Paris.

Die Nerven liegen blank. Schon seit Tagen wird an der Seine fieberhaft nach einem Nachfolger für den überraschend zurückgetretenen Innenminister Gérard Collomb gesucht, ohne dass Entscheidungen fallen. Eine größere Regierungsumbildung liegt in der Luft, doch niemand weiß, wann sie kommen soll. Und mindestens ein halbes Dutzend Minister muss sich fragen, ob sie am nächsten Tag noch im Amt sind. Von einer Regierungskrise könne keine Rede sein, also gäbe es auch keinen Anlass zur Eile, ließ dagegen der Élysée-Palast verlauten. Während Premierminister Édouard Philippe das in Zeiten anhaltender Terrorbedrohung eminent wichtige Innenressort im Nebenjob leitet, verabschiedete sich Macron in Richtung Armenien, wo am Donnerstag und Freitag ein Gipfel der frankofonen Länder stattfand.

Emmanuel Macron maßregelt gern und alle

Die demonstrative Gelassenheit des 40-jährigen Linksliberalen steht in einem krassen Gegensatz zu dem Berg an Problemen, der sich seit dem Sommer vor ihm aufgetürmt hat. Denn das, was einer seiner Berater jüngst als „einen ziemlich schlechten Lauf“ bezeichnete, begann bereits im Juli mit der Affäre um den Demonstranten prügelnden Leibwächter des Präsidenten. Viel zu lange protegierte Macron den unhaltbar gewordenen Mitarbeiter, bevor er ihn schließlich doch feuerte.

Ende August dann quittierten mit Nicolas Hulot (Umwelt) und Laura Flessel (Sport) ausgerechnet die beiden populärsten Minister des Landes ihren Dienst. Aber während Flessel, mehrfache Olympiasiegerin und Weltmeisterin im Degenfechten, wohl aufgrund eines drohenden Verfahrens wegen Steuerhinterziehung das Handtuch warf, trat der Ex-Fernsehmoderator und als „ökologisches Gewissen der Nation“ geltende Umweltaktivist Hulot aus Frust zurück. Er wolle nicht länger als Alibi einer Politik herhalten, die in puncto Ökologie nicht auf der Höhe der Problematik sei, begründete er seinen Schritt öffentlich.

Noch schwerer jedoch wog Anfang des Monats der Abgang des Innenministers. Der 71-jährige Collomb, Nummer zwei der Regierung, galt als einer der engsten Vertrauten und als Freund des Präsidenten. Als erstes politisches Schwergewicht des Landes hatte sich der Sozialist hinter Macron gestellt, als dieser 2016 seine Präsidentschaftskandidatur bekannt gab. Eher unwahrscheinlich, dass dem Außenseiter ohne die Unterstützung des mit allen Wassern gewaschenen „Schlachtrosses“ Collomb die Eroberung des Élysée-Palasts geglückt wäre.

Ausgerechnet der nibelungentreue Collomb freilich begnügte sich nicht damit, dem Präsidenten sein Amt vor die Füße zu schmeißen. Er verknüpfte die Demission mit einer harschen Kritik an der Staats- und Regierungsführung, der er einen „kollektiven Mangel an Bescheidenheit“ bescheinigte. Als ehemaliger Griechischlehrer würde er sogar von „Hybris“ sprechen wollen und betonte, dass dieses Wort nicht nur für Hochmut stehe, sondern auch für „Fluch der Götter“! Ein Minister, der sich selbst entlässt und auch noch öffentlich den Präsidenten anschießt – das hat die Fünfte Französische Republik noch nicht gesehen.

Tatsächlich legt Macron gerne eine Überheblichkeit an den Tag, die die Franzosen gründlich vergrätzt hat. „Ich brauche nur über die Straße zu gehen und finde einen Job“, wies er kürzlich einen arbeitslosen Gärtner zurecht. Als die Szene in den sozialen Medien für Aufregung sorgte, rechneten Macrons Berater der Nation vor, dass in Frankreich 300.000 Stellen offen seien. Das mag in der Sache zutreffen, aber hängen blieb das rechthaberische und taktlose Auftreten des Präsidenten.

Es war nicht das erste Mal. Macron maßregelt gern und alle, ganz gleich, ob es sich um die Rentnerin handelt, die sich über höhere Sozialabgaben beschwert, den Schüler, der ihn beim Bad in der Menge geduzt hat, oder Journalisten, die angeblich aus allem eine Staatsaffäre machen, wo er nur einen Sturm im Wasserglas sieht. Schlimmer noch: Wenn er wie jüngst die Franzosen pauschal als „widerspenstige Gallier“ bezeichnet, die Veränderungen nur schlecht ertragen, tut er ihnen objektiv unrecht und bringt sich gleichzeitig um seine eigenen Verdienste.

Zustimmungsquote liegtnur noch bei 29 Prozent

Bislang nämlich haben die Bürger ihrem Präsidenten die Stange gehalten, wenn er wichtige und schwierige Reformen wie die Liberalisierung des Arbeitsrechts durchsetzte, die wegen der aufmüpfigen Eisenbahner als unreformierbar geltende Staatsbahn SNCF modernisierte oder die schlecht funktionierende Aus- und Weiterbildung neu aufstellte. Mit anderen Worten: Die Franzosen reiben sich keineswegs grundsätzlich an dem scharfen Reformkurs Macrons, sondern an seiner Person.

Schlechter Stil – dieser Vorwurf hatte schon Macrons Vorgängern Nicolas Sarkozy und François Hollande einen ebenso heftigen wie raschen Popularitätsabsturz beschert. Inzwischen wandelt der junge Präsident mit einer Zustimmungsquote von lediglich 29 Prozent auf ihren Spuren. Diese Quote ist so niedrig, dass sie die Durchsetzung weiterer Projekte wie die brandheiße Rentenreform zu gefährden droht. Daran dürfte auch eine Regierungsumbildung nur wenig ändern, es sei denn, Macron würde den Umbau des Kabinetts zum Anlass nehmen, sich künftig wenigstens hin und wieder eine kleine Übung in Demut zu gönnen.