Berlin/München.

Am Morgen nach seinem größten Triumph ließ Hubert Aiwanger die Muskeln spielen. „Drei große oder fünf kleine Ministerien“ in der künftigen bayerischen Landesregierung müssten schon herausspringen für die Freien Wähler (FW), forderte der Partei- und Fraktionschef. Sprach’s und warf sogleich den Fahrplan für die Regierungsbildung an die Wand: Die ersten Sondierungsgespräche mit der CSU am Mittwoch sollten „sehr schnell in Koalitionsverhandlungen münden“. Zur Regierungsbildung werde man keine vier Wochen brauchen. „Ich glaube, dass wir in 14 Tagen 80 Prozent ausverhandelt haben“, meinte Aiwanger und verbat sich christsoziale Querschüsse: „Sollte hier Foul-Spiel passieren, sagen wir: Sucht euch einen Dümmeren.“ Keine Frage: Der Mann, der, zumindest durch die Bundesbrille betrachtet, aus dem politischen Nichts kam und bald schon stellvertretender Ministerpräsident in Bayern sein könnte – dieser Mann sucht jetzt offenbar den schnellsten Weg an die Macht.

Ohne ihn geht nichts bei den Freien Wählern: Hubert Aiwanger (47), ledig, Agraringenieur, zweifacher Vater, ist bayerischer Landesvorsitzender, Landtagsfraktionschef und Bundesvorsitzender in Personalunion. Im Landtag eine Ausnahmeerscheinung, gilt er vielen als politisch begabter Populist. Wer ihn hört und seine politische Heimat nicht kennt, würde in rechts von der CSU vermuten. Der passionierte Jäger ist mindestens so konservativ wie stramme Christsoziale. Und er wirkt bajuwarischer als Ministerpräsident Markus Söder. Gerade deshalb täte eine Koalition mit den Freien Wählern der CSU so weh: weil diese Partei ihnen so ähnlich ist, Fleisch vom eigenen Fleische – nur noch urtümlicher, noch urwüchsiger. Ein täuschend echtes Imitat, das 11,6 Prozent der Wähler dem Original vorgezogen haben.

Unter Aiwanger trieben die „Freien“ jahrelang die CSU vor sich her, innerhalb und außerhalb des Landtags. So zählte die Partei zu den treibenden Kräften eines Volksbegehrens zur Abschaffung umstrittener Straßenausbaubeiträge. Die Landesregierung beugte sich dem Druck und schaffte die Beiträge ab. Söder weiß genau, wen er sich da ins Boot holt. Kostenlose Plätze in Kindertagesstätten und der Verzicht auf den Bau einer dritten Startbahn am Münchner Flughafen gelten bei den Freien Wählern als unverhandelbar. Und auch in anderen Bereichen kündigt sich Gegenwind für Prestigeprojekte an, so bei Söders kürzlich vorgestelltem bayerischen Raumfahrtprogramm. Man werde dem Ministerpräsidenten schon „herunterhelfen vom Mond“, spottet Aiwanger.

Seine Vorliebe dafür, das große Wort zu führen, auch der Hang zu populistischen Sprüchen – diese Neigungen verbinden Aiwanger und Söder. Und wie dem Landesvater, so haben sie auch dem Chef der Freien Wähler geschadet. 2012 verglich er die Gefahr einer Schuldenkrise in der EU mit der einer Atombombe und beschwor „bürgerkriegsähnliche Zustände“. Wegen ihres Einsatzes für Euro-Rettungsschirme bezeichnete er die Bundesregierung als „Versagertruppe“. Dafür bekam er Beifall von rechts außen. Als sich Rechtsextreme bei Anti-Europa-Demonstrationen der Freien Wähler unter die Besucher mischten, geriet Aiwanger auch parteiintern unter Druck. Ohnehin hat er in den eigenen Reihen nicht nur Freunde. Gegner werfen ihm einen egozentrischen, autoritären Führungsstil vor. An Aiwanger prallen solche Vorwürfe eher ab.

Aus anderen Erfahrungen hat er gelernt. Blondinenwitze etwa macht er heute nicht mehr. Zumindest verbreitet er sie nicht mehr über Twitter. Das war früher anders. 2012 sorgte Aiwanger mit Tweets der Güteklasse „Kommt eine Blondine zum Arzt ...“ für Irritationen. Nach parteiübergreifender Kritik löschte er damals den Twitter-Account. Mittlerweile hat er einen neuen Zugang, auf dem sich Scherze in Grenzen halten.

Tanja Schweiger wird das gefallen. Sie ist nicht nur die Frau an Aiwangers Seite. Die 40-Jährige ist politisch noch erfolgreicher als ihr Lebensgefährte. Als Landrätin in Regensburg holte sie ein Direktmandat für die Freien Wähler, gegen einen langjährigen CSU-Landtagsabgeordneten. Hubert Aiwanger war daran in Landshut gescheitert.