Ingolstadt.

Wenigstens eines Umstandes ist sich Horst Seehofer in diesen Tagen sicher: Auf den Mond schießen wolle ihn Markus Söder nicht. „Also, ich war nicht gemeint“, sagt der CSU-Vorsitzende bei einer Wahlkampfveranstaltung. Bayerns Ministerpräsident Söder hat zuvor in einer Rede das geplante bayerische Weltraumprogramm erwähnt und in dem Zusammenhang davon gesprochen, dass er schon manchen gerne in den Weltraum wünschen würde. Manch ein CSU-Mitglied ist da allerdings anderer Auffassung als Seehofer. „Der wird den Horst schon gemeint haben“, raunt einer.

Die CSU hat im bayerischen Landtagswahlkampf wenige Tage vor der Abstimmung am 14. Oktober einiges zu bieten: Ratlosigkeit, Schuldzuweisungen, Beschwörungen. Und vor allem eine nur sehr mühsam unterdrückte Männerfeindschaft zwischen Parteichef und Ministerpräsident. Der Grund für die nervöse Stimmung liegt vor allem in der Angst vor einem Debakel am Sonntag begründet. Die miserablen Umfragewerte, die mit 33 bis 35 Prozent – unglaublich für die Christsozialen – eine krachende Wahlniederlage prophezeien, führen dazu, dass nun das Rochade-Spiel beginnt, bevor noch die Wahllokale öffnen.

Beim Versuch, die AfD zu schwächen, wurde überzogen

In der CSU registrierte man am Wochenende mit einer Mischung aus Zorn und Verwunderung, dass die Schuldzuweisungen bereits öffentlich gemacht werden. Söder hatte Seehofer zwar nicht persönlich angegriffen, wies der großen Koalition in Berlin aber erneut eine Mitverantwortung für die schlechten Umfragen zu. Der Bundesinnenminister, der die Schuld – wenn überhaupt – jedenfalls nicht alleine bei sich sieht, nannte Söder dagegen direkt. „Ich habe mich in den letzten sechs Monaten weder in die bayerische Politik noch in die Wahlkampfführung eingemischt“, sagte er. Das sei das Vorrecht Söders. „Er ist zuständig für strategische Überlegungen im Wahlkampf.“ Klarer kann man eine Verantwortung kaum abladen. In München sind sie ohnehin sauer auf Seehofer. Dessen Schuldzuweisungen seien nur ein Ablenkungsmanöver – ein durchsichtiges obendrein, heißt es. Unter den Landtagsabgeordneten ist die Meinung, der Vorsitzende müsse nach der Wahl seinen Hut nehmen, weitverbreitet.

Doch dass er freiwillig weicht, damit rechnet keiner. Einer müsste aufstehen und ihn herausfordern. Söder? Dessen Ambitionen auf den Parteivorsitz, den Seehofer ihm im vergangenen Dezember angeboten hat, scheinen nicht besonders hoch. Auch Söder hat mit schlechten persönlichen Zustimmungswerten zu kämpfen. Sein Wahlkampf ist demütiger geworden. Man gehe in ein Amt anders herein, als man herauskomme, sagt er oft fast entschuldigend. Man erlebe viel, das einen präge. Der 51-Jährige versucht, sich ein sanfteres Image als Landesvater zuzulegen, richtig gelungen ist es ihm nicht.

Alle Hoffnung auf ein halbwegs respektables Ergebnis ruht nun auf einer Schlussmobilisierung der CSU-Wähler. Kann sich Seehofer also doch im Sattel halten? Möglich, sagt ein Vorstandsmitglied – wenn es am Ende 37/38 Prozent oder mehr werden. Sollten es aber 35/36 Prozent oder weniger werden, droht das Chaos.

Ortstermin: Montagabend, das Stadttheater in der historischen Altstadt von Ingolstadt. Auftritt Söder gemeinsam mit Seehofer. Für Letzteren ist es vertrautes Terrain, Ingolstadt in Oberbayern ist Seehofers Heimat. Prolog, draußen vor der Tür, Seehofer: Nein, er habe zuletzt keinen Streit feststellen können. Andere Fragen blockt er ab. „Ich möchte heute einen schönen Abend verbringen.“ Mit Söder? „Ja.“

Wenig später kommt Söder. Nein, kein Streit, sagt auch er. Man habe ja eine gemeinsame Aufgabe in der CSU. „Ein jeder ist doch verpflichtet, das Bestmögliche für Bayern und die CSU zu erreichen.“ Die beiden sprechen kurz vor dem Auftritt miteinander, unter vier Augen. Schon das ist in diesen Tagen eine Nachricht wert. Die anschließenden Reden sind gespickt mit direkten Ansprachen an den jeweils anderen („lieber Markus“, „lieber Horst“). Söder versucht es mit Ironie: Horst und er hätten sich überlegt, wie man möglichst viele Journalisten für den Schlussspurt des CSU-Wahlkampfs begeistern könne. „Das ist uns beiden in bewährter Manier gelungen.“ So kann man es natürlich auch drehen. Seehofer macht die Schuldigen in den Medien aus. Er fühlt sich ohnehin grundsätzlich missverstanden, sieht das Kämpfen für seine Überzeugungen in der Flüchtlingspolitik und sein Wirken als Innenminister nicht genug gewürdigt. Seehofer beschwört: Er habe mit der Bundeskanzlerin und CDU-Chefin Angela Merkel ein gutes Verhältnis. „Das Gleiche gilt auch für dich, Markus.“ Und fügt an die CDU-Basis gewandt hinzu: „Bleiben Sie sorgenfrei und ruhig, wir wissen um unsere Verantwortung, für Sie und auch für uns.“

Das Dilemma der CSU ist an diesem Abend mit Händen greifbar. Würden die beiden an einem Strang ziehen, hier der erfahrene, mit allen Wassern gewaschene Seehofer, der immer noch gut mit den Bürgern kann, und dort der jüngere, ehrgeizige, in der CSU mittlerweile sehr geachtete Söder: Sie könnten vieles zusammen bewirken. Doch die gegenseitige Abneigung gibt es seit Jahren: Daran änderte auch die im Frühjahr vollzogene Ämterteilung – Seehofer blieb Parteichef, Söder wurde Ministerpräsident – nichts. Seehofer hat früher öfters davon gesprochen, dass er den Aufstieg Söders verhindern wolle – gelungen ist es ihm nicht. Warum diese persönlichen Differenzen? Genau lässt sich das nicht klären. Immer mal wieder wird vermutet, dass ein mögliches Durchstechen eines früheren Verhältnisses Seehofers durch Söder an die Presse der Grund sein könnte. Geklärt wurde das nie. „Zwei Alphatiere, die keinen neben sich dulden“, lautet die einfache Erklärung einer hochrangigen CSU-Dame.

Einer hält sich derzeit auffällig im Hintergrund: CSU-Landesgruppenchef Alexander Dobrindt. Er ist einer der Strategen hinter dem großen Flüchtlingskrach mit Angela Merkel im Sommer. Seine Mission ist es, das „Vakuum“ rechts neben der CSU zu füllen, um der AfD das Wasser abzugraben. Doch bei dem Versuch hätten alle drei, Söder, Seehofer und auch Dobrindt, überzogen. Das ist mittlerweile die Einsicht in Söders Staatskanzlei.

Könnte Dobrindt am Ende als lachender Dritter nach dem CSU-Vorsitz greifen? Seine Chancen werden in CSU-Kreisen bislang eher gering bewertet, ihm fehle die Hausmacht, der Kontakt zur Basis, heißt es. Also doch Söder? Es sind mal wieder Tage des Donners in Bayern.