Berlin/München. Bedeutung des Bayern-Votums am Sonntag reicht weit über den Freistaat hinaus. Für die Spitzen der großen Koalition in Berlin geht es um viel

    Bei der Abschlusskundgebung der CSU ist ein Kanzler geladen, keine Kanzlerin. Den Österreicher Sebastian Kurz hat die CSU-Spitze als Gast nach München gebeten, Angela Merkel bleibt in Berlin. Sie hat sich um den Termin im Löwenbräukeller mit Bayerns Ministerpräsident Markus Söder und CSU-Chef Horst Seehofer sicher nicht gerissen, das Verhältnis zur Schwesterpartei ist angespannt. Doch für die CDU-Vorsitzende hat die Wahl in Bayern Auswirkungen. Auch wenn es nach dem erbitterten Streit mit der CSU im Sommer menschlich nachvollziehbar wäre, wenn Merkel nicht das größte Mitgefühl an den Tag legen würde: An einem schlechten Abschneiden der CSU kann ihr nicht gelegen sein. Schlechte Werte für die CSU in Bayern schwächen die Union im Bund insgesamt.

    Und die CSU steht bei der Landtagswahl am Sonntag vor einem historischen Desaster. Die Regionalpartei, die ihren bundespolitischen Anspruch mit ihrer traditionellen Stärke in Bayern begründet, befürchtet ihr schwächstes Ergebnis seit mehr als 60 Jahren und den Verlust der gewohnten Regierungsmehrheit. Umfragen lassen einen Absturz auf knapp 35 Prozent und eine schwierige Suche nach einem oder sogar zwei Koalitionspartnern erwarten. Vor fünf Jahren holte die CSU noch 47,7 Prozent. Niemand, auch nicht die Kanzlerin, weiß, welche politischen Konsequenzen die CSU aus einer verheerenden Niederlage ziehen wird. Was passiert, wenn der in der CSU scharf kritisierte Seehofer zu einem Abgang gezwungen wird? Wen wird er mit sich reißen, wie wirkt sich all das auf die Fraktionsgemeinschaft von CDU und CSU aus? Wie auf Merkels Kanzlerschaft? Zwar gilt für die CDU-Chefin eine Art Schonfrist bis zur Wahl in Hessen am 28. Oktober und dem Abschneiden des dortigen CDU-Ministerpräsidenten Volker Bouffier. Dann wird sich entscheiden, wie es um ihre Chance steht, beim CDU-Parteitag Anfang Dezember wiedergewählt zu werden.

    Seehofer will im Amt bleiben – unabhängig vom Ergebnis

    Von Merkel gab es dazu eine klare Ansage. Sie fühle sich „quicklebendig“ und betonte, dass Parteivorsitz und Kanzlerschaft in einer Hand bleiben müssten. Sie werde beim CDU-Parteitag im Dezember wieder antreten. Damit hat sie die Latte für potenzielle Nachfolger hoch gehängt: Derjenige müsste nach beiden Posten greifen. Und sollte Merkel als Kanzlerin zurücktreten, würde die SPD die große Koalition wohl kaum fortführen. Die Regierung würde platzen, die Union könnte versuchen, eine Minderheitsregierung zu führen, oder nochmal eine Jamaika-Koalition bilden – ohne Merkel.

    Seehofer, dem nach dem Absturz der CSU auf 38,8 Prozent bei der Bundestagswahl im vergangenen Jahr die Macht als Ministerpräsident entglitt, gerät jetzt als Parteichef erneut unter Druck. Dass Seehofer im Sommer den Streit mit Merkel über die Zurückweisung von Flüchtlingen an der Grenze bis zur Rücktrittsdrohung eskalierte, nehmen ihm viele in München übel. Der 69-Jährige habe den Konflikt unnötig angeheizt und dabei Glaubwürdigkeit verspielt, so die Kritik.

    „Das waren jetzt nicht gerade die allergrößten Sternstunden“, sagte auch Söder vor Kurzem. Seehofer machte dennoch deutlich, dass er im Amt bleiben wolle, unabhängig vom Ausgang der Wahl. Als CSU-Chef sei er bis zum Parteitag im Herbst 2019 gewählt. Seit dem Tod des CSU-Patriarchen Franz Josef Strauß 1988 wurden allerdings alle seine Vorgänger vorzeitig aus dem Amt gedrängt. Seehofer plant für den Dienstag nach der Wahl eine Pressekonferenz in Berlin. Allein. Thema: Auswirkungen der Landtagswahlen in Bayern auf die Bundespolitik.

    Auf die Frage nach personellen Konsequenzen fällt der Name Söder seltener. Er werde nach der Wahl gebraucht, heißt es in Bayern. So verwies der einflussreiche CSU-Ehrenvorsitzende Edmund Stoiber, Söders politischer Ziehvater, auf die von der Landesverfassung gesetzte Vier-Wochen-Frist zur Regierungsbildung. Langwierige Koalitionsverhandlungen wie zuletzt im Bund könne es deshalb in Bayern nicht geben.

    Als denkbarer CSU-Partner werden die Grünen gehandelt. Mit Umfragewerten von 19 Prozent im jüngsten ZDF-Politbarometer dürften sie zur zweitstärksten Kraft aufsteigen. Zwar halten sich Christsoziale und Grüne eine Koalition offen. Als wesentliches Hindernis gilt jedoch, dass beide Parteien in zentralen Fragen völlig verschiedene Positionen vertreten. „Das Programm der Grünen ist aus meiner Sicht so in der Form nicht koalitionsfähig“, betonte Söder noch am Freitag. Das Ergebnis im Freistaat dürfte die Grünen insgesamt beflügeln.

    Der SPD droht dagegen eine Halbierung des letzten Wahlergebnisses. Für Parteichefin Andrea Nahles geht es um viel. Sie kritisierte in dieser Woche die Union heftig, zwei „veritable Regierungskrisen“ hätten die Leistungen der Koalition völlig zugedeckt. Sie würde sich von der Kanzlerin mehr Führung und Haltung wünschen. Starke Worte, die auch dem Druck der SPD-Linken entspringen. Die wollen am Wochenende über die Zukunft der SPD beraten. „Die Zeit des Taktierens, Lavierens und der Eitelkeiten muss vorbei sein“, heißt es in einer Erklärung. Stimmt nicht: In Bayern und, etwas zeitversetzt, im Bund geht sie gerade erst los.