Washington. US-Präsident Joe Biden plant einen “grünen Marshall-Plan“ - und will ein zentrales Gegengewicht zu China schaffen. Gelingt ihm das?

Es ist nicht weniger als ein „grüner Marshall-Plan”, mit dem US-Präsident Joe Biden die konzeptionelle Lufthoheit für Amerika in der Weltgemeinschaft zurückerlangen und gleichzeitig ein zentrales Gegengewicht zum aufstrebenden China schaffen will.

Mit Billionen-Summen des Westens soll die vor acht Jahren gestartete „Neue Seidenstraße” Pekings (Belt-and-Road-Initiative), die mit Häfen, Bahnstrecken und Autobahnen ein gigantisches Handelsnetzwerk zwischen Asien, Afrika und Europa schaffen will, gekontert werden.

An die Stelle von teilweise imperiale Züge tragenden Infrastrukturprojekten, bei denen auf Menschenrechte, Arbeitsnormen und die Finanzschwäche der oft armen Partnerländer selten Rücksicht genommen wird, sollen saubere, transparente Finanzierungsquellen treten.

G7-Gipfel: Begeisterung über „Neue Seidenstraße” hielt sich in Grenzen

Das Gelingen des überaus ambitionierten Plans entscheidet aus Bidens Sicht über die Grundsatzfrage des 21. Jahrhunderts: Kann eine Demokratie nach westlich-liberalem Muster besser für seine Bürger sorgen als autoritär-kapitalistische Staats-Modelle?

Unser US-Korrespondent Dirk Hautkapp vor dem Weißen Haus in Washington.
Unser US-Korrespondent Dirk Hautkapp vor dem Weißen Haus in Washington. © Privat | Privat

Dass sich die Begeisterung beim G7-Treffen in Cornwall über den Vorstoß in engen Grenzen hielt, stand zu erwarten. In vielen europäischen Hauptstädten wächst zwar das Unwohlsein über den Expansionsdrang Chinas. Aber die meisten Regierenden - Angela Merkel allen voran - können sich angesichts eng verwobener Lieferketten und riesiger Absatzmärkte in China nicht entscheiden, ob sie Peking perspektivisch als Gegner, Rivalen, Wettbewerber oder Partner behandeln wollen.

Konsequenzen gegen Chinas Menschenrechtsverstöße bleiben Mangelware

Echte Konsequenzen gegen die Internierung der Uiguren, gegen Zwangsarbeit, gegen das Zermürben der Demokratie-Bewegung in Hongkong und gegen die maritimen Muskelspiele im Südchinesischen Meer, wie sie sich Washington erhofft, werden darum Mangelware bleiben. Man will es sich mit Peking nicht verscherzen.

Zumal Bidens Anti-China-Manie relativ neu ist. Noch im Präsidenschafts-Wahlkampf spielte der erfahrene Außenpolitiker das wirtschaftliche und geopolitische Hegemonialstreben der Chinesen hemdsärmelig herunter: „Sie sind keine Konkurrenz für uns.”

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Neben dem abrupten Sinneswandel ist den Europäern zudem nicht verborgen geblieben, dass Bidens außenpolitische Doktrin in erster Linie die Verwerfungen der Globalisierung ausbügeln will - also in erster Linie der amerikanischen Arbeiter- und Mittelschicht dienen soll. Dass hört sich weniger konfrontativ als Trumps „America First”-Mantra an, ist aber in der Substanz nichts grundsätzlich anderes. Wo bleibt das der deutsche VW-Arbeiter?

Biden muss zunächst im eigenen Land liefern

Joe Biden geht auf schmalen Grad. Für Mega-Themen wie Klimaschutz braucht er Peking in doppelter Hinsicht: Um die CO2-Emissionen global zu senken. Und um den auf Erneuerbare Energien setzenden Umbau in den USA zu stemmen, der von Autobatterien über Seltene Erden bis zu Photovoltaikzellen auf Pekinger Lieferanten angewiesen ist. Bis neue Programme etwa zur Herstellung von Halbleitern in den USA fruchten, werden Jahre vergehen.

Um sich echte Gefolgschaft für seinen sanften Feldzug gegen Peking zu sichern, muss Biden zunächst im eigenen Land liefern. Dort steht die Demokratie nach vier Jahren Trump auf rissigen Fundamenten. Eine Rückkehr des Rechts-Populisten (oder eines republikanischen Epigonen) ins Weiße Haus ist 2024 nicht auszuschließen.

Anders gesagt: Bevor das Billionen-schwere Infrastruktur-Programm (Straßen, Brücken, Häfen etc.) für die maroden USA nicht in trockenen Tüchern ist, kann ein „grüner Marshall-Plan” für die Welt nur ein schönes Hirngespinst bleiben.