Washington/Berlin. Amy Gutmann, Präsidentin der Elite-Uni UPenn, soll als US-Botschafterin nach Berlin kommen. Sie wäre die erste Frau auf dem Posten.

In ihren vielen Jahren als Chefin einer der größten Universitäten der USA hat Amy Gutmann sich den Ruf als begnadete Menschenfischerin und Zuhörerin erworben, die auf die Kraft von Diskussion und Kompromiss baut. Mit dem Satz "Dies ist meine wilde Idee für diese Woche", stößt die 71-Jährige regelmäßig befruchtende Debatten an, sagen Wegbegleiter.

Eine Qualität (unter vielen), die US-Präsident Joe Biden so beeindruckt haben muss, dass er die Tochter eines vor dem Nazi-Regime Adolf Hitlers geflohenen orthodoxen Juden für ein historisches Debüt vorgesehen hat. Stimmt Bundespräsident Frank Walter Steinmeier in Berlin und, was noch wichtiger ist, der Senat in Washington zu, wird die zierliche blonde Frau mit dem ansteckenden Lächeln Amerikas erste Botschafterin in der deutschen Hauptstadt.

Gutmann, eine leidenschaftliche Verfechterin des auf "konstruktiven Dialog" setzenden Wettstreits der Ideen, träte damit die Nachfolge des von Ex-Präsident Donald Trump als Rammbock installierten Richard Grenell an, unter dem die diplomatischen Beziehungen zwischen beiden Ländern Gefriertemperaturen erreichten.

Präsident Biden und Gutmann verbindet langjährige Freundschaft

Grenell dankte im Juni vergangenen Jahres ab. Der danach von Trump als Nachfolger auserkorene pensionierte Armee-Oberst Douglas Macgregor wurde allerdings nie vom US-Senat bestätigt. Bis zuletzt wurde die Botschaft am Pariser Platz von der Gesandten Robin Quinville kommissarisch geführt.

Die zuerst vom Magazin "Der Spiegel" verbreitete Personalie ist vom Weißen Haus (Stand: 14 Uhr MEZ) noch nicht offiziell bestätigt worden. Aus Regierungskreisen und hieß es jedoch am Mittwochmorgen, Gutmann sei "die Person, um die sich alles dreht".

Biden und Gutmann verbindet eine langjährige Freundschaft und wechselseitiger Respekt. Der Präsident war mehrfach zu Gast als Redner bei wichtigen Ereignissen der Top-Universität in seinem Heimatbundesstaat Pennsylvania, seine Enkelin Naomi machte hier ihren Abschluss. 2013 verlieh Gutmann ihm einen Ehren-Titel. Auch interessant: USA: First Lady Jill Biden posiert für Modezeitschrift

Gutmanns Vater floh wegen Hitler aus Deutschland

Bidens Hochachtung für Gutmann geht auf ihre akademische und praktische Arbeit in der höheren Bildung zurück. Zigfach hatte sich Gutmann in der Vergangenheit wissenschaftlich und publizistisch für die Kunst des Kompromisses in der von tiefen Parteigräben geprägten US-Politik stark gemacht. Den Namen Donald Trump erwähnte sie während dessen Präsidentschaft öffentlich nur ein Mal: Damals kritisierte die Hochschule den Einreise-Bann für Menschen aus diversen muslimischen Ländern.

Amy Gutmann und Joe Biden auf einer Veranstaltung an der University of Pennsylvania im Jahr 2016.
Amy Gutmann und Joe Biden auf einer Veranstaltung an der University of Pennsylvania im Jahr 2016. © imago images/ZUMA Wire

Amy Gutmann wurde am 19. November 1949 in Brooklyn/New York geboren. Sie wuchs in Monroe in der Nähe von New York City auf. Vater Kurt stammte aus einer orthodoxen jüdischen Familie aus Feuchtwangen im Allgäu, er war das jüngste von fünf Kindern. Er floh 1934 wegen Hitler aus der Nähe von Nürnberg ins Ausland. Weil ihm in den USA Asyl verweigert wurde, brachte er die gesamte Familie ins indische Bombay, gründete dort eine Metall-Fabrik. 1948 traf er bei einem Urlaub in New York seine künftige Frau Beatrice, die nur ein Jahre später Amy zur Welt brachte. "Ich würde gar nicht existieren, wenn es nicht seine Kombination von Courage und Weitsichtigkeit gegeben hätte", sagte Gutmann einmal über ihren Vater, "er sah, was mit Hitler kommen würde."

Amy Gutmann war in der Schule ein Mathe-Star. Sie war die erste Schülerin ihrer High-School, die es nach Harvard schaffte. Dort und an der renommierten London School of Economics machte sie drei Top-Abschlüsse, unter anderem in Politik und Philosophie.

Gutmann und ihr Mann spendeten Millionen Dollar an Universität

Von Mitte der 70er Jahre an bis kurz nach der Jahrtausendwende lehrte sie an der Princeton-Universität Politische Philosophie. Sie beschäftigte sich ausführlich mit der Rassenfrage ("Color Conscious: The Political Morality of Race") und wurde schließlich 2004 Chefin der Elite-Universität Pennsylvania ("UPenn"), eine der besten Hochschulen des Landes. Und mit einem Jahresbudget von 3,5 Milliarden Dollar, 25.000 Studenten und 18.000 Angestellten der größte Arbeitgeber im Großraum Philadelphia. Lesen Sie auch: USA: Diesen Plan hat Präsident Biden für China

Gutmann setzt sich hier besonders für finanziell benachteiligte Studenten ein. Junge Männer und Frauen aus Familien mit einem Jahreseinkommen unter 40.000 $ können kostenlos über Stipendien studieren. Gemeinsam mit ihrem Mann hat Gutmann aus ihrem Privatvermögen mehrere Millionen Dollar für die Verbesserung der Lehre an ihre Alma Mater gespendet. Ihr Vertrag an der Elite-Uni wäre noch bis 2022 gelaufen. Mit einem Jahresgehalt von zuletzt cirka drei Millionen Dollar gehört Gutmann zu den vier am höchsten dotierten Uni-Chefs der USA.

Gutmann setzt sich vehement gegen Diskrimierung ein

An ihrer Hochschule tritt Gutmann vehement gegen Diskriminierung ein. 2016 wurde ein Student aus Oklahoma suspendiert, der einem schwarzen Studienanfänger mit rassistischen Text-Mitteilungen zugesetzt hatte. 2014 solidarisierte sich Gutmann mit Studenten, die gegen die tödliche Polizeigewalt protestierten, der in Ferguson/Missouri der Schwarze Michael Brown zum Opfer gefallen war. Dass sich die Uni-Präsidentin an der Protestaktion beteiligte - die Studenten legten sich viereinhalb Stunden auf den Boden, das war die Zeit, in der Browns Leiche auf dem Asphalt lag -, brachte ihr harte Kritik der Campus-Polizei ein.

Fachlich hat sich Gutmann zuvor durch Beiträge im Bereich der politischen Philosophie einen Namen gemacht. So plädierte sie in dem 1996 erschienenen Buch "Democracy and Disagreement" für einen respektvolleren Austausch von Ideen - und mehr Nachdenken. Privat ist Gutmann tief in der Welt der Wissenschaften verankert. Ihr Ehemann, Michael Doyle, ist Professor für Recht und Internationale Politik an der Columbia Universität. Abigail Doyle, die einzige Tochter, ist Chemie-Professorin in Princeton. Auch interessant: Ufos über den USA? Pentagon veröffentlicht Bericht zu Sichtungen

Mit Gutmann käme eine versierte Brückenbauerin nach Berlin

In der Tagespolitik tauchte Gutmann, die das Magazin "Fortune", vor drei Jahren zu den weltweit 50 größten Führungspersönlichkeiten zählte, erst einmal auf. Unter Präsident Barack Obama leitete sie vor zehn Jahren eine Kommission, die sich mit unethischen medizinischen Versuchen von US-Ärzten an tausenden ahnungslosen Menschen in Guatemala in den 1940er Jahren beschäftigte. Dabei waren 1300 Einwohner des mittelamerikanischen Landes mit Geschlechtskrankheiten wie Syphilis und Gonorrhoe infiziert worden, um etwa die Wirkung von Penizillin zu testen. Dutzende von ihnen sollen gestorben sein. Insgesamt waren mehr als 5000 Menschen von den Versuchen betroffen, darunter Waisenkinder, Indios, geistig Behinderte, Soldaten und Prostituierte.

Mit Gutmann käme eine versierte Brückenbauerin an die Spree, die anders als ihr Vorgänger nicht darauf aus ist, die Regierung des Gastlandes vorzugsweise durch Forderungen und Maßregelei in Boulevard-Medien unter Druck zu setzen.