Klaus Brinkbäumer sieht sich durch den „Spiegel“ im Fall Leyendecker verunglimpft. Er fordert per Anwalt eine Unterlassungserklärung.

Hamburg Der lange Schatten einer 27 Jahre alten Titelstory: Nachdem sich der „Spiegel“ Ende Oktober von seinem früheren Star-Reporter Hans Leyendecker und dessen Enthüllungen zum Tod des RAF-Terroristen Wolfgang Grams 1993 öffentlich distanziert hatte, schaltete nicht nur der Autor einen Anwalt ein, sondern – wie jetzt bekannt wurde – auch ein Blattmacher des Nachrichtenmagazins. Während die Redaktion sich mit Leyendecker inzwischen geeinigt hat, könnte der Streit mit Ex-Chef Brinkbäumer vor Gericht landen.

An „Rufmord grenzendes Verhalten“ hatte Leyendecker seinem ehemaligen Arbeitgeber vorgeworfen. Der 71-Jährige, einer der höchst dekorierten Investigativ-Journalisten der Republik, reibt sich an einem Dossier über seine Rolle bei einer Falschmeldung gewaltigen Ausmaßes. Im Exklusiv-Bericht zum „Todesschuss“ auf den flüchtigen Terroristen am Bahnhof von Bad Kleinen hatte der Reporter die später widerlegte Version einer gezielten Hinrichtung durch Beamte der GSG 9 verbreitet. Wesentliche Quelle dieser Behauptung: ein vermeintlicher Insider aus der Eliteeinheit und selbst Teilnehmer an der Aktion.

Die zehnseitige Aufarbeitung der innerredaktionellen Vorgänge durch eine Kommission des Nachrichtenmagazins legt eine andere und für den Ruf des Autoren desaströse Variante zumindest nahe: dass es diesen Zeugen nie gegeben und der Autor lediglich mit einem anonymen Tippgeber telefoniert habe. Der Tatzeuge als Fiktion des Enthüllers? Leyendecker widerspricht energisch, sieht sich mit Verweis auf den ihm „heiligen“ Quellenschutz aber bis heute außerstande, Details oder gar einen Namen zu nennen.

Keine Reaktion auf E-Mails der „Spiegel“-Aufklärungskommission

Die „Spiegel“-Aufklärer hingegen verweisen auf etliche Unstimmigkeiten und vor allem auf ein lange unter Verschluss gehaltenes Wortprotokoll eines Telefongesprächs, das Leyendecker mit einem anonymen Anrufer führte. Wenn nahezu alle Zitate und Schilderungen in der Titelgeschichte auf Aussagen des Unbekannten zurückgehen, so die Schlussfolgerung der Kommission, wie wahrscheinlich ist dann überhaupt die Existenz eines weiteren und angeblichen Hauptzeugen?

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Hier kommt nun Brinkbäumer ins Spiel: Als die Tonband-Abschrift 2015 auf Umwegen wieder beim „Spiegel“ auftauchte, war der 53-Jährige Chefredakteur. Investigativ-Redakteur Gunther Latsch erzählte der Kommission, er hätte nach Durchsicht des Schriftstücks eine Liste von 43 Fragen erstellt, die er Leyendecker vorlegen wollte und Brinkbäumer darüber persönlich informiert. Der jedoch habe eine aktuelle Berichterstattung damals abgelehnt und entschieden, vorläufig nichts zu unternehmen. Zweimal will die Kommission den zwischenzeitlich ausgeschiedenen und in den USA weilenden Chefredakteur mit der Bitte um Stellungnahme angeschrieben haben; ohne Reaktion.

Künftiger MDR-Programmchef will eine Gegendarstellung erwirken

Erst einen Monat nach Veröffentlichung des zehnseitigen Dossiers im „Spiegel“ meldete sich Brinkbäumer und erklärte, er habe damals weder mit dem Mitarbeiter aus dem Haus über das Thema gesprochen noch eine Entscheidung getroffen. Über den Berliner Medienanwalt Christian Schertz schickte der künftige MDR-Programmchef seinen Ex-Kollegen zudem eine förmliche Gegendarstellung und forderte sie zur Abgabe einer strafbewehrten Unterlassungserklärung auf. Komme das Nachrichtenmagazin dem nicht nach – so die Informationen dieser Redaktion – werde man vor Gericht beweisen, dass die „Spiegel“-Darstellung falsch sei.

Journalist Hans Leyendecker.
Journalist Hans Leyendecker. © dpa | Thomas Frey

Brinkbäumers Kernaussage: Der Eindruck, er habe die brisanten Unterlagen „im Archiv begraben wollen“, sei falsch. Latsch, selbst mehrfacher Nannen-Preisträger, bleibt bei seiner Darstellung und beruft sich zudem auf einen Dokumentar, mit dem er die Fragen zusammen entwickelt habe. Brinkbäumers spätes Dementi ist nun in der aktualisierten Fassung des Dossiers ergänzt. Es steht Aussage gegen Aussage – fraglich, ob sich der frühere Chefredakteur und sein Anwalt damit zufriedengeben. Die Antwort auf eine Anfrage dieser Redaktion dazu steht noch aus.

Trotz Leyendecker-Intervention: Nachrichtenmagazin „bleibt bei seiner Einschätzung“

Eine Einigung haben hingegen Leyendecker und der „Spiegel“ erzielt. Auch der Star-Autor hatte zunächst durch eine Anwaltskanzlei einen Unterlassungsanspruch prüfen lassen, um danach zu „entscheiden, ob es sich lohnt, gegen dieses missglückte Stück vorzugehen“. Mithilfe des Bonner Medienrechtlers Gernot Lehr setzte Leyendecker insgesamt acht Ergänzungen im Dossier durch, die seine Sichtweise wiedergeben und überwiegend Details der Abläufe sowie zusätzliche Informationen betreffen.

Ein Umdenken beim „Spiegel“ hat das aber keineswegs zur Folge. So bleibt es im Abschlussbericht bei dem von Leyendecker scharf kritisierten Fazit des Magazins. In der aktualisierten Fassung heißt es nun lediglich: „Neue Erkenntnisse haben sich nach Ansicht der Kommission daraus nicht ergeben; sie bleibt bei ihrer Einschätzung.“