enormes Ausmaß angenommen, dass sie sich vorerst bedeckt halten will. Sie werde für einige Tage die Öffentlichkeit meiden, hieß es von ihrer Organisation. „Sarah-Lee Heinrich erlebt gerade massive und viele Morddrohungen“, teilte das Büro der Grünen Jugend am Montag mit. „Bevor sie sich dazu äußert, wird sie sich zu ihrer eigenen Sicherheit für ein paar Tage zurückziehen.“