München.

Der Tag nach einer Wahl ist bei schlechten Ergebnissen traditionell der Tag der Abrechnung. Das ist auch bei der CSU, die am Sonntag ein historisch schlechtes Resultat eingefahren hat, nicht anders. Doch das ganz große Hauen und Stechen bleibt bei der knapp sechsstündigen Vorstandssitzung am Montag aus. Angesichts von 37,2 Prozent erstaunlich. Man wolle das Wahlergebnis in Ruhe auswerten, heißt es übereinstimmend von CSU-Chef Horst Seehofer und Ministerpräsident Markus Söder. Erst nach der Koalitionsbildung in Bayern sollen mögliche personelle und inhaltliche Konsequenzen gezogen werden, also November oder Anfang Dezember. Dann solle ein noch zu benennendes Gremium das Landtagswahlergebnis vertieft analysieren.

Seehofer gibt sich zerknirscht: „Mir liegt sehr daran, eine Analyse durchzuführen und auch Konsequenzen aus diesem Wahlergebnis zu ziehen.“ In der schwarz-roten Koalition in Berlin wolle man nun eine konstruktive Rolle spielen. Er hat sich noch einmal gerettet.

Doch der Reihe nach: Seehofer kommt am Montagmorgen als Erster in die Parteizentrale. Er wirkt gefasst, kampfbereit: „Was wollen Sie wissen?“, fragt er in den Raum. Ob er Parteichef bleibe? „Ich führe auch heute keine Personaldiskussion über mich“, sagt er. Gleichwohl wolle er keine Diskussion abwürgen. „Ich stehe für jede Debatte zur Verfügung.“ Große Teile der CSU-Basis machen für die Stimmverluste vor allem Seehofer und sein Agieren in Berlin verantwortlich.

Doch noch wird die Personaldiskussion nicht mit offenen Rücktrittsforderungen geführt. Selbst EVP-Fraktionschef Markus Weber, ein Gegner Seehofers, hält sich bedeckt. „Jetzt ist keine Zeit für personelle Diskussionen“, betont der mächtige Europa-Politiker. Betonung liegt auf „Jetzt“. Heißt: Jetzt noch nicht. Das liegt auch daran, dass es mit dem Ergebnis oberhalb der 37-Prozent-Marke für die CSU am Ende deutlich besser lief, als es die Umfragewerte der vergangenen Wochen hatten befürchten lassen.

Im Vorstand wird dann Tacheles gesprochen

Ministerpräsident Markus Söder erscheint kurz nach Seehofer und macht deutlich, dass es ihm vor allem um eine schnelle, stabile Regierungsbildung und eine Aufarbeitung des Wahlergebnisses gehe. Der Verlust in den bayerischen Großstädten schmerze. Wobei er Nürnberg ausdrücklich ausnimmt: Es ist seine Heimatstadt, daher macht er diesen Schwenk, es ist auch ein Betonen der eigenen Stärken. Er führe als Regierungschef selbstverständlich die Koalitionsgespräche, sagt er noch. Personaldiskussionen? „Von meiner Seite geht es um Bayern“, erklärt er.

Im Vorstand wird dann allerdings Tacheles gesprochen. Besonders die Bezirksvorstände aus den Städten kritisieren den Parteichef. Auch der CSU-Ehrenvorsitzende Theo Waigel knöpft sich Seehofer vor. „Lieber Horst“, so sagt er nach Angaben von Teilnehmern mit Blick auf die Interview-Affäre von Geheimdienstchef Hans-Georg Maaßen, „ich glaube dir, dass Maaßen eine wichtige Personalie ist.“ Aber die Aufgabe des Geheimdienstes sei es nun mal, „das Maul zu halten und nicht ‚Bild‘-Interviews zu geben“. Ex-Generalsekretär Thomas Goppel sagt in Richtung Seehofer: „Die Freiheit, nicht mehr dabei zu sein, kann einen selig machen.“ Allein, Seehofer hört ihn nicht. Der ehemalige Bundestagsabgeordnete Hartmut Koschyk, früherer parlamentarischer Geschäftsführer der Landesgruppe, wandte sich per Brief an den Parteivorstand, um eine Mitgliederbefragung zur Neuausrichtung zu initiieren.

Auch zwischen Söder und Seehofer ist nichts gut, auch wenn sich Söder in der Sitzung zurückhält. Um zu verstehen, wie es um das Verhältnis der beiden Dauerrivalen bestellt ist, ist eine Begegnung in einem der vielen Gänge des bayerischen Landtages am Wahlabend hilfreich. Söder kommt gerade von einem Interview, Seehofer kommt nach ihm dran, läuft den Gang entlang, dem bayerischen Ministerpräsidenten entgegen. Söder bremst seine Schritte, dreht scharf links, geht durchs Plenum, verschwindet durch eine Tür. Nur ja keine persönliche Begegnung.

Söder wiederum bekundet im CSU-Vorstand seinen Willen, auch nach der CSU-Wahlpleite als Regierungschef weitermachen zu wollen – und bekommt dafür starken Applaus. Er schlägt die bisherige Verkehrsministerin Ilse Aigner als neue Landtagspräsidentin vor, Fraktionschef soll Thomas Kreuzer bleiben. Bereits an diesem Mittwoch soll es mit Seehofers Beteiligung Sondierungsgespräche mit den anderen Parteien geben, die Koalitionsverhandlungen selbst sollen dann ohne den Parteichef beginnen.

Wahrscheinlichster Partner sind die Freien Wähler (FW), die inhaltlich der CSU am nächsten stehen. Söder und Seehofer haben sich bereits am Wahlabend für die „bürgerliche Koalition“ ausgesprochen. FW-Chef Hubert Aiwanger betont bereits, seine Partei werde der CSU jetzt machbare Vorschläge vorlegen. „Und ich bin überzeugt, die CSU wird anbeißen.“

Interessanter wird die Aufarbeitung des schwachen Ergebnisses. Laut einer Analyse von Infratest dimap hat die CSU rund 180.000 Wähler an die Grünen verloren. Rund 180.000 bisherige CSU-Wähler entschieden sich für die AfD. Diejenigen, denen der Rechtsruck der CSU in Sachen Flüchtlings- und Asylpolitik zu hart war, liefen zu den Grünen über – und wer mehr Härte möchte, wechselte zur AfD. Das ist ein Dilemma für die CSU, ein „Spagat“, so nennt es Söder. Die ehemalige Landtagspräsidentin Barbara Stamm kritisiert dann auch harsch, die Wahl zeige, „dass man rechts so viele Wähler gar nicht gewinnen kann, wie man in der Mitte verliert“. Stamm hat ihr Landtagsmandat am Sonntag verloren.

Möglich, dass von den kritischen Stimmen aus seiner Partei im Laufe des Tages die ein oder andere zum CSU-Chef durchdringt. Am Montagabend jedenfalls gesteht Seehofer ein, dass eine Mitschuld für den harten Asylstreit der Unionsparteien im Sommer auch bei ihm zu suchen ist. „Der Stil der Auseinandersetzung“ sei sein größter Fehler im vergangenen halben Jahr gewesen, erklärt er im ZDF. Einer Personaldebatte erteilt er erneut eine Absage. Doch Seehofer weiß, dass die sich nicht ewig aufschieben lässt: „Jeder ist ersetzlich. Ich schon allemal.“

Die erste offene Forderung nach seinem Rücktritt kommt schließlich am späten Montagabend, von einem Kreisverband in Franken. Der Ruf kommt nicht aus der ersten oder zweiten Reihe der Partei. Doch das kann sich ändern.