München.

Auftritt Markus Söder. Auf der Stirn glänzen im hellen Licht der Scheinwerfer ein paar Schweißperlen. Der bayerische Ministerpräsident ist mit seinem Kabinett gekommen und muss ein Ergebnis erklären, das nach den ersten Hochrechnungen das zweitschlechteste in der Geschichte der CSU ist. „Wir nehmen das Ergebnis an, auch mit Demut“, sagt Söder vor den Anhängern im überfüllten Fraktionssaal der CSU im bayerischen Landtag. Doch klar sei auch: „Die CSU ist nicht nur wieder stärkste Partei geworden, sondern hat auch den klaren Regierungsauftrag erhalten.“ Ziel sei jetzt, eine stabile Regierung zu bilden. Zu personellen Konsequenzen äußert sich Söder nicht.

Es ist ein Beben für die bayerische Regionalpartei, die ihren bundespolitischen Anspruch stets aus starken Wahlergebnissen ableitete. Vor fünf Jahren holte die CSU noch 47,7 Prozent. Diesmal ist klar: Die Zeit der Alleinregierung ist vorbei.

Horst Seehofer will keine Personaldiskussion

Als CSU-Chef Horst Seehofer am Sonntagabend vor die Partei-Anhänger und die Kameras tritt, macht er deutlich, dass er keine persönlichen Konsequenzen aus dem Wahlergebnis zieht. „Es gibt Ursachen, die auch bei mir liegen, aber wir haben gemeinsam den Wahlkampf geführt, auch die Zuwanderungsdebatte haben wir gemeinsam geführt.“ Die Partei müsse jetzt die Kraft aufbringen, sich voll auf die Regierungsbildung zu konzentrieren. Er dankt Söder für den Wahlkampf („Das war famos“) und beschwört die Partei, dieses Ergebnis gemeinsam aufzuarbeiten. Zunächst gehe es darum, in Bayern eine tragfähige Regierung zu bilden und die große Koalition in Berlin zum Erfolg zu führen. „Wer sich dann mit mir beschäftigen will, der hat noch genug Zeit. Wir führen jetzt keine Personaldiskussionen.“ Eigenes Schuldeingeständnis: klare Fehlanzeige.

Auch wenn also der ganz große Showdown zunächst ausbleibt und eher eine unheilvolle Stille die CSU ausfüllt – so gänzlich auszuschließen ist es nicht, dass doch noch Köpfe rollen. Keiner vermag vorherzusagen, welche Dynamik es in den kommenden Tagen geben könnte. Intern soll es sogar klare Ansagen gegeben haben, sich mit Rücktrittsforderungen an Seehofer am Sonntag und Montag zurückzuhalten.

Und doch macht einer den Anfang, einer, der mit Seehofer ohnehin eine Rechnung offen hat: Ex-CSU-Chef Erwin Huber sagt im Landtag, er habe nach der Landtagswahl 2008 die Verantwortung übernommen und sei zurückgetreten. „Und das hat zum Erfolg geführt.“ 2008 hatte die CSU bei der Landtagswahl die absolute Mehrheit verloren und 2013 wieder zurückerobert. Die Aussagen Seehofers zu den Verlusten der CSU nennt Huber „zu beschönigend“. Das werde dem Ernst der Lage nicht gerecht. Die CSU habe massiv in der bürgerlichen Mitte verloren. „Und wir haben die Großstadt-Kompetenz verloren.“

Da hat Huber recht. Die ersten Analysen der Wählerwanderung ergeben, dass die CSU jeweils Wähler an die AfD und die Freien Wähler abgegeben hat, in großem Maß auch an die Grünen. Besonders in den acht größten bayerischen Städten hat die CSU dramatisch verloren. Ein Grund liegt in einem anderen interessanten Detail der Demoskopen. Den Satz „Die CSU hat das Gespür für das verloren, was die Bürger bewegt“ bejahen 65 Prozent der bayerischen Wähler. Das ist ein harter Schlag.

Kurz vor 18 Uhr sind die CSU-Anhänger in der Fraktion noch unter sich. Die beiden Alphatiere Söder und Seehofer sind nicht im Saal. Wie schon bei der Bundestagswahl 2017 haben sie sich mit ihren engsten Vertrauten zurückgezogen. Seehofer mit seinen Stellvertretern in der CSU-Zentrale, Söder mit seinen engsten Vertrauten in der Staatskanzlei. Nur knapp fünf Kilometer trennen die beiden Machtzentralen voneinander, und doch ist es ein bezeichnendes Bild der CSU im Jahr 2018: Die Doppelspitze der Partei findet selbst an einem so wichtigen Tag keinen Draht zueinander.

Aus Söders Sicht ist das Wahldebakel besonders bitter. Endlich war er im März dieses Jahres am Ziel seiner Träume angelangt: Auf Druck der CSU-Basis, insbesondere der Landtagsfraktion, musste Seehofer das Ministerpräsidentenamt an seinen Dauerrivalen abgeben. Und der ehrgeizige Franke legte los, präsentierte eine 100-Punkte-Regierungserklärung, mit Pflegegeld, Familiengeld, bis hin zum Raumfahrtprogramm „Bavaria One“.

Doch dann kam, befeuert von Seehofer, der Berliner Koalitionsstreit mit Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) über die Flüchtlingspolitik. Auch Söder schaltete sich ein, gab seine neue Möchtegern-Landesvater-Rolle wieder auf, trat als bayerischer Polterer zutage, der gemeinsam mit Seehofer und CSU-Landesgruppenchef Alexander Dobrindt gegen die Kanzlerin ätzte – ein Fehler, räumen auch Gutmeinende heute rückblickend ein. Erst spät trat der Ministerpräsident wieder auf die Bremse. Dann kam Seehofers Rücktritt vom Rücktritt, es folgten neuer Streit und am Ende auch noch der Fall Maaßen – all das hat der CSU massiv geschadet.

Wiederholt beklagte sich Söder, die Politik „in Berlin“ schade der CSU. Seehofer keilte zurück, er setze als Minister nur gemeinsame Beschlüsse um. Im Übrigen habe er Söder ein blühendes Land mit besten Voraussetzungen zum erfolgreichen Regieren hinterlassen. Tatsächlich zählt Bayern zu den wirtschaftlich stärksten Regionen Europas. Kehrseite ist eine wachsende Wohnungsnot, die Söder jetzt mit viel Geld lindern will.

Seehofer hat betont, er werde in jedem Fall an Parteivorsitz und Ministeramt festhalten. Als CSU-Chef ist er bis zum Parteitag im Herbst 2019 gewählt. Seit dem Tod des CSU-Patriarchen Franz Josef Strauß 1988 wurden allerdings alle Vorgänger Seehofers vorzeitig aus dem Amt gedrängt.

Dass die CSU auch künftig die Regierung anführt, gilt am frühen Wahlabend als sicher. Doch mit wem? Als Partner bieten sich die Freien Wähler (FW) an, die in vielen Bereichen ähnlich konservative Positionen vertreten wie die Christsozialen. Ein Vorzug für die CSU wäre, dass die Freien Wähler der CSU im Bund mangels eigener Ambitionen nicht in die Quere kommen würden. Seehofer sagt am Abend, man solle mit allen demokratischen Kräften reden. Aber: „Auch meine Priorität wäre eine Koalition mit den Freien Wählern, wenn sie denn möglich ist.“ Zuvor hat bereits Söder erklärt, er bevorzuge ein „bürgerliches Bündnis“. Rechnerisch denkbar wäre allerdings auch eine Koalition mit den Grünen; am Abend schien zudem sogar eine große Koalition mit der SPD möglich.

Ausgeschlossen hat die CSU ein Bündnis mit der AfD, die erstmals in den Landtag einzieht. Söder, dem wiederholt vorgeworfen wurde, er kopiere Positionen der AfD, sucht seit einigen Wochen verschärft die Abgrenzung und stellt die Partei in die Nähe des verfassungsfeindlichen Rechtsextremismus.

Wie geht es nun weiter in der CSU? Am Montag trifft sich der Vorstand zur Aussprache in der Parteizentrale, am Dienstagmittag plant Seehofer, in Berlin vor die Presse zu treten und über die bundespolitischen Auswirkungen der Bayern-Wahl zu sprechen. Am Dienstag tagt in München auch die neue, dezimierte Landtagsfraktion – der wohl entscheidende Termin für Söder. Nicht ausgeschlossen wird in der CSU, dass es aus den Orts- und Kreisverbänden heraus eine Bewegung geben könnte mit dem Ziel, Seehofer zum Rücktritt zu drängen.

Doch was zählt jetzt für die bayerischen Wähler? Viele dürften wohl so denken wie diese Münchner Taxifahrerin: „Sagen Sie denen, egal, wer drankommt: Sie sollen dafür sorgen, dass eine 72-Jährige nicht mehr Taxi fahren muss, um in dieser Stadt zu überleben.“